Süddeutsche Zeitung

Die Sozialdemokraten und der K-Kandidat:SPD übt sich im Laissez-faire

Fast drei Millionen Franzosen haben in einer offenen Vorwahl den sozialistischen Präsidentschaftskandidaten bestimmt. Ein Vorbild für die deutsche Schwesterpartei, ihren Kanzlerkandidaten zu küren? Nein, sagt ihre Generalsekretärin. Und führt wenig überzeugende Begründungen an.

Nico Fried

Die Parti socialiste (PS), die Schwesterpartei der SPD, hat 230.000 Mitglieder. An den offenen Vorwahlen der französischen Sozialisten zur Bestimmung eines Präsidentschaftskandidaten haben sich fast drei Millionen Personen beteiligt. Im derzeit dominierenden Finanzdeutsch würde man von einer Hebelwirkung von 1:10 durch diese neue Form der Wählermobilisierung sprechen. Kaum zu messen ist darüber hinaus das Maß der Aufmerksamkeit, das die Oppositionspartei unter den Bürgern mit dieser Öffnung für die Bürger erreichen konnte.

Das Echo der deutschen Sozialdemokraten auf den französischen Weg ist schnell beschrieben: Es gab keins. Tagelang. Die SPD schwieg. Und vermutlich schwieg mancher Genosse auch wegen seines schlechten Gewissens. Denn die SPD hat sich in den vergangenen Monaten ja durchaus mit der Frage beschäftigt, wie Nichtmitglieder stärker aktiviert werden könnten.

Die Vorschläge von Parteichef Sigmar Gabriel und Generalsekretärin Andrea Nahles zur Personalauswahl auch beim Kanzlerkandidaten ähnelten dem französischen Verfahren. Die SPD-Debatte über eine Öffnung der Partei jedoch wurde vor allem als Debatte darüber geführt, wie zu viel Öffnung verhindert werden kann. Zudem wurde die Diskussion unter Ausschluss fast jeglichen öffentlichen Interesses geführt. Die Hebelwirkung bislang war mithin gleich null.

Andrea Nahles hat sich nun immerhin die Mühe gemacht, zu begründen, weshalb in Deutschland absehbar nicht sein soll, was in Frankreich ist. In einem Beitrag für Zeit Online nennt die Generalsekretärin mehrere Gründe, die allesamt nicht sonderlich überzeugend sind - was daran liegen könnte, dass Nahles nun die sich abzeichnende Parteilinie zu vertreten hat, die offenbar nicht wirklich ihre eigene ist.

So erschließt sich kaum, weshalb eine Kandidatenwahl in einem Land, wo das Volk den Präsidenten direkt wählt, eine andere Wirkung haben sollte als im deutschen System. Natürlich ist das System in Frankreich (wie in den USA) stärker auf Personen zugeschnitten. Aber heißt es nicht auch in Deutschland schon seit Adenauer: Auf den Kanzler kommt es an? Auch die Bundestagswahl ist längst in hohem Maße eine auf die Person des Regierungschefs zugespitzte Wahl. Und das schönste Programm voller Wohltaten hilft wenig, wenn nicht eine glaubwürdige Person an der Spitze steht.

Die Bedeutung der Parteien in Frankreich sei geringer, sie hätten auch weniger Mitglieder als die deutschen Volksparteien, schreibt Nahles. Die PS und die konservative UMP haben mit rund 500.000 Mitglieder zusammen nur so viele wie SPD und CDU einzeln. Das stimmt.

Aber die deutschen Mitgliedszahlen sind nicht statisch, sondern dynamisch - und zwar mit einer klaren Richtung: abwärts. Die sozialdemokratischen 500.000 von heute sind schließlich nur noch die Hälfte der einen Million, auf die die SPD einst stolz sein konnte. Die sozialdemokratischen 500.000 von heute sind deshalb kein Argument, etwas zu bewahren, sondern vor allem ein Grund, etwas zu ändern.

Zumal die jetzigen Mitglieder der SPD nicht gerade Aktivposten der Parteiarbeit zu sein scheinen. Der hessische SPD-Generalsekretär Michael Roth hat jüngst eine bemerkenswerte Zahl genannt: Von den 60.000 hessischen SPD-Mitgliedern haben nur 17.000 der Partei eine E-Mail-Adresse mitgeteilt. Dafür kann es mehrere Gründe geben: Manche Mitglieder fühlen sich vielleicht zu alt für dieses Internet-Zeugs, andere wollen von der Partei nicht mit zu viel Informationen behelligt werden.

Welche Gründe auch immer es sind, sie können für die SPD nicht erfreulich sein. 17.000 von 60.000 - das ist ist weniger als Drittel. Wenn man dieses Verhältnis auf die Bundespartei umlegt, landet man bei nur noch rund 150.000 Mitgliedern, die für die politische Arbeit wirklich mobilisierbar sind.

Umso schwerer verständlich ist es, dass es nicht nur, aber auch der hessische Landesverband war, der eine verbindliche Öffnung der Partei in Personalfragen über die bereits bestehenden Möglichkeiten hinaus verhindert hat. In vielen Teilen der SPD gibt man Machtfragen lieber nicht aus der Hand. Die Funktionäre ziehen es vor, weiter im eigenen Saft zu schmoren.

Dabei könnte die Öffnung der Kandidatenauswahl für Nichtmitglieder auch die Mitglieder mobilisieren. Denn je mehr Mitglieder sich an der Abstimmung beteiligen, desto geringer ist Gefahr, dass die Partei von anderen Interessen unterwandert wird. Anders gesagt: Wenn in Frankreich bei nur 230.000 Mitgliedern der Kandidat gewonnen hat, dem auch in neutralen Umfragen die besten Chancen gegen Präsident Nicolas Sarkozy gegeben werden, dann ist die Wahrscheinlichkeit einer Unterwanderung durch den politischen Gegner bei doppelt so vielen Mitgliedern offensichtlich noch viel geringer.

Für Deutschland und die Wahl 2013 sind die Chancen auf eine Urwahl unter Beteiligung von Nichtmitgliedern der SPD so gut wie erledigt. Es sei denn, diejenigen, die dafür in Frage kommen, schlagen einen solchen Weg noch einmal gemeinsam vor. Wenn sich Sigmar Gabriel, Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier zutrauen, Angela Merkel zu schlagen, dann gibt es eigentlich keinen Grund, vor einem Kräftemessen mit den eigenen Genossen zu kneifen.

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