Süddeutsche Zeitung

Katholische Priester und die Ehe:"Deine Mama ist an allem schuld"

Lesezeit: 5 min

Wenn ein katholischer Geistlicher sich verliebt, muss er sich entscheiden: Kirche oder Familie? Frauen und Kinder der Priester leiden darunter - ihre Rechte sind kaum geklärt. Kritiker fordern deshalb eine Lockerung des Zölibats.

D. Hoffmann

Als heimliche Geliebte wäre sie geduldet worden, solange sie nur Abstand hält und keine Forderungen stellt. "Die haben mir vorgeschlagen, ich könnte ja in den Nachbarort ziehen, dann wäre das wohl in Ordnung gewesen", sagt Karin Seibert. Die, das waren ein Priester und eine Nonne, die die junge Frau aus dem Weg schaffen wollten. Die 22-Jährige hatte eine Beziehung zu einem jungen Priester begonnen. "Die wollten ihn vor mir retten", sagt Seibert. "Aber so hätte ich nicht leben können."

Das musste sie dann auch nicht: Die Seiberts sind heute seit fast 40 Jahren verheiratet. Ihre richtigen Namen wollen beide aber nicht nennen, der sei auch gar nicht wichtig. "Unsere Geschichte ist nur eine von vielen."

Der junge Mann kommt Mitte der sechziger Jahre als Kaplan in die Heimatgemeinde von Karin Seibert, die selber als Leiterin der Jugendgruppe in der Kirche aktiv ist. Die beiden sind sich sympathisch, mehr nicht. "Ich habe mir darüber hinaus erst mal keine Gedanken gemacht", sagt die katholisch erzogene Seibert. "Das gab's einfach nicht." Eine enge Freundschaft entsteht, auch als Klaus Seibert nach drei Jahren versetzt wird, reißt der Kontakt nicht ab. Sie telefonieren, treffen sich. "Wir haben nicht oft drüber gesprochen, aber irgendwann wussten wir beide, dass da noch mehr ist."

Trotzdem können die frisch Verliebten ihre Beziehung lange nicht wirklich genießen: "Wir haben auf der Straße nie Händchen gehalten oder uns eng umschlungen gezeigt", sagt Karin Seibert. "Aber wir haben immer wieder Orte gefunden, an denen wir alleine sein können." An einen Urlaub in der schwedischen Einöde erinnert sie sich gern: "Da hatten wir endlich normalen Umgang."

Ein Hauch von Aufbruchsstimmung

Immer häufiger spürt die junge Frau jetzt den Wunsch, dass der Priester laisiert, also vom Amt enthoben wird. Aber Druck ausüben wollte sie nicht: "Er hat ein Leben lang darauf hingearbeitet, Priester zu sein. Ich wollte keinen unglücklichen Mann haben." Er lacht. "Nein, ich wurde nicht gedrängt und verspüre bis heute keine innere Qual, weil ich mich für meine Frau entschieden habe." Nie habe er ein schlechtes Gewissen gehabt, sich als Verräter gefühlt. Schon immer sei er kritisch gegenüber bestimmten Vorgaben der Kirche gewesen. "Ich wollte reformieren", sagt er und fügt hinzu: "Außerdem hätte sich das Gesetz ja jeden Tag ändern können."

Das Zweite Vatikanische Konzil verbreitete Mitte der sechziger Jahre einen Hauch von Aufbruchsstimmung. Aggiornamento, Heutigwerden, nannte das Papst Johannes XXIII. Es war auch eine Hoffnung für das junge Paar. "An wen sollten wir uns wenden? Ich dachte jahrelang, ich bin die Einzige, der so was passiert", sagt Karin Seibert. Heute weiß sie es besser.

In der "Initiativgruppe vom Zölibat betroffener Frauen" und der "Vereinigung katholischer Priester und ihrer Frauen" haben sich diejenigen zusammengeschlossen, die Ähnliches erlebt haben. Einige hundert sind es bundesweit. Wie viele heimliche und offizielle Priesterfrauen es tatsächlich gibt, ist nicht bekannt, die Zahl der Laisierungen erfasst jedes Bistum für sich. Auch der Umgang mit heiratswilligen Priestern obliegt den Bischöfen. In der Regel gibt es Rentennachzahlungen, auch eine finanzielle Starthilfe ist üblich - Pflicht ist das aber nicht. Sicher ist: Wer sich für seine Frau entscheidet, muss gehen, so will es das Kirchenrecht. "Niemand wird dazu gezwungen, Priester zu werden und zölibatär zu leben", erklärt der katholische Kirchenrechtler Marcus Nelles. "Verstößt nun ein Priester gegen das Versprechen, das er bei seiner Weihe freiwillig abgegeben hat, kann er aufgrund seines Wortbruches und seines veränderten Lebensstils die Kirche nicht mehr als Amtsträger repräsentieren."

So ohne Weiteres wird ein Priester freilich nicht vor die Kirchentür gesetzt, jeder Verlust hinterlässt eine schmerzliche Lücke - der geistliche Nachwuchs bleibt aus. Auch Klaus Seibert wollte der Bischof nicht einfach ziehen lassen, während eines sogenannten Sabbat-Jahres sollte er die Entscheidung noch einmal überdenken. In dieser Zeit unterrichtete er in Frankfurt katholische Theologie. Karin Seibert musste ein Jahr lang bangen: "Das war eine wacklige Zeit. Ich habe mir so gewünscht, dass er sich wohlfühlt, auch ohne Kirchenamt." Und Klaus Seibert fand Gefallen am Lehrer-Beruf - und an der Idee des Laien-Lebens.

