Katholische Kirche:"Ein Zeichen, das jetzt Maßstäbe setzt"

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Kardinal Reinhard Marx begründet sein Rücktrittsangebot an den Papst. (Foto: Leonhard Simon/Getty)

Das Rücktrittsangebot von Kardinal Marx hat zu zahlreichen Reaktionen geführt. Manche lässt es hoffen, dass der Reformprozess in der katholischen Kirche in Deutschland gestärkt wird. Obwohl er zu den Unterstützern gehört.

Das Angebot von Reinhard Marx an den Papst, vom Amt des Erzbischofs von München und Freising zurückzutreten, hat innerhalb und außerhalb der Kirche eine Debatte angestoßen. So hofft die ehemalige Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU), es könnte "zu einem Beben in der katholischen Kirche führen".

Im Gespräch mit der dpa sprach die frühere Botschafterin beim Vatikan von einem "starken Zeichen" des Münchner Kardinals. Marx habe deutlich gemacht, dass es moralische und politische Verantwortung im Missbrauchsskandal der katholischen Kirche gebe, die nicht durch strafrechtliche Aufklärung ersetzt werden könne.

Marx hatte seine Entscheidung zum Verzicht unter anderem damit begründet, Verantwortung übernehmen zu wollen für Fehler - persönlich und institutionell - im Zusammenhang mit der "Katastrophe des sexuellen Missbrauchs durch Amtsträger der Kirche in den vergangenen Jahrzehnten". Die katholische Kirche sei an einem "toten Punkt" angekommen, hatte der 67-Jährige geschrieben.

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Schavan, die sich selbst seit Jahrzehnten in der katholischen Kirche engagiert, zeigte sich zuversichtlich, dass nun der Reformprozess Synodaler Weg in der katholischen Kirche in Deutschland gestärkt werde. "Der Einfluss derer, die keine Erneuerung der Kirche wollen, wird immer weniger relevant werden", sagte die frühere Vizepräsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK).

Der Reformprozess des Synodalen Wegs beschäftigt sich seit Anfang des vergangenen Jahres mit der Position der Frauen in der Kirche, dem Umgang mit Macht, der katholischen Sexualmoral und mit dem Priesteramt.

Auch die Theologieprofessorin Julia Knop sieht den Synodalen Weg durch das Rücktrittsangebot gestärkt. "Das ist für mich ein sehr starkes Zeichen, das jetzt Maßstäbe setzt", sagte Knop, die auch Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) und in der Vollversammlung des Synodalen Wegs ist. "Endlich bekundet jemand nicht nur Bedauern, sondern zieht auch persönliche Konsequenzen."

Sollte Marx wirklich gehen, würden die Reformprozesse zwar personell geschwächt, denn Marx wird dem Lager der Reformer zugerechnet. Ideell würden sie jedoch gestärkt, sagte Erfurter Dogmatik-Professorin, "weil Marx explizit gesagt hat, dass Aufarbeitung nicht auf verwaltungstechnische Prozesse oder individuell nachgewiesene Verfehlungen beschränkt werden darf - mit dem Ziel, strukturelle Reformen kategorisch auszuschließen, wie sie beim Synodalen Weg entwickelt werden." Zudem stärke Marx die Reformer, insofern er nicht aus einem konkreten Anlass zurücktrete, etwa weil er selbst von einem Gutachten belastet werde oder unter öffentlichem Druck stehe. "Stattdessen macht er deutlich: `Ich stehe als Bischof repräsentativ für institutionelles Versagen und kirchliche Schuld ein und kann mich nicht darauf zurückziehen, nur für persönliche Verfehlungen gerade zu stehen.´"

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Auch der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Sternberg, erklärte im WDR, der Schritt von Marx sei gerade deshalb außergewöhnlich, weil er nicht unter Druck zustande kam. "In München ist es so, dass hier wirklich aus ganz freier Entscheidung ohne Druck jemand gesagt hat: "Ich übernehme Verantwortung für das Systemversagen einer Institution, wofür ich stehe." Und das verdient allerhöchsten Respekt", sagte Sternberg. In der Rheinischen Post äußerte er sein Bedauern über Marx' Entscheidung. Mit diesem werde "eine ganz wichtige Persönlichkeit im deutschen Katholizismus" fehlen.

Der bayerische Landesbischof und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, erklärte, wenn Marx ginge, würde dessen "starke Stimme" in seinem jetzigen Amt fehlen. Das Rücktrittsangebot zeige die beispielgebende Gradlinigkeit und Konsequenz, mit der Marx die Erneuerung seiner Kirche betreibt, sagte Bedford-Strohm dem epd.

