Katholische Kirche in Lateinamerika:Gottes Geldeintreiber

Geheime Familien und ein Milliarden-Imperium: Ein bizarrer Skandal um den Gründer der "Legionäre Christi" schadet der Kirche in Lateinamerika. Unklar ist dabei die Rolle des heutigen Papstes.

Peter Burghardt

Die Kathedrale von Mexiko-Stadt war voll am Osterwochenende, trotz allem. Dabei wären die wichtigsten Messen des Jahres in der zweitgrößten katholischen Gemeinde der Welt beinahe ausgefallen, denn vor dem Gotteshaus wurde heftig protestiert. "Sie wollen wie in der Inquisition ihre Macht und ihre Religion durchsetzen", hatte die Kirchenkritikerin Julia Klug auf ein Transparent geschrieben. Und: "Der Klerus vergewaltigt."

Die Erzdiözese drohte, die Kathedrale zu schließen, doch dann predigte der Kardinal Norberto Rivera doch und gab sogar zu, "seit Jahrhunderten" sei die Kirche nicht so in Misskredit geraten. "Einige unehrliche und kriminelle Priester" hätten mit "dem Missbrauch unschuldiger Kinder die Kirche beschmutzt". Einen Namen nannte Rivera nicht, aber der stand auf dem Schild der Demonstranten: Marcial Maciel.

Der mexikanische Priester Marcial Maciel Degollado steht für den lateinamerikanischen Teil einer Affäre, die auch den Vatikan und Papst Benedikt XVI. belastet. Eine besonders unangenehme Wendung, nachdem der Mann einer der eifrigsten Sammler von Geld und Gläubigen gewesen war.

1941 hatte Maciel die erzkonservativen "Legionäre Christi" ins Leben gerufen. Unter seiner Führung scharte die Vereinigung mit strenger Heilslehre Tausende von Anhängern um sich, eröffnete Schulen und Universitäten. 700 Priester und 1300 Seminaristen sollen zuletzt für den Orden im Einsatz gewesen sein.

Als Maciel im Januar 2008 im Alter von 87 Jahren in Florida starb, blieb ein Imperium zurück. Die italienische Wochenzeitung L'Espresso schätzt das Vermögen der Legionäre Christi auf 250 Milliarden Dollar, das Wall Street Journal rechnet mit einem Jahresbudget von 650 Millionen Dollar. Dazu allerdings hinterließ der Gründer einen bizarren Skandal.

Geheime Familien

Erst meldete sich aus Spanien die Mutter einer mit ihm gezeugten Tochter. Dann machten sich zwei mexikanische Frauen mit drei weiteren Kindern Maciels bemerkbar. Inzwischen war bei der spanischen Zeitung El Mundo sogar von einer weiteren geheimen Familie in der Schweiz die Rede. Der kirchenkritische National Catholic Reporter aus den USA berichtete, dass Marcial Maciel sich zwischen den 40er und 60er Jahren an mindestens 20 Jugendlichen vergangenen habe, womöglich noch an wesentlich mehr. Des weiteren sei er von Morphium abhängig gewesen. Als Legionär Christi aber lobte er den Zölibat.

Viele wussten von dem Doppelleben schon länger, von Unterstützern und Gefolgschaft des hermetischen Bundes jedoch war zunächst kaum Aufklärung über die pädophilen Triebe des Chefs zu erwarten - schon gar nicht im vielfach devoten Mexiko. Zu den Gönnern zählen unter anderem Mexikos Krösus Carlos Slim, auf der Liste von Forbes mittlerweile der reichste Mensch der Erde; auch Tenor Plácido Domingo sang bei einer Spendengala. Solche Summen wie Maciel brachte kein anderer Katholik zusammen.

Und die meisten Legionäre hatten ihrer Leitung ohnehin eiserne Treue geschworen. Sie verehrten Marcial Maciel als Vater und Heiligen, nach seinem Tod forderten Untertanen seine Seligsprechung. Aber was wusste Rom, was und wann wussten der frühere und der aktuelle Oberhirte von den Abgründen?

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Reich des Schweigens

Gemäß der Recherchen vor allem des National Catholic Reporter wurde der eifrige Financier Maciel von Papst Johannes Paul II. gestützt. Zu den weiteren Gefolgsleuten im Vatikan gehörten offenbar dessen damaliger Sekretär Stanislaw Dziwizs und der Kardinal Angelo Sodano. Trotz wiederholter Klagen eines Aussteigers der Legionäre geschah lange Zeit nichts. 2004 vertraute Papst Johannes Paul II. dem generösen Maciel sogar in einer Zeremonie die Leitung des Jerusalemer Notre Dame Centre an, eines päpstlichen Instituts.

Unklar ist nun die Rolle von Joseph Ratzinger, seinerzeit Kardinal und Chef der Glaubenskongregation. Das Magazin Stern behauptet, der heutige Papst Benedikt XVI. habe auch in diesem Fall stillgehalten. Ein Verfahren gegen Maciel sei unter Ratzinger eingestellt worden. Andere sagen, Maciel sei auf Betreiben des neuen Papstes 2006 in Ungnade gefallen und zu "einem Leben in Buße und Beten" ins Exil geschickt worden. Vatikansprecher Federico Lombardi erklärt, Ratzinger habe die Untersuchungen gegen Maciel vorangetrieben. "Es ist paradox und für informierte Personen lächerlich, Kardinal Ratzinger irgendein Decken oder Vertuschen zu unterstellen."

Sicher ist, dass die Causa Maciel den päpstlichen Missionen jenseits des Atlantiks noch mehr schadet. Zwar leben nirgendwo so viele Katholiken wie südlich des Rio Grande; Brasilien, Mexiko und auch Kolumbien sind nach wie vor katholische Hochburgen.

Auch die Pfingstler kassieren ab

Die Basis indes bröckelt gewaltig. Tausende wandern zu den diversen Pfingstkirchen und evangelischen Sekten über, deren Prediger bieten zum Teil abstruse Shows, dazu aber das Gefühl von Gemeinschaft. Sie sind in jedem zweiten Dorf vertreten und kassieren ansonsten fast so fleißig ab wie die Legionäre Christi. Die brasilianische Igreja Universal do Reino do Déus, die sogenannte Universalkirche des Reiches Gottes, ist ein wohlhabender Konzern inklusive Fernsehsender geworden. Papst Johannes Paul II. versuchte, dem eine eigene Show entgegenzusetzen, und Entertainer wie den in Brasilien berühmten Padre Rossi aus Sao Paulo für die katholische Sache singen zu lassen.

Der leutselige Pole war beliebt in Lateinamerika, selbst Kubas Comandante Fidel Castro empfing den Antikommunisten Johannes Paul II. Mit dem spröden Deutschen Benedikt XVI. tun sich Katholiken im Süden schwer. Allmählich brechen Dämme der Angst. In Mexiko-Stadt wurde trotz Widerstandes der Kirche die Schwulen-Ehe durchgesetzt.

Vereinzelt melden sich im Reich des Schweigens frühere Opfer von kirchlichen Kinderschändern. Der Vatikan eröffnete in neun Jahren hundert Prozesse gegen Priester in Mexiko, berichtet die Zeitung El Universal. Ein erstes Mea Culpa ist zu hören. Die Legionäre Christi baten um Entschuldigung und stellten etwas verspätet fest, Maciel sei "kein Vorbild christlichen und priesterlichen Lebens". Betroffene verlangen Entschädigung - Geld haben die Milliardäre Maciels ja genug.

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