Süddeutsche Zeitung

Katholische Kirche:Markenkern Jesus Christus

Soziale Einrichtung, Dienstleister bei Taufe und Hochzeit oder Bollwerk gegen den Islam? Eine Studie zeigt, was die Menschen in der katholischen Kirche hält. Doch der gemeinsame Wunsch der Mehrheit ist, im Glauben Halt zu finden.

Von Matthias Drobinski

Was hält Menschen in der katholischen Kirche? Die Antworten darauf sind bunt: Da ist die ältere Frau, die fest im Glauben und zu ihrer Kirche steht; da ist das jüngere Paar, das kirchlich heiraten und sein Kind taufen lassen will. Da sind Menschen, die vor allem mit ihrer Gemeinde verbunden sind; andere schätzen das soziale Engagement der Kirche, auch wenn sie sonntags lieber ausschlafen. Da gibt es jene, die sich ein Bollwerk gegen den Islam und die Moderne wünschen - und jene, die sich ihren Glauben selber basteln und denen die Institution egal ist. Und da gibt es die kirchenangestellte Krankenschwester, die nichts glaubt, aber nach einem Austritt berufliche Nachteile befürchtet.

All diesen Katholiken-Typen hat nun eine Studie im Auftrag der katholischen Medien-Dienstleistungsgesellschaft (MDG) und des Erzbistums München-Freising nachgespürt, zum ersten Mal in diesem Umfang fürs katholische Deutschland, getrieben von der bangen Frage, wie denn die derzeit noch 23 Millionen Mitglieder zu halten sind im Angesicht von Kirchenskandalen und Austrittswellen. Die Antwort ist Beruhigung und Alarm zugleich: Zusammenbrechen wird die katholische Kirche so bald nicht - immerhin vier von fünf Mitgliedern sind irgendwie ihrer Kirche verbunden. Doch die Bindung bröckelt. 41 Prozent haben schon einmal über einen Kirchenaustritt nachgedacht, wenn auch die Hälfte davon angibt, höchstwahrscheinlich zu bleiben. Doch sieben Prozent sind fest zum Austritt entschlossen, 13 Prozent unentschieden. Angesichts dieser Zahlen sind die tatsächlichen Austrittszahlen immer noch überraschend niedrig.

Katholiken in Deutschland sind jedenfalls typischerweise ihrer Kirche in Kritik verbunden. Von den bundesweit 1369 Katholikinnen und Katholiken, die das Heidelberger Sinus-Institut 2017 befragen ließ, rechneten die Forscher 45 Prozent dieser Gruppe zu - vor allem das Frauenbild und die kirchliche Sexualmoral lehnen auch viele ab, die ansonsten treu zu ihrer Kirche stehen. Nur 16 Prozent gelten als gläubig kirchennah; jeder fünfte versteht sich als kirchenunabhängiger Christ, ebenso viele als nichtchristlich oder individuell religiös, als unsicher oder gar unreligiös. Und jeden vierten Katholiken sehen die Forscher als der Kirche entfremdet an - mancher von ihnen war bislang schlicht zu bequem, um zum Standesamt zu gehen und seinen Austritt zu erklären.

Die Studie lässt auch das demografische Problem ahnen, das auf die katholische Kirche zukommt. Die bekennenden Christen, die Gemeindeverwurzelten und die Traditionellen sind im Schnitt deutlich älter als die religiösen Freigeister und jene, die an ihrer Kirche vor allem das soziale Angebot und die Dienstleistung schätzen; je jünger und gebildeter die Befragten sind, desto ferner stehen sie meist der Institution. Zunehmend wird die katholische Kirche Mitglieder haben, die geistige und geistliche Freiheit wünschen, die diskutieren und selber entscheiden wollen, die ein ihnen entsprechendes Angebot wünschen - und die gehen, wenn ihnen etwas nicht passt.

Hier müsse die katholische Kirche offener werden für die Vielfalt ihrer Mitglieder, sagt der Theologe Thomas Nahrmann, der gemeinsam mit der Soziologin Jana Goetzke die Studie betreut hat, "wenn ein Drittel der Leute sagt, die Kirche sei eine Spaßbremse, dann muss die Kirche sich fragen: Warum finden die uns so langweilig?" Hoffnungslos finden die Macher der Studie die Lage der katholischen Kirche jedenfalls nicht. So hätten zum Beispiel durch fast alle Milieus hindurch eine große Mehrheit der Befragten angegeben, dass ihnen der Glaube an Jesus Christus wichtig sei, dass dieser Glaube ihnen inneren Halt gebe - und dass doch viele wenigstens ab und zu in einen Gottesdienst gingen.

Hier müsse die Kirche "qualitativ hochwertige Angebote" machen, sagt Nahrmann; zunehmend seien solche punktuellen Kontakte der "Motor der Kirchenbindung". Auch die "Dienstleistungsorientierten", die mal wegen der Hochzeit vorbeischauten, gehörten wertschätzend behandelt: "Die Sakramente gibt es kostenlos." Viele Gemeinden täten sich zudem immer noch schwer mit der zunehmenden Vielfalt im Katholizismus, mit ungewöhnlichen Projekten, die nicht immer ins Konzept passten, damit, dass künftig weniger die Hauptamtlichen und zunehmend die Ehrenamtlichen Träger des kirchlichen Lebens sein werden.

Der wichtigste Rat, den Nahrmann den kirchlichen Adressaten der Studie mit auf den Weg gibt, klingt überraschend fromm: "Sie müssen die Beziehung zu Jesus Christus fördern" - ein Marketingexperte hätte gesagt: "Sie müssen den Markenkern stärken." Denn das Bedürfnis, über den Glauben frei und offen zu reden, sei da - es fehlten allerdings die Räume dafür.

Von Mittwoch an ist die Studie unter http://www.mdg-online.de online zu lesen.

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Quelle:
SZ vom 23.01.2019
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