Süddeutsche Zeitung

Kaukasus:Reine Vorsichtsmaßnahme

In Georgien protestierten Tausende gegen den Einfluss Russlands, dann verbot der Kreml Flüge in das Land. Über eine Entfremdung.

Von Frank Nienhuysen

Ilja Kusikaschwili wirbt auf seiner Webseite mit dampfenden Schaschlik-Spießen und dem Blick auf das Alasani-Tal, wilder Wein leuchtet und wirft Schatten zugleich. Es läuft gut für den Georgier, denn er führt ein Gästehaus an einem der beliebtesten Orte im gesamten Kaukasus: Sighnaghi, ein in den vergangenen Jahren herausgeputztes uriges Städtchen in der Weinregion Kachetien. Am Telefon sagt Kusikaschwili, er könne alle Sprachen, spricht sich dann dafür aus, das Gespräch auf Russisch zu führen, denn obwohl er auch Chinesen bewirtet, Deutsche und andere Europäer: Sein Russisch ist perfekt. Was sehr praktisch ist, denn fast die Hälfte seiner Gäste kommt aus Russland. Doch in den vergangenen Tagen kamen aus Russland nicht nur Touristen, sondern auch ein paar Absagen. Kusikaschwili gibt sich gelassen, denn die Nachfrage aus dem Ausland bleibt insgesamt groß, aber er sagt auch: "Das Ganze ist schlecht für den Tourismus in Georgien."

Das Ganze, zusammengefasst: An diesem Montag tritt ein Verbot in Kraft, das der russische Präsident Wladimir Putin vor knapp zwei Wochen per Dekret unterzeichnet hat. Alle Flüge von Russland nach Georgien werden vom 8. Juli an ausgesetzt, russischen Reisebüros wird empfohlen, vorerst keine Touren in den südkaukasischen Staat mehr anzubieten. Anlass waren gewaltsame Ausschreitungen in Tiflis, nachdem der russische kommunistische Abgeordnete Sergej Gawrilow sich bei einer kirchlichen Veranstaltung auf den Platz des georgischen Parlamentspräsidenten gesetzt hatte. Es gab Tumulte, der russische Gast wurde hinausgeleitet, Tausende Menschen demonstrierten; gegen die georgische Regierung und einen wachsenden Einfluss Russlands.

Die Antwort aus Moskau kam prompt und scharf. Das Flugverbot, offiziell angeordnet, um die vielen russischen Bürger in Georgien zu schützen, könnte das Land empfindlich treffen. Der russische Ministerpräsident Dmitrij Medwedjew drückte sich so aus: Wenn sich "eine antirussische Hysterie" ausbreite, könne er einen Aufenthalt dort nicht empfehlen, "dann wird die georgische Wirtschaft echt Probleme bekommen". Das klingt nach einer unverhohlenen Drohung, und das Flugverbot ist bereits eine weitaus stärkere Konsequenz, als wenn Moskau etwa allgemein zur Vorsicht bei großen Menschenansammlungen gemahnt hätte. Tiflis weiß, was das bedeuten kann. Denn die Tourismusbranche ist in Georgien eine wichtige Säule. Nachdem Russland und Georgien im August 2008 fünf Tage gegeneinander Krieg geführt hatten und Moskau die völkerrechtlich zu Georgien gehörenden Gebiete Südossetien und Abchasien als unabhängige Staaten anerkannt hatte, brach der Besucherstrom aus dem großen Nachbarstaat rapide ab.

Doch in den vergangenen Jahren sind die Urlauber aus Russland zurückgekommen. Die Wachstumsraten sind seitdem zweistellig. Allein im vorigen Jahr besuchten mehr als 1,6 Millionen russische Touristen das gebirgige Kaukasusland, die Hauptstadt Tiflis, die Weinanbaugebiete Kachetiens, die Berge Swanetiens, die Strände am Schwarzen Meer. Sollte das Flugverbot dauerhaft bestehen, droht der georgischen Tourismusindustrie nach Schätzungen ein Verlust von bis zu 300 Millionen Dollar. Doch es trifft auch Russen selber.

Der Kremlsprecher versichert, es gebe hier "keinerlei politischen Konflikt"

Zum Beispiel Wjatscheslaw Scheltow, der in Moskau für das Reisebüro Mama Grusia arbeitet. "Viele Kunden haben ihre Urlaube storniert, und wir haben das Geld zurückgezahlt", sagt er am Telefon. Die politische Lage will er nicht kommentieren, doch das Flugverbot heißt er schon aus eigenen Interessen nicht gut. In den vergangenen Jahren sei die Nachfrage nach Georgien-Reisen jeweils fünf-, sechsfach gestiegen, sagt Scheltow. "Georgien ist reich an Geschichte, es gibt viele Kirchen, die Schwarzmeerstadt Batumi, die Preise sind vergleichsweise niedrig." Und Russisch könnten die meisten Georgier auch.

