Süddeutsche Zeitung

Streik katholischer Frauen:"Die frohe Botschaft kann man in diesem Grauen nicht mehr finden"

Katholische Frauen aus Münster rufen zum einwöchigen Kirchenstreik auf, die Initiative "Maria 2.0" protestiert gegen den massenhaften Missbrauch und für Gleichberechtigung. Tausende Frauen wollen sich anschließen.

Interview von Thomas Hummel

Lisa Kötter, 58, aus Münster gehört zum Kern der Initiative "Maria 2.0". Diese entstand aus einem Lesekreis mit fünf Frauen in der Gemeinde Heilig Kreuz und ruft von Samstag an zu einem einwöchigen Kirchenstreik der Frauen auf, um für eine Gleichstellung in der katholischen Kirche und gegen die massenhaften Missbrauchsfälle durch Priester und Ordensleute an Kindern und Jugendlichen zu protestieren.

Kötter ist freischaffende Künstlerin, engagierte sich bislang sporadisch in ihrer Gemeinde und bezeichnet sich als "eine ganz normale Kirchengängerin". Für sie ist der Punkt erreicht, an dem sie all die Missstände nicht mehr hinnehmen will.

SZ: Frau Kötter, was hat Sie so gegen Ihre Kirche aufgebracht?

Lisa Kötter: Im Januar hatte ich morgens den Film "Das Schweigen der Hirten" gesehen. Darin geht es um Bischöfe und Kardinäle, die gewusst haben, dass ihre Kirchenleute Kinder und Jugendliche missbraucht haben und statt diese anzuzeigen und zu entlassen, sie einfach versetzten.

Es war furchtbar. Ich war so angefressen davon, mit welcher Systematik das alles passiert ist. Das hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Abends habe ich heulend im Lesekreis gesessen und gesagt: Die frohe Botschaft kann man in diesem Grauen nicht mehr finden. Wer will sie noch hören, wenn viele Boten so Furchtbares tun? Wir müssen was tun. Dann brach es aus allen heraus.

Wie reifte die Idee vom Kirchenstreik?

Seitdem ich denken kann, sagen Frauen in der Kirche: Wir müssten mal wegbleiben. Dann würden die Männer sehen, was für eine Bedeutung wir für die Kirche haben. Wir bleiben jetzt draußen, wir wollen das aber auch zeigen. Deshalb werden wir vor den Kirchen unsere Gottesdienste feiern.

Wie hängen die Missbrauchsfälle und die Position von Frauen in der Kirche für Sie zusammen?

Dass es Pfarrer und Priester gibt, die missbrauchen, weiß ich seit Jahrzehnten. Aber dass das systematisch vertuscht wurde und die Leute selbst nach dem dritten, vierten Vorfall einfach in die nächste Gemeinde geschickt wurden, ist doppelt widerlich. Es ist Zeit zu sagen: Mit Frauen an wichtigen Stellen gäbe es bestimmt auch Unrecht, aber diese Systematik wäre nicht möglich.

Gerade hat Papst Franziskus immerhin eine Meldepflicht für Missbrauchsfälle erlassen.

Damit ist eine erste Selbstverständlichkeit zum päpstlichen Gebot geworden. Gut, dass auch die Vertuscher als Täter behandelt werden, denn sie haben den Verbrechen keinen Einhalt geboten. Was aber offenbar fehlt: Alle diese "Meldungen" müssten ohne Wenn und Aber an die Staatsanwaltschaften gegeben werden, so die Betroffenen das wünschen. Und die Betroffenen müssten mit aller Kraft unterstützt werden und Rückhalt bekommen. Es muss immer um die Menschen gehen. Nicht um die Institution und ihren "guten Ruf".

Wie viel Mut braucht es, sich gegen eine Institution wie die Kirche aufzulehnen?

Uns kann nichts passieren, wir brauchen keine Angst zu haben. Das ist ein grundsätzlicher Gedanke des Christentums: Wir fürchten uns nicht. Bei der Bischofskonferenz in Lingen haben wir das beim Eröffnungsgottesdienst auf ein Plakat geschrieben: Fürchtet euch nicht!

Die Katholische Frauengemeinschaft hat dort fast 30 000 Unterschriften gegen den Missbrauch überreicht. Die meisten Herren haben nicht einmal den Kopf gehoben und es gab so manches süffisante Grinsen, als die Frauen auf dem Kirchplatz mit der Taschenlampen-Aktion 'Macht Licht An" den Platz erleuchteten. Da habe ich gedacht: Auf die müssen wir nicht warten. Wir müssen einfach nur tun, was wir für richtig halten. Die Bischöfe erstarren vor Angst, jemand könnte ihnen ihre Macht streitig machen.

Das Symbol Ihrer Initiative ist Maria mit einem Pflaster auf dem Mund.

Am Abend im Januar, als wir unsere Initiative gründeten, habe ich Maria gemalt. Mit dem Pflaster auf dem Mund hatte ich das katholische Frauenbild. Seitdem male ich täglich eine Frau und verschließe ihr den Mund. Am Sonntag werden es 95 sein.

Wie reagieren die Männer in der Kirche?

Wir haben männliche Unterstützer. Ganz am Anfang rief ein mehr als 80-jähriger Mann an, der vor 20 Jahren aus der Kirche ausgetreten war. Er sagte: "Das ist klasse, was ihr macht. Ich stelle mich jetzt jede Woche auf den Marktplatz und sammle Unterschriften für euch."

Auch viele Priester unterstützen uns. Die stellen sich aber nicht in die erste Reihe. Es gibt wenige Menschen in der Kirche, die keine Angst haben. Wir bekommen Zuschriften von Kirchenangestellten, die unbedingt anonym bleiben wollen. Sie schreiben: "Das darf mein Bischof nicht wissen." Es gibt Fälle, da haben Mitarbeiter unsere Facebook-Seite gelikt und wurden zum Personalchef in ihrem Bistum zitiert. Die Angst in der Kirche hat Methode, sie hält Redeverbote aufrecht. Das ist ganz schlimm.

Bekommen Sie auch Gegenwind?

In Form von E-Mails oder Nachrichten auf unserer Facebook-Seite. Es gibt Verschwörungstheoretiker, die uns unterstellen, dass da andere Mächte dahinterstehen. Wir sind aber völlig unabhängig.

Wieso haben die Frauen in der katholischen Kirche nicht schon längst aufbegehrt?

Weil sie nicht so erzogen wurden. Meine Mutter sagte immer einen gruseligen Satz, der das Verhältnis der katholischen Frauen zu den Männern illustriert: "Wir Frauen sind die silbernen Schalen, in die die Männer ihre goldenen Früchte legen." Sie hat das ernst gemeint und erst im hohen Alter von über 80 Jahren zu mir gesagt: "Lisa, du hast recht, das ist totaler Unsinn." Es ist das Bild einer Frau, die schweigt und dem Mann gehorcht.

Bei Papst Franziskus gab es die Hoffnung, dass sich einiges ändert. Wie sehen Sie ihn heute?

Franziskus arbeitet für den Frieden und die Bewahrung der Schöpfung. Die Kapitalismus-Kritik in seiner Rede vor den Vereinten Nationen war wunderbar. Doch bei der Frauenfrage sieht es anders aus. Johannes Paul II. und Benedikt XVI. sagten, die Haltung zur Frau stehe nicht zur Diskussion, und Franziskus hat das bestätigt.

Da dachte ich: Mein Gott, das darf doch wohl nicht wahr sein. Ich würde ihm gerne zurufen: Wenn von Rom ein Zeichen ausginge, Frauen seien gleichberechtigt, dann wäre die Wirkung riesig. Frauen auf der ganzen Welt ächzen unter den patriarchalen Gesinnungen der Männer und der Staaten. Wenn sich die katholische Kirche ändert, würde sich das Frauenbild auf der ganzen Welt ändern.

Warum treten Sie nicht aus der Kirche aus wie so viele andere?

Kirche ist nicht nur Grauen und Lautsprecherei. An vielen Orten der Welt, wo es Menschen schlecht geht, gibt es nur noch die Kirche als helfende Institution. Und die Initiative Maria 2.0 kann ein Versuch sein, Kirche und Glaube wieder zusammenzubringen. Christentum heißt, auf der Welt etwas zu bewegen, Gerechtigkeit zu schaffen. Die Menschen zu kennen und dann vielleicht auch zu lieben. Das ist die Botschaft. Und unsere Sehnsucht ist eine Kirche, die das auch darstellt. Und nicht: Sorgt für eure Macht und euren Reichtum. In den oberen Kirchenetagen passiert aber genau das.

Mit welcher Resonanz rechnen Sie beim Kirchenstreik?

Wir wissen von Hunderten Gruppen, die sich gebildet haben, nicht nur im deutschsprachigen Raum. Tausende Frauen machen mit. Das ist eine unglaubliche Selbstermächtigung. Die Frauen müssen nicht darauf warten, dass die hohen Herren sagen: Ja, ihr dürft. Sie machen jetzt, was sie für richtig halten. Es wird auch nicht mit dieser Aktionswoche enden. Wir vom Lesekreis sind total überrascht, was aus unserer Idee geworden ist. Da können wir aber nichts dafür, das geschieht einfach. Weil es überall brodelt.

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