Süddeutsche Zeitung

Kennedy-Akten:John F. Kennedy - für immer Held und Mythos

US-Präsident Trump will die letzten geheimen Akten rund um die Ermordung JFKs freigeben. Überraschungen sind keine zu erwarten, doch noch immer glauben viele an die große Verschwörung.

Kommentar von Willi Winkler

Auch die irrsinnigste Verschwörungstheorie findet im Internet ihre Anhänger. Menschen, die auch als Erwachsene noch an Märchen glauben: John F. Kennedy soll durch ein von Martin Bormann, dem selbsternannten "Sekretär des Führers", im Verein mit Reinhard Gehlen und dem Nazi-Haudegen Otto Skorzeny ausgekaspertes Komplott ermordet worden sein; die Sowjets, man kennt die Brüder ja, mischten natürlich auch irgendwie mit.

Schlichte Einwände, wie dass Bormann seit 1945 tot, Gehlen als Hätschelkind der siegreichen US Army den Amerikanern eher zugeneigt und Skorzeny 1963 nicht mehr ganz Nazi war, sondern als Informant für den Mossad arbeitete, verschlagen in diesem brisanten Fall nichts. Der Mann, der am 22. November 1963 auf der Dealey Plaza in Dallas starb, kann einfach nicht durch die Kugeln eines mäßigen Schützen und auch sonst wenig spektakulären Menschen aus dem jungen Leben gerissen worden sein.

Zu vielen war ein toter Kennedy lieber als ein lebendiger

Als sein eigener bester Presseagent hat Präsident Donald Trump jetzt angekündigt, er wolle die letzten Akten zum Mord an einem berühmten Vorgänger, dem 35. Präsidenten der USA, freigeben. Neue, gar spektakuläre Erkenntnisse sind nicht zu erwarten. Der Attentäter Lee Harvey Oswald wurde, nachdem er durch ein weiteres Attentat gestorben war, gründlicher durchleuchtet als selbst der Ötzi. Nach allem, was heute bekannt ist, hat er allein gehandelt, aber es gab einfach zu viele, denen ein toter Kennedy lieber war als ein lebendiger, der ein Jahr vorher mit Ach und Krach die Kubakrise überstanden hatte.

Vom amerikanischen Bürgerkrieg abgesehen, werden in den USA über kein Thema so viele Bücher und Artikel veröffentlicht wie über den Kennedy, der allein mit dem Satz "Fragt nicht, was euer Land für euch tun kann, sondern fragt, was ihr für euer Land tun könnt" zum Herold der Sechziger geworden war. Ohne ihn, so geht das Märchen weiter, wäre der Vietnamkrieg nicht eskaliert, hätten nicht Zehntausende junge Männer das Leben lassen müssen, wäre eine echte Sozialrevolution und die Gleichberechtigung für die Schwarzen gekommen.

Niemand hat diese amerikanische Legende schöner erzählt als Oliver Stone 1991 in "JFK - Tatort Dallas". Der Film ist ein verschwörungstheoretisches Machwerk, zeigt ein Intrigennetz finsterer Mächte von der Rüstungsindustrie bis Moskau, und Kennedy ist wieder der strahlende Held, mit dem alles Unheil, das nach ihm kam, ausgeblieben wäre. Was vermag dagegen schon sachliche Arbeit?

Gegen jede Wahrscheinlichkeit ist Oswald diese herostratische Tat gelungen

Ein Jahr lang hatte sich die von Kennedys Nachfolger eingesetzte Warren-Kommission, der unter anderem der spätere Präsident Gerald Ford angehörte, um die Aufklärung des Mordes bemüht. Wer war's? Oswald, wenn auch keineswegs alles aufgeklärt wurde. In den letzten fünfzig Jahren sind kaum neue Erkenntnisse gewonnen worden. Gegen jede Wahrscheinlichkeit ist Oswald diese herostratische Tat gelungen, von der auf seine Art auch der Attentäter von Las Vegas geträumt zu haben scheint.

Aber wer will schon die Wahrheit wissen? Wer will hören, dass Kennedy keineswegs der Sieger in der Kubakrise war, sondern dass die sowjetischen Raketen nur um den Preis abgezogen wurden, dass die amerikanischen aus der Türkei verschwanden? Dass der Mann, der 1963 vor dem Schöneberger Rathaus mit dem Satz "Isch bin ain Bärlina" die Herzen der Deutschen gewann, zwei Jahre zuvor stillschweigend dem Bau der Mauer zugestimmt hatte?

"I want a hero", hatte Lord Byron geschrieben, ehe er heldenhaft im griechischen Befreiungskampf fiel. Alle wollen einen Helden, daran hat sich nichts geändert. Kennedy wird immer einer bleiben.

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SZ vom 23.10.2017/fie
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