Die Regierung Merkel muss bis zu ihrem regulären Ende, bis 2013 halten: Nicht deswegen, weil sie so gut ist, sie ist es nicht; nicht deswegen, weil sie so stabil ist, sie ist es nicht. Auch nicht deswegen, weil sich die Koalitionäre so gut verstehen; sie tun es nicht. Diese Koalition ist, wie jeder weiß, ein Bündnis nicht auf Gedeih, sondern auf Verderb. Es ist die wohl trübsinnigste Koalition, welche die Bundesrepublik je hatte, und die Früchte ihrer Politik sind meist ungenießbar. Einen Baum, der solche Früchte trägt, würde man umhauen.
Angela Merkel und Philipp Rösler kalkulieren offenbar damit, dass das alte Wahlrecht für sie günstig ist.
(Foto: AP)Aber mit dieser Regierung geht das nicht. Selbst wenn Angela Merkel den Schröder machen und wie er vorzeitig Neuwahlen erzwingen wollte, wie dieser es 2005 getan hat - es ginge nicht: Es gibt nämlich vom 1. Juli an kein gültiges Wahlgesetz mehr, auf dessen Basis ein neuer Bundestag gewählt werden könnte. Und vor 2013 wird das neue Wahlrecht anscheinend nicht fertig. Das Parlament hat die Anordnung des Bundesverfassungsgerichts missachtet, bis zum 30. Juni 2011 ein neues, verfassungskonformes Wahlgesetz zu schaffen. Wenn die Regierung Merkel platzt, fallen die Fetzen also ins rechtlich Bodenlose.
Karlsruhe hatte vor drei Jahren das bisherige Wahlverfahren für "widersinnig", "willkürlich" und daher "verfassungswidrig" erklärt; es kann nämlich dazu führen, dass ein Mehr an Stimmen ein Weniger an Mandaten erbringt; im Zentrum der Karlsruher Kritik stand dabei das System der Überhangmandate. Das Bundesverfassungsgericht hat es noch für eine Übergangszeit akzeptiert; die ist verstrichen, es gibt ab 1. Juli kein Wahlrecht mehr, das Recht ist.
Das ist ein bitteres Versagen des Parlaments, zumal der dortigen Mehrheitsfraktionen CDU/CSU und FDP, die offenbar damit kalkulieren, dass das alte Wahlrecht günstig für sie ist. In bewusster und frivoler Fahrlässigkeit bringen sie den Staat in eine potentiell krisenhafte Lage: wenn vor Ablauf der Legislatur neu gewählt werden müsste - dann müsste auf einer Basis gewählt werden, die keine Basis mehr ist. Es würde eine Bundestagswahl stattfinden, der Legitimität und Legalität fehlen. Das ist die prekäre Situation, die der Bundestag in Berlin der deutschen Demokratie zumutet.
Nun könnte man beschwichtigend sagen, es sei doch nicht das erste Mal, dass die Politik Karlsruher Fristen missachtet - auch bei der Neufassung der Hartz-IV-Gesetze war das so. Aber es geht hier um den Kern der Demokratie, um ihr Alpha und Omega. Wer ein giftiges Wahlrecht nicht reformiert, vergiftet die Demokratie. Drei Jahre lang hatte der Gesetzgeber nach dem Karlsruher Urteil Zeit, gründlich zu arbeiten: Er hat diese Generosität des Gerichts missverstanden. Der Gesetzgeber hat die Arbeit am neuen Wahlgesetz so kalkuliert saumselig betrieben, dass es vielleicht gerade noch rechtzeitig vor der Kandidaten- und Listenaufstellung für die nächste reguläre Bundestagswahl 2013 fertig wird. Man muss die möglichen Szenarien durchspielen, um zu ermessen, was dieser üble Schlendrian der Demokratie antut.