Kaukasus-Konflikt:Die Schuld Georgiens

Nicht nur Russland war verantwortlich für den Krieg im August - auch die Regierung in Tiflis suchte den Konflikt.

Margarita Achwlediani

Endlich gibt es Anzeichen dafür, dass sich die internationale Bewertung Georgiens ändert. Die Parlamentarische Versammlung des Europarats hat Anfang Oktober eine Resolution verabschiedet. Darin wurde zum ersten Mal öffentlich eingeräumt, dass nicht nur Russland, sondern auch Georgien Verantwortung trägt für die Verletzung der "Verpflichtung, Konflikte mit friedlichen Mitteln beizulegen".

Kaukasus-Konflikt: "Stoppt Russland" steht auf einem Plakat in Tiflis. Doch auch Georgien ist nicht ganz unschuldig an dem Konflikt.

"Stoppt Russland" steht auf einem Plakat in Tiflis. Doch auch Georgien ist nicht ganz unschuldig an dem Konflikt.

(Foto: Foto: dpa)

Die Versammlung versprach zudem, über die Gründung eines parlamentarischen Ad-hoc-Komitees nachzudenken, das georgischen und russischen Abgeordneten als "Diskussions-Club" dienen könnte. Dessen Hauptzweck bestünde darin, "Wege aus der derzeitigen Sackgasse vorzuschlagen und in die Zukunft zu blicken".

Es sieht so aus, als habe Europa einen ersten Schritt in Richtung Zukunft gemacht, indem es anerkannt hat, dass beide Konfliktparteien verantwortlich sind für Hunderte getötete Osseten und Georgier, sowie für Tausende, die zu Flüchtlingen wurden. Gerechtigkeit mag etwas Altmodisches sein, aber sie ist unabdingbar, wenn Ruhe in die komplizierte Region mit Georgien, den rebellischen Gebieten sowie Russland gebracht werden soll. Und erst recht, wenn dort langfristig Stabilität geschaffen werden soll.

Der August-Krieg zeigte nicht nur, wie faul all die russischen Erklärungen über "friedenserhaltende Operationen" waren, wegen derer ihre Truppen angeblich seit Jahren in Abchasien und Südossetien waren - sondern auch, dass die Zusicherungen, die die georgische Regierung ihren Minderheiten gegeben hatte, keineswegs mehr Bedeutung besaßen.

Soldaten schwenkten die Fahnen von Friedenstruppen

Als die georgische Regierung in der Nacht vom 7. auf den 8. August Zchinwali, die Hauptstadt von Südossetien, angriff, da interessierte sie nicht, dass dabei Zivilisten ums Leben kommen würden. Da vergaß sie auch ihre früheren Erklärungen, den Osseten dieselben Bürgerrechte zu gewähren wie den Georgiern. Als Antwort darauf attackierten russische Streitkräfte Georgien, sie bombardierten Städte und Dörfer, töteten Hunderte, besetzten das Land - und schwenkten dabei zynisch die blauen Flaggen von Friedenstruppen.

Der Westen entschied sich in dieser Situation für die eindeutige Unterstützung von Georgien. Zuvor hatte er jahrelang versucht, in den Auseinandersetzungen zwischen Georgien und Russland ein "unparteiischer" Vermittler zu sein. Nun aber wurde Russland heftig beschuldigt, schamlos in einen Nachbarstaat einmarschiert zu sein und ihn zerstört zu haben. Indes gab es bis Anfang Oktober keine Anzeichen für öffentliche Kritik an Georgien - bis eben zu der Resolution des Europarats, dem unter anderem alle Mitgliedsländer der EU angehören.

Seit Beginn der Auseinandersetzungen sind Georgien und Russland damit beschäftigt, sich gegenseitig die Schuld am Krieg zuzuschieben. Und die Menschen in Russland wie in Georgien haben sich, ebenso wie in den aufständischen Regionen Südossetien und Abchasien, größtenteils vom gleichen Gefühl überwältigen lassen: "Wir sind die Opfer, und die anderen sind die Kriegstreiber."

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum jetzt ein neues Kapitel in der Geschichte Georgiens beginnt.