Statt der Direktflüge bietet Scheltow nun Flüge über Weißrussland an, Armenien, oder Istanbul. Seine Kunden versucht er zu beruhigen; dass russische Touristen gefährdet seien, kann er nicht bestätigen. "Ich stehe ständig in Kontakt mit Urlaubern und den Partnern in Georgien, unsere Gäste fühlen sich immer sehr freundlich behandelt, es ist dort alles normal".

Der russische Publizist Andrej Kolesnikow schrieb in der russischsprachigen New Times, "der russische Staat setzt beharrlich seinen Krieg gegen die eigene Bevölkerung fort, in dem er die Richtung von Ein- und Ausreisen und den Bestand der Lebensmittel reguliert." Die Reizschwelle im russisch-georgischen Verhältnis ist in den vergangenen zwei Wochen spürbar gesunken, und betroffen ist nicht nur der Reiseverkehr. Nur wenige Tage nach dem Dekret zum Flugverbot gab die russische Verbraucherschutzbehörde bekannt, dass sie die Qualitätskontrollen an der Grenze verstärkt und die Lieferung von acht georgischen Weinproduzenten gestoppt habe. Mehr als 200 000 Liter georgischen Weins hätten im vorigen Jahr die erforderlichen Standards nicht erreicht. Wein, der bei den Russen eigentlich sehr begehrt ist.

Kremlsprecher Dmitrij Peskow versicherte sogleich, dass "es hier keinerlei politischen Konflikt" gebe und es lediglich um "vorbeugende Maßnahmen zum Schutz unserer Bürger" gehe. Doch ein Einfuhrverbot für georgischen Wein hat es bereits von 2006 bis 2013 gegeben, und die Vermutung drängte sich auf, dass damals politisches Interesse sehr wohl im Spiel war. Der Beginn des Verbots fiel in die Zeit, als der in Russland verhasste damalige georgische Präsident Michail Saakaschwili Kurs Richtung Nato und Europäische Union nahm, und der Bann endete, als in Tiflis eine Regierung übernahm, die ein pragmatisches Verhältnis zu Russland anstrebte.

Auch auf die Kunst droht sich der russisch-georgische Zwist bereits auszuweiten. Die georgische Jazz-Sängerin Nino Katamadze kündigte an, dass ihr Auftritt bei einem Festival in Moskau am 22. Juni ihr letztes Konzert in Russland gewesen sei. Kremlsprecher Peskow wiederum rief russische Künstler dazu auf, an ihre Sicherheit zu denken, wenn sie Auftritte in Georgien planten.

Erstaunlich sind die Spannungen vor allem, da die Proteste in Tiflis sich in erster Linie gegen die eigene Regierung richteten. Der georgische Parlamentspräsident trat nach den Protesten bereits zurück, die Regierungspartei Georgischer Traum erfüllte mit der Ankündigung eines neuen Wahlrechts eine weitere Forderung der Demonstranten, die nun wiederum auch den Rücktritt des georgischen Innenministers fordern. Der russische Autor Kolesnikow vermutet deshalb, dass die in Russland gesunkenen Werte für Präsident Putin dazu beitragen könnten, dass "die Außenpolitik auf den Bildschirm zurückkehrt". Die Nowaja Gaseta dagegen titelte nach der Ankündigung des Flugverbots eine Reportage aus Georgien mit dem Zitat: "Das wurde extra dafür gemacht, damit die Leute auf die Krim reisen." Nur für Georgien macht das vermutlich kaum einen Unterschied.

Das Land setzt auf weitere Wirtschaftsverbündete, einer davon ist China

Russland ist ein wichtiger Nachbar und großer Markt, doch zwischen den beiden Ländern steht die Lage in Abchasien und Südossetien; die georgische Regierung und die Opposition sehen Russland als Besatzer. Die Regierungspartei, Georgischer Traum, gilt in den Augen der Opposition als zu russlandfreundlich, doch in ihrer bisherigen Regierungszeit fiel die Unterzeichnung des Assoziierungsvertrags mit Brüssel, der gestiegene Handel mit der EU, die Visafreiheit der Georgier für die Staaten der Europäischen Union. Ohne dass allerdings eine Aufnahme in Aussicht steht.

Das Land setzt deshalb auf weitere Wirtschaftsverbündete, und einer davon ist China. Georgien ist der einzige Staat im Kaukasus, der sowohl ein Freihandelsabkommen mit der EU als auch mit der Volksrepublik hat. China ist Georgiens viertgrößter Handelspartner, erst am Donnerstag war Regierungschef Mamuka Bachtadse in China zu Besuch. Und auch in anderer Richtung bewegt sich was. Die Zahl der chinesischen Touristen in Georgien ist im ersten Quartal gestiegen - um knapp 60 Prozent.

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SZ vom 05.07.2019
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