Zurück in seiner Gemeinde durfte er noch eine Messe lesen und musste dann "quasi über Nacht" das Bistum verlassen. "Ich hatte keine Möglichkeit mich zu verabschieden oder zu erklären", sagt Seibert. "Ich habe das damals aber auch nicht hinterfragt", gibt er zu. Tatsächlich kann der Bischof Aufenthaltsgebote verhängen, wenn das Ärgernis durch den Zölibatsbruch zu groß ist. Unterschriftenaktionen zu seinem Verbleib, Sakramentsspendung trotz ausdrücklichen Verbots - all das gab es bei Klaus Seibert nicht.

Trotzdem ging er. Und heiratete 1972 seine Frau. Erst Jahre später trifft er zufällig ehemalige Gemeindemitglieder wieder und erklärt sich. Die hätten nichts gegen einen verheirateten Priester einzuwenden gehabt.

Attraktive Kombination für junge Männer?

So sehen das einer aktuellen Umfrage zufolge mehr als 80 Prozent der Deutschen, auch mehrere Bischöfe riefen im Frühjahr zur Abschaffung des Pflicht-Zölibats auf. Obwohl Ähnliches wegen der Missbrauchsfälle wiederholt gefordert wird: Stefan Haering, Theologe an der Universität München, glaubt nicht an eine Öffnung. "Das Zölibat hat ja auch eine geistliche Seite, das wird in der Öffentlichkeit nicht richtig wahrgenommen." Außerdem seien die Missbrauchsfälle nur ein Argument der Zölibat-Gegner: "Viele meinen, dass man durch die Aufhebung dem Personalmangel begegnen könnte." Die Kombination aus Ehe und Kirchendienst sei attraktiv für junge Männer.

Einer der Reformer in der katholischen Kirche ist der Präsident des Zentralkomitees der Katholiken, Alois Glück. Er hatte sich in jüngster Vergangenheit immer wieder für eine Lockerung des Zölibats ausgesprochen. "Ich denke, das wäre ein Weg", sagte er im März der Süddeutschen Zeitung.

Ein anderes Thema, über das in der katholischen Kirche eher geschwiegen wird, sind die geheimen Kinder von Würdenträgern. Verschieden Quellen schätzen die Zahl auf 1000 bis 5000, Belege gibt es dafür aber keine. Matthias Kopp, Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz, hält dergleichen für "reine Spekulation": "Es sind viel weniger, als landläufig behauptet."

Die sogenannten Priesterkinder haben nach Angaben der "Initiativgruppe vom Zölibat betroffener Frauen" meist keinen eingetragenen Vater, Unterhalt bekommen sie nicht zwangsläufig - zumindest nicht von der Kirche. "Es gibt keine kirchenrechtlichen Festlegungen darüber, wer für den Unterhalt des Kindes eines Priesters aufzukommen hätte", sagt Kirchenrechtler Nelles. Logisch: Kinder sind im priesterlichen Leben nicht vorgesehen. Wer sich zum Nachwuchs bekennt, verliert in der Regel seinen Job - unabhängig davon, ob er mit der Mutter zusammenbleibt oder nicht.

Mehrere Priesterkinder berichten im Internet, ihre Mütter hätten Schweigeerklärungen unterschreiben müssen, aber auch davon will bei der Kirche niemand etwas wissen. Im Kirchenrecht gebe es keine Geheimhaltungsabkommen oder Schweigegebote, sagt Marcus Nelles.

Nur wenige Betroffene gehen mit ihren Geschichten an die Öffentlichkeit, zu groß ist die Angst vor Unverständnis und Ablehnung. "Priesterkinder leiden unter so vielen Ängsten, unter so vielen Zwängen, unter so viel Panik, das kann selbst ich als Betroffene oft gar nicht nachvollziehen. Aber die Ängste sind da", sagt Veronika, die ihren Nachnamen lieber nicht nennen möchte. Sie hat ihre Geschichte dem Radiosender SWR2 erzählt und betreibt eine Website, an die sich Priesterkinder wenden können. Die Resonanz: dürftig. Auch das sei ein Ergebnis der jahrelangen Geheimhaltung der eigenen Geschichte, sagt sie.

"Meine Mama hat von allen Seiten Schläge eingesteckt", erzählt sie. Ihr Vater sei hingegen weitestgehend verschont geblieben. "Meistens hieß es vom Umfeld, der Herr Pfarrer, der kann eigentlich gar nichts dafür, deine Mama ist an allem schuld." In aller Heimlichkeit kam die Familie am Wochenende zusammen, obwohl viele in der Gemeinde von der Beziehung wussten. Im Dorf herrscht ein stilles Einverständnis: Es wurde geschwiegen. Veronika erzählt von psychosomatischen Krankheiten, Bindungsproblemen und wenig Selbstvertrauen. Das große Familiengeheimnis, das Gefühl, eigentlich nicht sein zu dürfen, lastet bis heute auf der 30-Jährigen.

Karin und Klaus Seibert haben ihren Kindern gegenüber nie ein Geheimnis aus ihrer Geschichte gemacht. "Wir haben die drei trotzdem katholisch erzogen, und Ehrlichkeit gehört für uns zum christlichen Menschenbild." Beide engagieren sich ehrenamtlich in der Kirche, betonen aber, nicht alles ohne Hinterfragen hinzunehmen. Karin Seibert sagt, sie habe damals viel zu viel einfach runtergeschluckt. "Aber je älter ich werde, desto wütender werde ich."

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