Keine Zuflucht in Deutschland:Flüchtling Snowden - Symbol des Widerstands

Keine Zuflucht in Deutschland: Whistleblower ohne Heimat: Nun hat der ehemalige Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden auch in Deutschland Asyl beantragt.

Whistleblower ohne Heimat: Nun hat der ehemalige Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden auch in Deutschland Asyl beantragt.

(Foto: AFP)

Edward Snowden ist ein klassischer politischer Flüchtling, wie es ihn schon lange gibt. In einem Kampf David gegen Goliath. Sein Mut verdient Anerkennung - die ihm von der Bundesregierung kleinmütig verweigert wird.

Ein Kommentar von Heribert Prantl

Edward Snowden ist ein klassischer politischer Flüchtling. Er ist ein Flüchtling, wie er im Buch steht. Dieses Buch spielt im 19. Jahrhundert. Damals war der Flüchtling noch Flüchtling und kein Asylant, damals erregte sich die Politik noch nicht über angebliche Wirtschaftsflüchtlinge, stand in den Zeitungen nichts von "Asyltourismus". Damals kamen Flüchtlinge nicht zu Tausenden, sondern waren so allein unterwegs wie Snowden. Damals bat ein Flüchtling noch nicht um Asyl, sondern er ging ins Exil. Der Flüchtling war ein Revoluzzer, dem die Polizei auf den Fersen war; er war ein Schriftsteller, der mit Zensur und Staatsgewalt aneinandergeraten war.

In Deutschland waren die Demokraten von 1832 und von 1848/49 solche Leute. Sie flohen vor dem Kerker in die Schweiz, nach Frankreich oder in die USA. Heinrich Heine ging nach Paris - und war dort um den Schlaf gebracht, wenn er in der Nacht an Deutschland dachte. Ein Flüchtling dieser Art ist Snowden, nur: gut hundertfünfzig Jahre später.

-

Beim Berlin-Besuch des US-Präsidenten Barack Obama demonstrieren Aktivisten gegen die Überwachungspolitik der USA

(Foto: AFP)

Wer Snowden beherbergt, kriegt Probleme mit den USA

Das bringt gewisse Schwierigkeiten mit sich; diese Schwierigkeiten sind nicht, wie ansonsten heute bei Flüchtlingen, innen- und sozialpolitischer, sondern außenpolitischer Art. Wer Snowden beherbergt, kriegt Probleme mit den USA. Das war damals, im 19. Jahrhundert auch so: Auch damals protestierten die Herkunftsländer gegen die Beherbergung der politischen Flüchtlinge. Bei der Aufnahme eines solchen Flüchtlings, zumal dann, wenn er prominent war, galt es damals wie heute außenpolitische Fragen zu beantworten: Konnte der Exilstaat in gefährliche Turbulenzen mit dem Heimatstaat des Flüchtlings geraten? Oder brachte die Aufnahme des Flüchtlings vielleicht gar politische Vorteile, womöglich ein Druckmittel gegen dessen Heimatland in die Hand?

Das waren die Hauptüberlegungen, damals. Dazu kam die Frage: Konnte man die Flüchtlinge brauchen? Die USA konnten seinerzeit, im 19. Jahrhundert, Flüchtlinge aus Deutschland gut brauchen. Es galt das Land aufzubauen; und im Krieg gegen die Südstaaten standen auch Europäer ihren Mann. Vorteile solcher Art hat ein Aufnahmeland heute von einem Edward Snowden nicht.

Aber: Snowden ist ein Symbol. Er ist ein Symbol des zivilcouragierten Widerstands eines Einzelnen gegen ein mächtiges staatliches System. Er ist der Winzlings-David gegen den Super-Goliath; und sein Problem ist, dass er mit seiner Schleuder den Goliath nicht umgeworfen, sondern gereizt hat. Jetzt steht er ziemlich schutzlos da, weil er seine Schleuder gebraucht und seine Munition schon ziemlich verbraucht hat. Also braucht er den Schutz einer anderen, wenigstens goliath-ähnlichen Macht.

Snowden verdient Anerkennung

Edward Snowden hat Verdienste. Er hat sich mit der Aufdeckung der US-Geheimdienst-Machenschaften verdient gemacht um die rechtsstaatliche Demokratie; er hat eine Diskussion in Gang gesetzt, die den Rechtsstaat davor schützen könnte, dass er sich selbst kaputt macht; er hat Macht-Missbrauch aufgedeckt und einen frivolen Umgang mit den Grundrechten europäischer Bürger und den Grundrechten ihrer gewählten Vertreter in den EU-Gremien.

Lausch-Angriffe und Hacker-Angriffe heißen nicht nur so; sie sind auch Angriffe. In der neuen US-Doktrin gelten sie, falls sie massiv gegen die USA gerichtet sind, gar als Kriegsgrund. Snowden hat womöglich verhindert, dass die USA Krieg mit sich selbst und ihren Idealen führen. Das verdient Respekt.

Gewiss: Snowden hat gegen das US-Gesetz, er hat gegen US-Geheimhaltungsvorschriften verstoßen; aber er kann sich auf Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe berufen. Er hat Landesverrat begangen, ohne ein echter Verräter zu sein, weil er dem Rechtsstaat Nothilfe geleistet hat. Das verdient Anerkennung, durch Justiz und Staat, in Deutschland und in Amerika.

Auslieferungsvorschriften gehen vor Asyl

Die Anerkennung durch den deutschen Staat könnte in einer vorübergehenden Aufenthaltserlaubnis liegen; dann könnte Snowden versuchen, sich Asyl zu erstreiten. Das wäre eine humane Geste; aber die Bundesregierung verweigert diese Geste. Das ist sehr kleinmütig.

Asyl würde Snowden womöglich wenig helfen - da im Zweifel, so das Gesetz, die Auslieferungsvorschriften vorgehen. Zwischen Deutschland und den USA, auch zwischen der EU und den USA bestehen Auslieferungsabkommen. Das Asylverfahrensgesetz legt fest, dass Asylentscheidungen für das Auslieferungsverfahren nicht verbindlich sind; Auslieferung geht vor. Das heißt: Deutschland ebenso wie die EU verlassen sich auf die Rechtsstaatlichkeit der USA. Die USA sollten alles tun, um wachsende Zweifel an ihrer Rechtsstaatlichkeit zu zerstreuen; sonst könnte in Europa vieles in Frage gestellt werden, auch das Auslieferungsabkommen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: