Süddeutsche Zeitung

Katholische Kirche:Post vom Papst

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In einem langen Brief ermuntert und ermahnt Franziskus die Gläubigen in Deutschland. Die Reformer sehen sich bestätigt - ihre Gegner aber auch.

Von Matthias Drobinski, München

Die 23 Millionen Katholiken in Deutschland haben Post bekommen - von Papst Franziskus persönlich. 19 Seiten ist er lang, der Brief "an das pilgernde Volk Gottes". Er will Ermunterung sein für eine Kirche in der Vertrauenskrise; er ist aber auch eine Ermahnung ans Gottesvolk zwischen Nordsee und Alpen, es nicht zu bunt zu treiben mit der Kirchenreform.

Dass der Papst einen solchen Brief an eine nationale Kirche schickt, ist so ungewöhnlich wie der Weg der Übermittlung: Nuntius Nikola Eterović, der Papstbotschafter in Deutschland, überreichte ihn den verdutzten Bischöfen, als die sich am vergangenen Dienstag in Berlin trafen. Manchem dürfte da der Atem gestockt haben: Wird Franziskus den "Synodalen Prozess" stoppen, den die Bischöfe gemeinsam mit dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) begonnen haben, der Vertretung der katholischen Laien?

Bischöfe und Kirchenvolk wollen dabei über Macht und Machtmissbrauch in der Kirche reden, über die Sexualmoral und auch, darauf drängt besonders das ZdK, über die mögliche Weihe von Frauen zur Diakonin. Einer konservativen Minderheit unter den Bischöfen geht das zu weit. Der scheidende Augsburger Bischof Konrad Zdarsa hat schon erklärt, nicht mitmachen zu wollen, auch der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki und Regensburgs Bischof Rudolf Voderholzer kritisieren das Vorhaben des Bischofskonferenzvorsitzenden und Münchner Kardinals Reinhard Marx. Sollten ihre Bedenken und Klagen in Rom offene Ohren gefunden haben?

Die Mehrheit der Bischöfe kann insofern aufatmen, weil der Papst nicht Nein sagt zum Prozess. Im Gegenteil: Er wünscht, dass die Katholiken auch in Deutschland "hinausgehen, um unseren Brüdern und Schwestern zu begegnen", besonders denen auf den Straßen, in den Gefängnissen oder Krankenhäusern. Und Tradition bedeutet, "das Feuer am Leben zu erhalten, statt lediglich die Asche zu bewahren". Das alles kann als Aufforderung an die Katholiken gelesen werden: Raus aus dem alten Trott, hin zu den Menschen, rein ins pralle Leben - so muss eine Kirchenreform aussehen.

Franziskus setzt in seinem Brief einen klaren Schwerpunkt: Die Besinnung auf das Evangelium und die "pastorale Umkehr" sind ihm wichtiger als jede Strukturreform. Er stelle "schmerzlich die zunehmende Erosion und den Verfall des Glaubens fest". Es sei jedoch falsch "zu glauben, dass die Lösungen der derzeitigen und zukünftigen Probleme ausschließlich auf dem Weg der Reform von Strukturen, Organisationen und Verwaltungen zu erreichen sei". Wer sein Vertrauen nur auf die Verwaltung und den perfekten Apparat setze, erzeuge "lediglich ein ,gasförmiges', vages Christentum, aber ohne den notwendigen ,Biss' des Evangeliums".

Und dann mahnt der Papst die Katholiken in Deutschland, die Weltkirche nicht zu vergessen: "Es ist Aufgabe dieses Prozesses, gerade in Zeiten starker Fragmentierung und Polarisierung sicherzustellen, dass der Sensus Ecclesiae auch tatsächlich in jeder Entscheidung lebt, die wir treffen", schreibt er. Der Sinn für die Weltkirche sei lebenswichtig für die Teilkirchen, weil "die Teilkirchen in und aus der Weltkirche leben und erblühen; falls sie von der Weltkirche getrennt werden, würden sie sich schwächen, verderben und sterben".

Der Text lässt Interpretationen zu: Die Reformer sehen sich ebenso bestätigt wie ihre Gegner

Das ist dann doch ein ziemlich klares Stoppzeichen: Die freie Diskussion endet, wo weltkirchlich geltende Regeln verändert werden sollen. Das betrifft vor allem die Debatte um die Weihe von Frauen: Franziskus hat das endgültige Nein von Papst Johannes Paul II. bekräftigt, da ist es egal, ob die Frauen in Deutschland zum Kirchenstreik aufrufen. Der Papstbrief dürfte auch Gespräche über eine Neubewertung von Homosexualität erschweren; weniger dagegen die Debatte um die Frage, ob der Zölibat gelockert werden könnte. Die Bischöfe der Amazonas-Region in Südamerika werden sich im Herbst mit dieser Frage beschäftigen. Sie ist also nicht als deutsches Sonderthema wegzudiskutieren.

Von all dem steht konkret nichts im Brief. Keines der brisanten Themen wird offen angesprochen; nicht einmal der Grund für den "Synodalen Prozess": Die Bischöfe haben ihn ja nicht deshalb beschlossen, weil sie fürchteten, dass irgendwie der Glaube verdunstet, sondern weil Verbrechen innerhalb der Kirche offenbar wurden, die Selbstbild und Selbstverständnis der Kirche in Frage stellen.

Entsprechend groß ist der Spielraum für Interpretationen. Kardinal Reinhard Marx und Thomas Sternberg, der Bischofskonferenzvorsitzende und der ZdK-Präsident, sehen sich ermutigt und gestärkt - selbstverständlich brauche der synodale Weg "eine geistliche Ausrichtung, die sich nicht in Strukturdebatten erschöpfen darf". Doch auch Kölns Kardinal Woelki sieht sich vom Papst bestens verstanden: "Wir müssen eine missionarische Kirche sein und dürfen nicht auf den perfekten Apparat schauen, sondern auf Christus, unseren auferstandenen Herrn". Der Regensburger Generalvikar Michael Fuchs sagt sogar, nach diesem Brief könne es kein "Weiter so" für den "Synodalen Prozess" geben. Der Limburger Bischof Georg Bätzing liest das Gegenteil heraus: Der Brief sei eine Ermutigung, den begonnenen Weg gemeinsam weiterzugehen. Gemeinsam? Das dürfte schwierig werden für Deutschlands Bischöfe in den kommenden Monaten.

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SZ vom 01.07.2019
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