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Der Kirchenexperte Thomas Schüller wertete das Rücktrittsangebot auch als Kritik an der Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch im Erzbistum Köln. "Er greift Kardinal Rainer Maria Woelki frontal an, wenn er von denen spricht, die sich hinter juristischen Gutachten verstecken und nicht bereit sind, die systemischen Ursachen der sexualisierten Gewalt in der Kirche mit mutigen Reformen anzugehen", sagte Schüller, der an der Westfälischen Wilhelms-Universität lehrt.

Die Botschaft von Marx, so interpretiert Schüller dessen Schritt, gehe auch direkt an Papst Franziskus: "Wenn du, Franziskus, Reformen willst, dann bleibt im Blick auf die sexualisierte Gewalt in der Kirche kein Stein auf dem anderen. Sei so mutig wie ich und stoße endlich Reformen an." Alle deutschen Bischöfe würden sich nun an dieser souveränen und Größe zeigenden Bereitschaft zum Amtsverzicht und damit zur Übernahme von Verantwortung messen lassen müssen.

Auch aus Sicht der Reformbewegung "Wir sind Kirche" ist der Schritt von Marx ein Signal an Kölns Kardinal Rainer Maria Woelki und setze diesen "gewaltig unter Druck", sagte ein Sprecher. Für einen Neuanfang in der katholischen Kirche brauche es neue Personen - vor allem solche, die nicht durch langwierige Aufarbeitungsprozesse gebremst würden. Es bleibe zu hoffen, "dass weitere Bischöfe seinem Schritt folgen und nicht nur verbal Verantwortung für Vertuschung und Hinhalte-Taktik übernehmen".

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Reformen kämen heute auch von der Basis und nicht nur von oben, sagte der Sprecher. Das zeige der Reformprozess Synodaler Weg. Den habe Marx zwar mit angestoßen. Als Bischof sei in der heutigen Zeit aber kein Manager mit hierarchisch-autokratischen Verhaltensweisen gefragt, sondern ein "Seelsorger, Teamplayer und Moderator mit Mut zu neuen Wegen". Marx, so der Sprecher, sei ein "Ratzingerianer" gewesen, der zu sehr auf Kirche als "Institution mit unveränderlicher Ämterstruktur" fixiert gewesen sei, anstatt "Kirche als Volk Gottes unterwegs" zu begreifen.

Am Freitag hatte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, die Souveränität der Entscheidung von Marx gelobt und betont: "Für eine solche Entscheidung, da braucht man menschliche Stabilität, und da muss man auch geistlich offen sein", sagte er im ZDF. Indirekt kritisierte er den Kölner Kardinal Woelki. "Ich glaube, der Punkt dieser Souveränität, der ist in Köln einfach überschritten." In der Stadt am Rhein findet eine Apostolische Visitation statt: Bevollmächtigte des Papstes überprüfen die Arbeit des Kölner Bischofs.

Auch Bätzing wies auf die Notwendigkeit fundamentale Reformen der Kirche hin. "Alle, die denken, dass die Kirche aus dieser massiven Krise herauskommen könnte durch ein paar Schönheitsreparaturen äußerlicher Art, juridischer Art, verwaltungsmäßig, die täuschen sich", sagte der Limburger Bischof in den ARD-Tagesthemen. Man habe in der Kirche "solches Systemversagen" wahrgenommen, dass es darauf nur "systemische Antworten" geben könne, "die fundamental sind". Bätzing fordert deshalb ein neues Verhältnis der Kirche zur Macht und zur Gewaltenteilung. Da sei "ganz viel möglich". Die bischöfliche Macht etwa habe etwas "von Monarchischem, etwas von vergangenen Zeiten". Nun brauche es "Kontrolle auf jeder Ebene von Machtausübung in der katholischen Kirche".

Nachdem die Entscheidung des Kardinals bekannt geworden war, erklärte der FDP-Politiker Benjamin Strasser, Rücktritte würden die offensichtlichen Probleme bei der Aufarbeitung sexueller Gewalt nicht lösen. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Lars Castellucci äußerte sich ähnlich: Der Schritt sei respektabel, "allerdings auch sicher keine Lösung". Castellucci ist nach eigenen Worten mit Vertretern anderer Fraktionen, Betroffenen und Kirchen im Gespräch darüber, wie die Aufarbeitung in der nächsten Wahlperiode vom Parlament begleitet werden kann.

Der Papst hat noch nicht über die Zukunft von Marx entschieden. Annette Schavan aber ist überzeugt, dass der in der Weltkirche auch weiter eine wichtige Rolle spielen werde.

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