Das Erzbistum Hamburg ist 32 520 Quadratkilometer groß, es reicht von Sylt über Lübeck bis nach Neubrandenburg an der Mecklenburgischen Seenplatte. In diesem flächenmäßig größten deutschen Bistum gibt es keinen einzigen Priesteranwärter, sagt Erzbischof Stefan Heße: "Ich weiß nicht, wie ich in Zukunft alle Pfarreien besetzen soll." Heße stimmte deshalb - wie 86 Prozent der Mitglieder des Synodalen Wegs - am Freitag in Frankfurt für eine Lockerung des Zölibats.
Das entsprechende Papier fordert die Spitzen der katholischen Kirche in Deutschland dazu auf, sich beim Papst für die Zulassung sogenannter Viri probati einzusetzen - also für die Zulassung "bewährter", aber eben verheirateter Männer zum Priesteramt. Außerdem soll es bereits geweihten Priestern erlaubt werden, zu heiraten und im Amt zu bleiben. Zugleich würdigt der Text weiterhin positiv die Ehelosigkeit als Lebensweise.
Münchens Erzbischof Kardinal Reinhard Marx hatte sich erst am Donnerstag im Interview mit der Süddeutschen Zeitung für eine Abschaffung des Pflichtzölibats ausgesprochen. Der Bischofskonferenz-Vorsitzende Georg Bätzing hatte diese Forderung unterstützt. Der nun vorliegende Text wurde am Freitag in erster Lesung beschlossen, eine verbindliche Abstimmung soll bei der vierten Synodalversammlung im Herbst folgen. Aber auch dann ist es noch mehr als fraglich, ob Papst Franziskus eine solche Forderung auch umsetzt. Zuletzt hatten mehrere Bischöfe bei der Amazonassynode 2019 den Einsatz von Viri probati gefordert, dies hatte Franziskus abgelehnt.
Verbindlich einigten sich die Synodalen am Freitagabend in zweiter Lesung darauf, dass es mehr Mitbestimmung der Laien bei der Wahl katholischer Bischöfe in Deutschland geben soll. 88 Prozent aller Delegierten stimmten dafür, von den Bischöfen waren 79 Prozent dafür - es ist der erste konkrete Reformschritt.
In erster Lesung berieten die Synodalen über die Rolle von Frauen. Mit großer Mehrheit sprachen sie sich für eine Zulassung von Frauen zu Weiheämtern aus. Auch hier folgt die abschließende Lesung noch. "Alte Frauen haben Fürchterliches in dieser Kirche erlebt, und zwar nicht für irgendwas, sondern nur dafür, dass sie Frauen sind", sagte Katharina Kluitmann, Franziskanerin und Vorsitzende der Deutschen Ordensobernkonferenz. Frauen als Beichtmütter, Frauen, die der Eucharistie vorstehen - dies wäre, so Kluitmann "ein Reichtum, und ich finde, wir können nicht mehr darauf verzichten, wenn wir nicht ewig hinter dieser Zeit herhinken wollen."
Zeitweise war die Atmosphäre bei der dritten Synodalversammlung auch frostig - dies lag aber weniger an Eklats und Kontroversen (siehe Kasten) als vielmehr an der streikenden Heizung im Messezentrum. Bereits am Donnerstagabend verabschiedete der Synodale Weg einen wichtigen Grundlagentext zum Umgang mit Macht und Gewaltenteilung.
Scharfe Kritik an den Bischöfen vom Betroffenenbeirat
Der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer hat am Donnerstag beim Synodalen Weg einen Eklat ausgelöst: Voderholzer hatte in der Diskussion über das Münchner Missbrauchsgutachten angesprochen, dass eine Strafrechtsreform von 1973 Missbrauch nicht mehr als Verbrechen gewertet habe, "und zwar auf der Basis von sexualwissenschaftlichen Urteilen, die davon ausgehen, dass für die betroffenen Kinder und Jugendlichen die Vernehmungen wesentlich schlimmer sind als die im Grunde harmlosen Missbrauchsfälle". Dies müsse berücksichtigt werden, wenn heute über die Kirche in den Siebziger und Achtziger Jahren gesprochen werde. Weil Voderholzer aber nicht ausreichend kenntlich gemacht hatte, dass er die Aussagen anderer zitierte und zumal während seines Vortrags von der Sitzungsleitung unterbrochen und an die Einhaltung der Redezeit erinnert wurde, entstand bei vielen Synodalen der Eindruck, Voderholzer mache sich die Sätze zu eigen und verharmlose Missbrauch. Noch während der sich daran anschließenden Debatte eilte Bischofskonferenz-Vorsitzender Georg Bätzing zu den Betroffenenvertretern im Saal und sprach mit ihnen. Wie sich später herausstellte, erwog das Präsidium des Synodalen Wegs sogar eine öffentliche Missbilligung - bis Voderholzer klarstellte, dass er nur zitiert habe und diese Haltung kritisiere. Am Freitag suchte Vorderholzer dann selbst das Gespräch mit Betroffenen und entschuldigte sich, auch in einer öffentlichen Erklärung: "Meine Kritik hätte ich nicht in dieser kurzen Form äußern dürfen", schreibt Voderholzer. "Das tut mir außerordentlich leid, vor allem wegen der Opfer, die sich nun in den Bauch getreten fühlen." Er stehe an der Seite der Opfer.
Annette Zoch
Geprägt wurden die Diskussionen vor allem von dem vor gut zwei Wochen vorgestellten Münchner Missbrauchsgutachten und den darin enthaltenen Aussagen des emeritierten Papstes Benedikt XVI. Wie sehr selbst engagierte Katholikinnen und Katholiken mit der Kirche hadern, machte am Donnerstag die Benediktinerin Schwester Philippa Rath deutlich. Sie erzählte von Ordensleuten, die sie fragen, ob sie aus der Kirche austreten und gleichzeitig Mitglied im Orden bleiben könnten. "Vor fast zwei Jahren habe ich gesagt: ,Ich leide an meiner Kirche, aber ich liebe sie'", sagte Schwester Philippa. "Ich muss Ihnen gestehen, dass ich heute nicht mehr genau weiß, ob ich meine Kirche noch lieben kann."
Scharfe Kritik an den Bischöfen übten am Freitag Vertreter des Betroffenenbeirats. Unter anderem daran, dass die Bischöfe weiterhin am umstrittenen Verfahren für Anerkennungsleistungen festhalten. Aus Sicht der Betroffenen ist es zu intransparent, die ausgezahlten Leistungen zu niedrig.
Entgegen der ausdrücklichen Bitte sei der Betroffenenbeirat zudem nicht zum Ständigen Rat im November eingeladen worden, sagte Betroffenenvertreter Johannes Norpoth: "Sehr geehrte Herren Bischöfe, Sie predigen seit Wochen und Monaten von gemeinsamer Verantwortung für die Überwindung dieser Krise, von Offenheit und Transparenz. Aber Sie entscheiden anders. Sie weisen uns in einem der zentralen Themenfelder der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt bestenfalls einen Platz am Katzentisch zu."
Auch die Entscheidung der Bischofskonferenz, die umstrittene Katholische Pfadfinderschaft Europas (KPE) offiziell anzuerkennen, kritisierte Norpoth scharf. "Im Rahmen der Aktivitäten dieser Organisation sind Taten sexualisierter Gewalt und geistlichen Missbrauchs bekannt, ein Opfer ist Mitglied im Beirat. Wurden wir in dieser Frage vor der Entscheidung konsultiert? Fehlanzeige!"