Es war Mittwochmorgen gegen ein Uhr, als auf dem Anwesen des Oppositionspolitikers Kalonzo Musyoka in der kenianischen Hauptstadt Nairobi eine Granate explodierte und Schüsse fielen. Verdächtige gibt es bisher nicht, aber Musyoka ist sich sicher: "Das Motiv war ganz klar politisch." Wenige Stunden zuvor habe die Polizei ihm den Personenschutz entzogen und verboten, auf einer Kundgebung der Opposition aufzutreten.
Auch drei Monate nach der Präsidentschaftswahl vom Oktober 2017 kommt Kenia nicht zur Ruhe, stehen sich Opposition und Regierung unversöhnlich gegenüber. Die internationale Gemeinschaft hatte viele Hundert Millionen Euro in eine Wahl investiert, die nicht manipulierbar sein sollte. Deren erster Wahlgang wurde dann vom Obersten Gericht wegen Unregelmäßigkeiten annulliert.
Den zweiten boykottierte die Opposition, weil sie wieder kein faires Ergebnis erwartete. Amtsinhaber Uhuru Kenyatta wurde schließlich mit 98 Prozent der Stimmen gewählt, allerdings bei lediglich etwa 40 Prozent Wahlbeteiligung. Oppositionsführer Raila Odinga versucht nun seit Monaten, durch Demonstrationen und Boykottaufrufe Neuwahlen zu erzwingen.
Am Dienstag ließ er sich vor mehreren Tausend Anhängern seines Oppositionsbündnisses National Super Alliance (Nasa) zum "Volkspräsidenten" vereidigen, eine rein symbolische Inszenierung, die von der Regierung aber bekämpft wurde, als handle es sich um einen Putschversuch. Am Freitag bereits wurden die Chefredakteure der großen Privatsender zu einem Gespräch mit dem Präsidenten einbestellt, der ihnen mit Konsequenzen drohte, sollten sie die "Pseudovereidigung" Odingas übertragen. Wenige Stunden vor der Veranstaltung wurden die Sender technisch blockiert, nur noch der Livestream im Internet war zu empfangen.
Westliche Diplomaten hatten der Regierung geraten, die Veranstaltung zu ignorieren
Gegen Nachmittag schwor Odinga seinen "Amtseid" mit der Hand auf einer Bibel und beklagte "gestohlene Wahlen". Kurz darauf löste sich die Menge auch wieder auf. Westliche Diplomaten hatten der kenianischen Regierung unter Kenyatta geraten, die Showveranstaltung Odingas zu ignorieren, die Regierung tat aber das Gegenteil und erklärte einen Teil des Oppositionsbündnisses Nasa zu einer verbotenen "organisierten kriminellen Vereinigung". Nach kenianischem Recht drohen jedem, der als Mitglied eines solchen Verbrechersyndikats verurteilt wird, bis zu zehn Jahre Gefängnis. Ein Regierungssprecher sagte, die Opposition habe eine Art "Miliz" gegründet, welche die Sicherheit des Staates gefährde.
Nach Ansicht von Menschenrechtsorganisationen ging die Gewalt in den vergangenen Monaten aber meist vom Staat aus. Etwa hundert Menschen sollen seit der Wahl im Oktober ums Leben gekommen sein, darunter auch Kinder. "Das sind Autokraten, die auf jeden kleinen Zwischenfall warten, um hart durchzugreifen und ihre Macht auszubauen", sagte der politische Analyst Duncan Otieno der Financial Times. Dieses Verhalten werde weiter zunehmen. Viele Beobachter hatten nach dem so deutlichen wie umstrittenen Wahlsieg Kenyattas erwartet, dass dieser dem unterlegenen Odinga eine Art Koalition anbieten würde, zumindest ein paar Posten in der Regierung, auch um dem eigenen Amt mehr Legitimität zu verschaffen. Kenyatta aber begann sofort damit, die Justiz einzuschüchtern und mit äußerster Härte gegen die Opposition vorzugehen. Nun sind die Medien dran.
Mit dem Abschalten der Fernsehkanäle hat Kenyatta aber nicht unbedingt sein Ziel erreicht, vielmehr verhalf er dem zunehmend erschlaffenden Protest der Opposition zu neuer Aufmerksamkeit und auch Glaubwürdigkeit. Raila Odinga hatte zuletzt vor allem den Eindruck gemacht, nur für sich selbst zu kämpfen. Dank der völlig überzogenen Reaktion der Regierung kann er sich nun wieder als Kämpfer für Demokratie präsentieren.
Ein Ausweg aus der politischen Krise zeigt sich derzeit nicht. Die Lage könnte sich noch verschärfen. Die Opposition um Raila Odinga, die vor allem die Volksgruppe der Luo vertritt, denkt immer wieder laut darüber nach, dass ihre politischen Forderungen nur in einem eigenen Territorium, einem Luo-Staat, verwirklicht werden können