Süddeutsche Zeitung

Türkei:Osman Kavala bleibt in Haft

Ein Istanbuler Strafgericht entscheidet, dass der seit Jahren ohne Schuldspruch inhaftierte Kulturmäzen weiterhin nicht freikommt. Der Türkei droht jetzt der Ausschluss aus dem Europarat.

Von Tomas Avenarius, Istanbul

Der türkische Zivilgesellschafts-Aktivist Osman Kavala bleibt weiter in Haft. Nachdem ein Istanbuler Strafgericht den seit vier Jahren ohne einen Schuldspruch inhaftierten Kulturförderer am Freitag auch in der jüngsten Runde des Verfahrens wegen der Gezi-Proteste von 2013 nicht freigelassen hatte, droht der Türkei damit ein Verfahren zum Ausschluss aus dem Europarat. Beobachter und Unterstützer Kavalas hatten spekuliert, der 64-Jährige könne in dieser jüngsten Verfahrensrunde freikommen, weil Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan sich aufgrund der angespannten Wirtschaftslage keine neuen politischen Konflikte mit Europa erlauben könne.

Das Verfahren gegen den Istanbuler Unternehmer Kavala gilt wegen seiner fadenscheinigen juristischen Konstruktion als Paradebeispiel mangelnder Rechtsstaatlichkeit und politisierter Justiz in der heutigen Türkei. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte im Dezember 2019 geurteilt, dass der Mäzen zu Unrecht festgehalten werde und freizulassen sei. Da Ankara dieses Urteil missachtet, droht nun ein mehrstufiges Verfahren zum Ausschluss der Türkei aus dem Europarat. Es wird Anfang Dezember beginnen.

Kavala war im Oktober 2017 festgenommen worden. Vorgeworfen wurde ihm damals, die Gezi-Proteste organisiert und finanziert zu haben. Der Gezi-Park im Zentrum Istanbuls sollte gerodet und zerstört werden, um ein Einkaufszentrum zu bauen. Dieses von Staatspräsident Erdoğan befürwortete Bauprojekt führte im Sommer 2013 zu dreimonatigen Protesten, die auf das gesamte Land übergriffen. Die Polizei ging hart gegen die zivilgesellschaftlich organisierten Demonstranten vor, mehrere Menschen starben.

Die Justiz warf Kavala bei seiner Festnahme 2017 einen "Umsturzversuch gegenüber der verfassungsmäßigen Ordnung der Türkei" vor. Präsident Erdoğan schmähte den Unternehmer als angeblichen verlängerten Arm des US-amerikanischen Investoren und Philantropen George Soros; Kavala solle demnach im Auftrag des Amerikaners die politische Ordnung der Türkei unterwandern.

Direkt nach dem Freispruch 2019 kam ein neues Verfahren

Ende 2019 wurde Kavala aber überraschend freigesprochen. Er kam jedoch nie frei: Direkt nach seinem Freispruch wurde ein neues Verfahren eingeleitet. Zusätzlich zu den Vorwürfen wegen der Gezi-Proteste behauptet die Staatsanwaltschaft nun, der Kulturförderer stehe unter dem Verdacht der Spionage.

An der jüngsten Prozessrunde nahm Kavala nicht mehr persönlich teil. Früher war er wegen Corona per Video-Konferenz zugeschaltet worden, jetzt weigerte sich, überhaupt noch teilzunehmen. Da der Staatspräsident sich persönlich gegen ihn stelle, halte er es "für sinnlos, an den Anhörungen teilzunehmen und mich zu verteidigen."

Weite Teile der türkischen Zivilgesellschaft und der Opposition stehen hinter Kavala. Bei den Solidaritätskundgebungen vor dem Gerichtsgebäude sagte der CHP-Abgeordnete Sezgin Tanrıkulu, Kavala bleibe nur deshalb in Haft, "weil der Staatspräsident als Chefankläger der Türkei dies so will".

Zusätzliches politisches Gewicht gewonnen hatte der Fall vor wenigen Wochen, als zehn westliche Botschafter sich öffentlich für die Freilassung Kavalas ausgesprochen hatten. Unter den Diplomaten waren die Vertreter Deutschlands, Frankreichs und der USA. Präsident Erdoğan drohte, die Diplomaten wegen Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes verweisen zu lassen. Entschärft wurde der Konflikt erst, als die zehn betroffenen Staaten erklärten, gängige diplomatische Gepflogenheiten zu respektieren und sich nicht in die inneren Angelegenheiten ihres Gastlandes einzumischen.

Die neue Runde des Verfahrens war mit Spannung erwartet worden, weil nach der Nichtfreilassung nun das Verfahren zum Ausschluss der Türkei aus dem Europarat beginnen dürfte. Dies würde Anfang Dezember mit einem sogenannten Vertragsverletzungsverfahren starten. Der Ausschluss eines Europarat-Mitgliedes ist ein langwieriger Prozess, es bedarf einer Zwei-Drittel-Mehrheit für den Ausschluss. Europarat-Mitglieder wie Russland, die Bürger ebenfalls aus politischen Gründen inhaftiert haben, könnten gegen den Ausschluss der Türkei stimmen.

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