Kenia:Machtspiele mit den Opfern

Kenya's Deputy President Ruto bids farewell to government officials as he leaves Jomo Kenyatta airport in Nairobi, on his way to the ICC at The Hague

William Ruto (zweiter von links) gab sich zuversichtlich, als er am Montag in Nairobi sein Flugzeug nach Den Haag bestieg: Vor dem Internationalen Strafgerichtshof werden ihm Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen

(Foto: Thomas Mukoya/Reuters)

Erstmals muss sich der amtierende Vizepräsident eines Landes vor dem Internationalen Strafgerichtshof verantworten: William Ruto werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Wie sich die Führung Kenias gegen den Prozess in Den Haag wehrt.

Von Tobias Zick, Mai Mahiu/Nairobi

Er hätte seinem Staatschef gern gesagt, was hier wirklich los ist, aber man hat ihn nicht vorgelassen. Uhuru Kenyatta, Präsident von Kenia und Angeklagter vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, war am Samstag zu Besuch, er hatte Schecks dabei, um sie den Menschen zu überreichen, die seit nunmehr sechs Jahren in diesem Flüchtlingscamp leben, und bei der Gelegenheit appellierte er an ihre Loyalität: "Ihr wisst, was vor uns liegt. Gott ist auf unserer Seite, aber wir werden das bewältigen, dafür bitten wir euch um eure Gebete." Es war die neueste Episode in der Kampagne des Präsidenten gegen das Weltstrafgericht, mit den Opfern als Statisten.

Der Sprecher der Binnenflüchtlinge in diesem Camp, Steven Mbugua, durfte den Präsidenten nicht treffen, die Behörden hatten jemand anderen auserwählt, der sich von Kenyatta vor laufenden Kameras die Hand schütteln lassen durfte, "einen Mann, der keine Ahnung hat, was hier wirklich los ist", sagt Mbugua.

Ein kurzer Rundgang mit ihm offenbart eine Szenerie, die die Fernsehbilder nicht zeigten: Hinter der Siedlung, in denen einige Hundert der Vertriebenen leben, stehen Zelte aus fransigem Stoff, in einem davon kauert eine alte Frau vor glimmenden Kohlen. Sie und die anderen Zeltbewohner haben keine Schecks vom Präsidenten bekommen; sie waren seinerzeit nicht im richtigen Moment in den Auffanglagern, in denen die Opfer der Gewaltwelle registriert wurden. Bis heute sind sie deshalb nicht als Binnenvertriebene anerkannt.

Mai Mahiu, ein Flüchtlingslager für Binnenvertriebene in Kenia: Die Menschen, die hier vegetieren, sind Opfer von Machtspielen der politischen Elite ihres Landes. An diesem Dienstag beginnt vor dem Weltstrafgericht in Den Haag der Prozess gegen Vizepräsident William Ruto, ihm werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Er soll einer der Drahtzieher hinter Angriffen auf ethnische Kikuyu sein, nachdem die Opposition, der Ruto seinerzeit angehörte, der Regierung um den damaligen Präsidenten Mwai Kibaki Ende 2007 Wahlfälschung vorgeworfen hatte.

Eine Verurteilung bringe die toten Angehörigen auch nicht zurück

Der heutige Präsident Uhuru Kenyatta, wie Kibaki ein ethnischer Kikuyu, soll damals wiederum Milizen zu Racheakten gegen Angehörige der Kalenjin angestiftet haben, der Volksgruppe Rutos. Etwa 1300 Menschen starben in wochenlangen Unruhen. Mehr als 600 000 wurden vertrieben und etliche von ihnen, wie die Menschen hier in Mai Mahiu, sind bis heute nicht an ihre früheren Wohnorte zurückgekehrt.

Nachdem der Internationale Strafgerichtshof 2010 die Ermittlungen gegen Kenyatta und Ruto aufgenommen hatte, gründeten die beiden ehemaligen Gegner ein Wahlbündnis, verkauften es den Kenianern als Friedenspakt zwischen Kikuyu und Kalenjin und sich selbst als Verteidiger Kenias gegen eine imperialistische Verschwörung des Westens, verkörpert durch die Richter in Den Haag. So gewannen sie die Wahl im März dieses Jahres.

Dass sich nun der Vizepräsident und im November dann der Präsident vor einem internationalen Gericht verantworten müssen, erfüllt die Opfer nicht nur mit Genugtuung. Manche sehen die relative Stabilität im Land gefährdet: "Wenn die Richter Kenyatta und Ruto ins Gefängnis stecken", sagt Steven Mbugua, "dann könnten deren Anhänger dafür die Opposition verantwortlich machen und Angriffe auf Luo starten." Die Luo sind die Ethnie des Wahlverlierers Raila Odinga, den viele Kikuyu nun verdächtigen, mit dem Strafgerichtshof gemeinsame Sache zu machen.

Eine Verurteilung von Kenyatta und Ruto bringe die toten Angehörigen auch nicht zurück, sagt Steven Mbugua. Er selbst habe zwischenzeitlich die Männer getroffen, die seinen Sohn mit Buschmessern in Stücke gehackt haben: "Wir haben geredet, und ich habe ihnen vergeben."

Traditionelle afrikanische Konfliktlösungsmethoden versus Richter im fernen Europa: Für Mwalimu Mati, einen bekannten Menschenrechts- und Antikorruptionsaktivisten in Kenia, ist solche Argumentation "ein Symptom dafür, dass viele Menschen in diesem Land längst jedes Vertrauen in die Justiz verloren haben."

Und die Kampagne der beiden Angeklagten, die sich und ihre Nation als Opfer eines westlich gesteuerten Gerichts inszenieren, sei sichtlich erfolgreich: "In der ganzen öffentlichen Debatte geht es gar nicht mehr darum, weshalb die beiden eigentlich vor Gericht stehen. Niemand redet mehr über die 1300 Opfer und ihre Angehörigen."

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