"Im Anfang war die Missbrauchskrise. Und die Missbrauchskrise war in der Kirche und die Kirche war in der Krise. Dieses war der Anfang des Synodalen Wegs." In drei Sätzen rückt Johanna Beck die Maßstäbe zurecht. Warum gibt es überhaupt den Synodalen Weg, die katholische Reformdebatte? Die 230 Synodalen, zu gleichen Teilen Kleriker und Laien, kennen die Antwort: Den Anstoß gab 2018 die sogenannte MHG-Studie, die erstmals die systemischen Ursachen des Missbrauchsskandals offenlegte. Doch bislang waren Betroffene von sexualisierter Gewalt nicht dabei. Eine große Leerstelle sei das, sagt Johanna Beck bei der Online-Konferenz des Synodalen Wegs.
Johanna Beck ist neben Johannes Norpoth und Kai Christian Moritz Sprecherin des neuen Betroffenenbeirats der Deutschen Bischofskonferenz. Die drei nahmen an der von Donnerstag bis Freitag stattfindenden Konferenz teil - als erste Betroffenenvertreter überhaupt seit Beginn der Reformdebatte vor rund einem Jahr. "Es kann nach mittlerweile einem Jahrzehnt innerkirchlicher Diskussionen doch nicht wirklich sein, dass Betroffene verstohlen an der Seite stehen, wenn überhaupt", sagt Norpoth. Die Betroffenen sollen nach dem Willen des Präsidiums des Synodalen Wegs künftig auch strukturell fest eingebunden werden. Wie, das ist allerdings noch unklar.
Kritiker des Synodalen Weges halten all die Debatten um Frauen, Sexualmoral, Zölibat und klerikale Macht für unnötig und plädieren dafür, sich lieber auf die Verkündung des Evangeliums zu konzentrieren. "Ich bin da völlig ihrer Meinung", sagt Johanna Beck. "Die Evangelisierung darf nicht zu kurz kommen. Ich meine das allerdings anders als der eine oder andere hier in dieser Runde: Sexualisierte Gewalt und geistlicher Missbrauch an Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen stellt eine unfassbare Pervertierung des Evangeliums dar. Alles daran zu setzen, dass diese Pervertierung beendet wird, auch wenn man dafür vielleicht seine theologische Komfort-Zone verlassen muss, ist Evangelisierung."
Woelki ist der personifizierte Elefant im Raum
Es gehe ihnen auch nicht um eine "beliebige Betroffenheit, die wie ein süßer Zuckerguss zumeist der Entlastung des Mitleidhabenden und der Sich-Entschuldigenden dient", sagt Kai Christian Moritz. Mancher der Betroffenen werde ihnen vielleicht "Fraternisierung mit dem Feind" vorwerfen. Doch, so Moritz: "Wir glauben an den fortlaufenden Dialog und wollen auf möglichst breiter Basis Überlebende zu Wort kommen lassen, nicht zuletzt aus Respekt vor denen, die in ihrem Leid zerbrochen wurden."
Die meisten Synodalen, Kleriker wie Laien, hören den Schilderungen der Betroffenenvertreter mit ernsten Mienen zu, auch Kölns Kardinal Rainer Maria Woelki. Wegen der massiven Kritik an dem unter Verschluss gehaltenen Missbrauchsgutachten im Erzbistum Köln ist er gewissermaßen der personifizierte Elefant im Raum. Er hält meist nachdenklich die Hand vor den Mund. Wieder andere Bischöfe halten es nicht für nötig, zuzuhören - vergessen aber auch, die Kamera auszuschalten. So ist dann eine Stunde lang ein leerer Schreibtisch zu sehen und darauf eine einsame Kerze.
Bei der anschließenden Aussprache lässt sich schließlich Woelki auf die Rednerliste setzen. Er findet erst das Mikro nicht, Tücken der Online-Konferenz, doch dann setzt er zu einer Entschuldigung an. Inhaltlich sagt er nichts Neues, doch: Er benutzt zum ersten Mal das Wort "ich". "Als einer der ersten, die einen Betroffenenbeirat eingerichtet und eine unabhängige Untersuchung mit Namensnennung in Auftrag gegeben haben, haben wir und habe ich Fehler gemacht. Ich weiß das und ich weiß auch, dass wir nicht gut kommuniziert haben."
Ein Rücktritt, heißt es, dürfe "kein Tabu sein"
Zuvor hatte das Präsidium des Synodalen Wegs - dem Bischofskonferenz-Chef Georg Bätzing und ZdK-Präsident Thomas Sternberg angehören - die Vorgänge in Köln scharf kritisiert, sie hätten "Vertrauen zerstört". "Rechtsverstöße, pflichtwidriges Verhalten und Verfahrensfehler müssen überall rechtskonform und ohne Ansehen der Person geahndet werden", heißt es in der Erklärung weiter. Verantwortliche müssten Konsequenzen ziehen, wobei "auch ein Rücktritt kein Tabu sein" dürfe.
Die Betroffenenvertreter machen deutlich: Sie sehen sich nicht als Selbsthilfegruppe, sondern als Experten, die ihr Fachwissen einbringen wollen. Wie tief sie drin stecken im Expertenwissen, das zeigt Kai Christian Moritz: Er wirft die Frage auf, wann genau eigentlich Änderungen im kirchlichen Verfahrensrecht zu erwarten seien, "die Überlebende vom Objekt zur handelnden Person machen". Seit der Würzburger Synode 1975 liegt ein Entwurf für eine kirchliche Verwaltungsgerichtsbarkeit in den Schubladen. Zum Schutz vor Willkürakten von Amtsträgern könnten sich dann Katholiken in Deutschland an weisungsunabhängige Richter wenden. Doch dieser Vorschlag wurde in Rom nie aufgegriffen.
Johannes Norpoth bemüht zum Schluss noch einen Priester, der "im Schatten des Doms zu Köln in der Minoritenkirche gewirkt hat und dort auch begraben liegt", den Sozialreformer Adolph Kolping: "Schön reden tut's nicht - die Tat ziert den Mann!"