Kein Baustopp bei Stuttgart 21:Mappus versteht nur Bahnhof - Geißler rudert zurück

Verwirrung in Stuttgart: Erst kündigt Schlichter Heiner Geißler ein Aussetzen der Bauarbeiten am Hauptbahnhof an, die Protestbewegung jubelt. Zwei Stunden später widersprechen Bahnchef Grube und Ministerpräsident Mappus: Sie hätten nie einem Baustopp zugestimmt - was Geißler dann auch bestätigt.

Nach der Verwirrung um einen angeblichen Baustopp beim umstrittenen Bahnprojekt Stuttgart 21 rudert Vermittler Heiner Geißler zurück. Er widersprach der Darstellung, wonach es während der Gespräche eine generelle Unterbrechung der Bauarbeiten geben solle. "Während geredet wird, während wir die Schlichtung durchführen, in diesem Zeitraum werden die Bauarbeiten nicht weitergeführt", konkretisierte Geißler gegenüber der Bild-Zeitung.

Stuttgart 21 - Bahnhof Südflügel

Der Baustopp wird von der Protestbewegung weiter gefordert - nur kommen wird er wohl nicht.

(Foto: dpa)

Das habe auch die Landesregierung bestätigt: Der Südflügel des Bahnhofes und die Bäume blieben während der Schlichtungsgespräche stehen. Andere Vorbereitungsarbeiten für das Bahnhofs-Projekt liefen indes weiter. "Es gibt überhaupt keinen Dissens", betonte Schlichter Geißler. In den Tagesthemen bezeichnete Geißler das Missverständnis als "ein Zeichen, wie aufgeregt die Situation ist."

Dabei klang Geißler am Nachmittag noch ganz anders: Auf einer symbolträchtigen Pressekonferenz erklärte der ehemalige CDU-Generalsekretär am Hauptbahnhof: "Der Ministerpräsident war einverstanden mit einem Bau- und Vergabestopp. Er ist ja ein gescheiter Mensch."

Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) stellte unterdessen noch einmal klar, dass die Arbeiten am Milliarden-Projekt weitergehen. Von einem Baustopp wollte er nicht sprechen. "Es steht das Grundwassermanagement an, und das geht weiter. Es ist die Voraussetzung für alles Andere", sagte Mappus am Donnerstagabend im SWR. Der Verzicht auf Abrissarbeiten am Südflügel sei ein klares Zugeständnis. Es wäre allerdings viel effizienter, auch den Südflügel des Hauptbahnhofs jetzt dem Erdboden gleich zu machen.

Grünen-Fraktionschef Winfried Kretschmann sagte, die Gespräche würden an dem Grundwassermanagement nicht scheitern. Er forderte alle Seiten auf, auch verbal abzurüsten: "Ich gehe davon aus, dass die Demonstrationen so nicht mehr stattfinden." Er erwarte nun auch von den Gegnern des Projekts, dass sie die Hand ausstrecken.

Ist eine "Friedenspflicht" gleichbedeutend mit einem Baustopp?

Begonnen hatte das Verwirrspiel, als der am Mittwoch als Vermittler eingesetze Geißler am Donnerstagnachmittag erklärte, die Bauarbeiten würden voraussichtlich bis Ende des Jahres gestoppt. Bahnchef Rüdiger Grube und Mappus hätten dies zugesagt. "In dieser Frage bestand völlige Übereinkunft, dass für die Zeit der Schlichtungsgespräche völlige Friedenspflicht herrscht", sagte Geißler im SWR-Fernsehen. Dies könne man als Baustopp bezeichnen.

Mappus und Grube nannten die von Geißler zunächst verwendete Formulierung "vorläufiger Baustopp" dagegen "etwas missverständlich". Geißlers Vermittlung im Konflikt könnte damit kurz nach dem Auftakt schon vor dem Ende stehen. Geißler kündigte ursprünglich in einem SZ-Interview an, dass während den Verhandlungen "keine vollendeten Tatsachen geschaffen werden dürften" - und fügte hinzu: "Wenn einer nicht einverstanden ist, dann ist die Veranstaltung beendet." Er werde sich nicht für eine "Alibi-Veranstaltung" hergeben.

Volksabstimmung zu Stuttgart 21 wäre rechtens

SPD-Landeschef Nils Schmid erklärte, die schwarz-gelbe Regierung versinke im Chaos. "Mappus demontiert seinen eigenen Schlichter", sagte er. Der Regierungspartner FDP zeigte sich dagegen zufrieden, dass Mappus nicht von der ursprünglichen Linie abweicht. Grube erklärte den Stuttgarter Nachrichten, er habe mit Geißler bislang nur ein einziges Mal telefoniert. Dabei sei über Inhalte gar nicht gesprochen worden.

CDU-Landtagsfraktionschef Peter Hauk hingegen versuchte sich an einem Erklärungsversuch für das Verwirrspiel: Geißler habe sich zu früh geäußert, so Hauk. "Es wäre klüger gewesen, mit möglichst vielen Beteiligten zu sprechen, um auszuloten, wie die Positionen sind." Aber der CDU-Politiker ist dennoch zuversichtlich, dass Geißler erfolgreich weitervermittelt: "Das war eine lässliche, aber heilbare Unterlassungssünde des Schlichters."

Trotz der harten Haltung von Land und Bahn wurden Teile der Arbeiten eingestellt: Die Deutsche Bahn darf auf dem Stuttgart-21-Gelände vorerst keine Bäume mehr fällen, weil dort seltene Tiere leben. Die DB Projektbau müsse erst einen Plan zum Schutz von Juchtenkäfern und Fledermäusen im Mittleren Schlossgarten vorlegen, verfügte das Eisenbahnbundesamt. Bei Zuwiderhandlung droht ein Zwangsgeld von 250.000 Euro.

"Eine Kündigung könnte in Betracht kommen"

Auch von juristischer Seite gab es Neues: Eine landesweite Volksabstimmung über das Bahnprojekt wäre nach einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags doch zulässig. "Ein einseitiger Ausstieg vonseiten des Landes Baden- Württemberg aus dem Projekt " Stuttgart 21" verstieße nicht gegen bundesrechtliche Bindungen", heißt es in der Expertise. Zwar habe sich das Land vertraglich zur Realisierung des Plans verpflichtet. "Sollten aber ein Festhalten an dem Vorhaben den Frieden in der Region nachhaltig stören und das Vertrauen der Bevölkerung in den Staat und seine Institutionen bleibend beschädigen, könnte eine Kündigung des Vertrages in Betracht kommen." Das Gutachten hatte der der baden-württembergische SPD-Bundestagsabgeordnete Peter Friedrich in Auftrag gegeben.

Dies widerspricht einer Studie des Verfassungsjuristen Paul Kirchhof. Dieser hatte erklärt, für den Bau von Bahnstrecken sei der Bund und nicht das Land zuständig. Kirchhof hatte die Zulässigkeit eines von der SPD gewünschten Plebiszits im Auftrag von Ministerpräsident Mappus untersucht.

Stuttgart 21 sieht den Umbau des Stuttgarter Kopfbahnhofs in eine unterirdische Durchgangsstation und deren Anbindung an die geplante ICE-Neubaustrecke nach Ulm vor. Das Projekt soll laut Bahn 4,1 Milliarden kosten. Hinzu kommt die neue Schnellbahnstrecke nach Ulm, die mit 2,9 Milliarden Euro zu Buche schlagen soll. Kritiker rechnen mit erheblich höheren Kosten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: