Katholische Kirche:Von der Pflicht zum Widerspruch

Von Skandalen getrieben macht die katholische Kirche endlich ihre Hausaufgaben: Die Bischöfe reagieren mit neuen Leitlinien auf Missbrauchsfälle und sexuelle Gewalt. Die Krise der Kirche wird das aber nicht beenden.

Matthias Drobinski

Diesen Montag werden die katholischen Diözesanbischöfe sich in Würzburg versammeln und etwas Gutes tun. Sie werden ihre Leitlinien zum Umgang mit sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche verbessern, sie werden darüber beraten, was getan werden kann, damit diese Gewalt erst gar nicht geschieht.

Vielleicht werden sie sogar in der heiklen Frage weiterkommen, wie die Opfer dieser Gewalt entschädigt werden können. Das ist aller Ehren wert: Die katholische Kirche macht, getrieben vom Skandal, ihre Hausaufgaben. Und trotzdem: Die gute Tat wird die Krise nicht beenden, in die die katholische Kirche geraten ist.

Die Kirchenkrise wird weitergehen, weil sie so tief reicht, dass sie mit neuen Leitlinien gegen sexuelle Gewalt nicht zu beenden ist. Bischöfe wie Gerhard Ludwig Müller aus Regensburg beklagen, dass es den Kritikern innerhalb und außerhalb der Kirche nicht nur darum geht, sexuellen Missbrauch aufzudecken - er hat insofern recht, als dass unter dem Skandal um von Priestern und Ordensleuten verübte sexuelle Gewalt die tiefere Agonie der katholischen Kirche liegt und benannt werden muss.

Diese Kirche steht nicht allein wegen der Missbrauchsfälle derart in der öffentlichen Kritik. Es werden nicht allein deswegen dieses Jahr 200.000, vielleicht sogar mehr als 300.000 Menschen aus der Kirche austreten. Die Leute treten nicht aus, weil Kirchenmitarbeiter Verbrechen begangen haben. Sie gehen, weil ihnen die gesamte Institution unglaubwürdig geworden ist und der Skandal den letzten Anstoß zum Austritt gegeben hat.

Die Kirche hätte auch jetzt den Menschen viel zu sagen - sie suchen ja nach jemandem, der über Sinn und Glauben und die existentiellen Dinge des Lebens redet. Stattdessen verdunstet die Glaubwürdigkeit der größten Institution des Landes wie im Aralsee zwischen Kasachstan und Usbekistan das Wasser. Selbst ein guter Teil der Kirchenmitglieder glaubt nicht mehr an die Lehre von der Auferstehung der Toten, dass Jesus also leibhaftig vom Tod erstand - und weiß nicht mehr, ob es nun sieben oder zehn Gebote gibt.

Geht es um Homosexualität, Verhütung, das Gelingen und Scheitern von Beziehungen, ist die katholische Kirche sprachlos; geht es um die Grenzbereiche zwischen Tod und Leben, droht sie sprachlos zu werden. Ihre Priester genießen durchaus Ansehen, es gibt aber immer weniger von ihnen, und wer heute noch ins Priesterseminar geht, versteht sich oft als heiliger Außenseiter; es gibt nur wenige Persönlichkeiten, die anstecken, mitreißen, öffentliche Debatten mitbestimmen.

Das eine predigen, das andere leben?

Die Missbrauchskrise hat eine Kirche in der geistigen und geistlichen Defensive getroffen. Die Vorgänge um den zurückgetretenen Bischof Walter Mixa haben gezeigt, wie abgründig gerade der geistliche Mangel werden kann: Da predigt einer das eine und lebt das andere - wer soll denen noch glauben?

Gerade in dieser Situation müsste die Kirche Mut beweisen, müsste die kritischen Geister in ihren Reihen hören und fördern, die Dissidenten aus Loyalität heraus. Die Bischöfe müssten mutig und kreativ werden, das Undenkbare denken, wie das Papst Johannes XXIII. tat, als er, geradezu überrascht von sich selbst, das Zweite Vatikanische Konzil einberief.

Auch der Kirche in Deutschland würde nun eine Zukunftskonferenz guttun, auf der die Glaubens- und Vertrauenskrise offen diskutiert werden kann. In gut geführten Unternehmen gibt es die "obligation to dissent", die Pflicht zum Widerspruch um der Sache willen.

Die Bischöfe haben, eine gute Woche vor ihrer Würzburger Versammlung, Michael Broch zum Rücktritt von seinem Amt als geistlicher Direktor der katholischen Journalistenausbildung gedrängt, weil der ein papstkritisches Interview gegeben hat. Es ist das Gegenteil der "obligation to dissent": die Reihen schließen, Kritiker zu Feinden erklären und ausschließen. Die Krise der katholischen Kirche geht weiter.

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