Süddeutsche Zeitung

Katholische Kirche: Missbrauchsfälle:Der weltfremde Papst und die verpasste Chance

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Der Hirtenbrief von Benedikt XVI. an Irlands Katholiken ist zwar ehrlich und betroffen, doch entscheidend ist, was der Papst nicht gesagt hat.

Matthias Drobinski

Papst Benedikt XVI. hat einen ehrlich betroffenen Brief an die Katholiken in Irland geschrieben, das muss man ihm zugestehen. Er spricht schonungslos offen von "Scham" und "Reue" angesichts der Gewalt, die Priester und Ordensleute Kindern und Jugendlichen angetan haben. Er bittet die Opfer und ihre Familien um Vergebung; er macht den Tätern klar, welches Verbrechen sie begangen haben, wie abgrundtief sie die Kinder verraten haben, die im Namen Jesu zu ihnen kamen.

Er zeigt, warum gerade die Kirche in ihrer Existenz getroffen ist, wenn Menschen, die in Gottes Namen sprechen sollen, Kinder sexuell missbrauchen oder sadistisch quälen. Er kritisiert die Vertuschungen mancher Bischöfe, kündigt an, dass der Vatikan die Zustände in einigen Bistümern Irlands untersuchen möchte.

Das ist ein Signal an andere Länder: Kommt ihr mit dem Problem nicht alleine zurecht, dann kommen wir und sehen nach dem Rechten. Nie wieder soll es so werden wie in den USA und Irland, wo über Jahrzehnte auch Bischöfe sexuellen Missbrauch von Kirchenmitarbeitern deckten.

Das alles hat Papst Benedikt sich auch nicht einfach unter dem Druck immer neuer Missbrauchsfälle ausgedacht, die nun öffentlich werden. Joseph Ratzinger steht seit Jahren dafür, dass die Kirche scharf und klar gegen sexuelle Übergriffe vorgeht, er hat auch im Vatikan mächtige Kirchenmänner wie den Gründer der reaktionären Legionäre Christi nicht geschont, als gegen ihn der Vorwurf laut wurde, er habe sich an Minderjährigen vergangen.

Ausgesprochen respektabel - und zugleich unzureichend

So gesehen, ist der Brief Benedikts an die irischen Bischöfe ausgesprochen respektabel. Noch nie hat ein Papst so klar und demütig gesagt, dass sexueller Missbrauch anvertrauter Menschen den Kern des Glaubens trifft. Und trotzdem wird das Schreiben die katholische Kirche nicht aus der Krise führen, in die sie da geraten ist. Trotzdem bleibt es, bei allem ehrlichen Bemühen, unzureichend.

Unzureichend bleibt das Schreiben, weil es sich doch nur an die irische Kirche wendet, den einen Satz ausgenommen, dass alles hier Gesagte auch irgendwie den Rest der Welt betrifft. Der Brief lokalisiert damit ein Problem, das die gesamte Weltkirche betrifft, weil überall in der Welt Priester und Ordensleute mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, überall die Gefahr besteht, dass pädophile oder gewalttätige Männer die Nähe zu Kindern missbrauchen.

Er erweckt den Eindruck, dass hier und da die eine oder andere Ortskirche gefehlt hätte. Tiefergehende Fragen an die Gesamtstruktur der Kirche, die Probleme ihrer Ausbildung, die Krise der priesterlichen Lebensform, dem Auseinanderklaffen von Anspruch und Wirklichkeit - alles dies klammert der Papst aus, und auch, dass er selbst in einem Fall direkt betroffen ist, als ein wegen sexuellen Missbrauchs aufgefallener Priester in Ratzingers Amtszeit im Erzbistum München und Freising gleich wieder in einer Gemeinde eingesetzt und später abermals straffällig wurde. Der Kirche in Deutschland hätte ein Wort des Papstes gut getan, er hat nicht den Mut gefunden, es auszusprechen.

Im Video: Der Papst hat sich in seinem mit Spannung erwarteten Hirtenbrief an die Katholiken in Irland bei den Opfern sexueller Gewalt entschuldigt

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Problematisch ist der Brief allerdings dann doch dort, wo er über die Ursachen des Missbrauchs nachzudenken versucht. Benedikt legt nahe, dass die Übergriffe vor allem durch die moralische Laxheit in Klerus und Kirchenvolk begünstigt wurden, dadurch, dass die Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils als Beginn einer weichen Welle missverstanden worden seien.

Ist die Kirche also dort vor sexuellem Missbrauch sicher, wo streng geglaubt und eifrig von Keuschheit geredet wird? Dies ist, mit Verlaub, Unsinn. Viele gerade der älteren Missbrauchsfälle, die nun offenbar werden, zeigen das. Bis in die siebziger Jahre gerierten sich Priester als gottähnliche Wesen, um dann aus dieser angeblichen Gottähnlichkeit heraus Kinder an sich zu binden, Grenzen zu überschreiten, die kein Erwachsener überschreiten darf - es gibt Berichte, wie sich dann Täter und Opfer hinknieten und Gott um Vergebung baten. Das ist keinen Deut besser als die Übergriffe an der Odenwaldschule, die im Namen einer angeblichen sexuellen Befreiung geschahen; pädophile Täter suchen sich in konservativen Milieus genauso Begründungen für ihr Tun wie in liberalen oder linken.

Einordnung in das eigene Denksystem

Benedikt XVI. ordnet die Missbrauchsfälle einfach in sein Denksystem ein - das ist die wahre und tiefe Schwäche des so gut gemeinten Schreibens. Die Gewalt gegen Kinder und Jugendliche ist demnach Ergebnis des Werterelativismus, der sich auch in der Kirche breitgemacht hat. Das aber ist weltfremd. Stattdessen hätte der Papst Priestern und Gläubigen Mut machen können: Ihr dürft, ihr sollt Kinder in den Arm nehmen, wenn ihr euch der Grenzen bewusst seid. Die Kirche kann den Menschen nahe sein, ohne übergriffig zu werden.

Die Krise wegen der Missbrauchsfälle wird die katholische Kirche in Deutschland stärker verändern als viele Schreiben des Papstes. Vielleicht gelingt es ja tatsächlich, jene Kultur der Achtsamkeit gegenüber den Opfern von einst und den Kindern von heute zu entwickeln, von denen nun alle reden. Der Papst hätte dann bei der Krisen-Überwindung wenigstens ein bisschen geholfen - mit einem Brief nach Irland, mit dem sich irgendwie nun auch Deutschland begnügen muss.

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SZ vom 22.3.2010/mati
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