Die Schuld Georgiens

Menschen unter Schock verbreiten abschreckende Kriegsgeschichten, die vor ethnischen Vorurteilen und Überempfindlichkeiten triefen, und dabei werden sie von der offiziellen Propaganda unterstützt. Wir brauchen dringend ein unparteiisches Bild von außen, die Ereignisse müssen Schritt für Schritt untersucht werden, wir brauchen eine faire und ausgewogene Schilderung. Deswegen sind die Untersuchungen so wichtig, die die EU und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) derzeit vornehmen.

Kaukasus-Konflikt: Der georgische Präsident Saakaschwili kennt die Antwort auf schwierige Fragen - sagt er.

Der georgische Präsident Saakaschwili kennt die Antwort auf schwierige Fragen - sagt er.

(Foto: Foto: dpa)

Die größten Verlierer sind die Südosseten

Neben der Klärung der Fakten, die zum Ausbruch des Krieges führten, ist aber noch die Klärung einer anderen Frage wichtig: die Frage, welches Schicksal die vielen tausend früheren Bewohner der zerstörten georgischen Dörfer in Südossetien haben sollen. Sie scheinen die größten Verlierer dieses Krieges zu sein, weil sie bislang kaum Aussicht darauf haben, jemals wieder in ihre Heimatdörfer zurückkehren zu können.

Dass die Europäische Union über viele Jahre hinweg im Kaukasus eine Politik verfocht, die nur aus Deklarationen bestand, ansonsten aber dem Prinzip der Nichteinmischung folgte, hat das Ansehen der EU in der Region geschmälert. Trotzdem hat nun gerade sie die einmalige Chance, die zerrissenen Teile wieder zusammenzufügen - kommen die USA mindestens bis Januar 2009 als gestaltende Kraft nicht in Frage.

Was Georgien betrifft, sieht es derzeit so aus, als beginne mal wieder ein neues Kapitel in der Geschichte des Landes. Seit der Rosenrevolution, die im Jahr 2003 den Präsidenten Eduard Schewardnadse vertrieb und den heutigen Staatschef Michail Saakaschwili ins Amt brachte, hat die Republik bereits mehrere Phasen durchlebt.

Auf Versprechen folgte Unruhe

Am Beginn stand die "Phase der Versprechen", in der junge, frische Führungsfiguren neue Strategien entwickelten, um sich und ihr Land so weit wie möglich weg von der sowjetischen Vergangenheit zu bringen. Es folgte die "Phase der Unruhe", in der verschiedene offene und verborgene Taktiken angewandt wurden, die sich in zum Teil befremdlicher Weise widersprachen.

Der August-Krieg sowie die anschließende russische Anerkennung von Abchasien und Südossetien als souveräne Staaten schlossen diese Periode ab. Nun stehen wir an der Schwelle zur "Phase der Fragen". Nino Burdschanadse, die frühere Parlamentspräsidentin, die sich inzwischen der Opposition angeschlossen hat, veröffentlichte vor zwei Wochen 43 Fragen zum georgisch-russischen Krieg, auf die sie Antworten von den Behörden erwartet.

Warum ist Georgien in die Falle getappt?

Ihre Liste besteht aus vier Teilen, auf Fragen zu der Zeit "vor dem Krieg", während der "Aufnahme der Kampfhandlungen", dem "Verlauf der Kämpfe" sowie zum "Truppenrückzug". Weshalb ist Georgien in die russische Falle getappt, obwohl der Westen die Regierung in Tiflis vor einer militärischen Auseinandersetzung mit Moskau gewarnt hatte?

Wieso haben Zivilisten aus der Umgebung von Präsident Saakaschwili die direkte Führung der Kampfhandlungen an sich reißen können? Warum hat die Armee Südossetiens Hauptstadt Zchinwali beschossen, statt den Roki-Tunnel zu zerstören, durch den die Russen vom russischen Nord- ins georgische Südossetien gelangen konnten? Präsident Saakaschwili sagt, er habe Antworten auf all diese schwierigen Fragen.

Nun gut. Es scheint so zu sein, als wollten jetzt alle Seiten die schmerzhaften Wahrheiten zur Sprache bringen.

Die georgische Journalistin Margarita Achwlediani leitet das Programm des Institute for War and Peace Reporting in Tiflis. Sie war Korrespondentin des Hörfunksenders Echo Moskaus.

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