Katholische Kirche:Die Krise erreicht Benedikt XVI.

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Der Missbrauchsskandal erschüttert die katholische Kirche existentiell. Sie ist in der Krise, weil sie sich immer noch stärker selbst bemitleidet, statt den Opfern zu helfen. Jetzt geht es um das Vertrauen, das mehr als eine Milliarde Katholiken in den Pontifex setzen können.

Matthias Drobinski

Nun also betrifft der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche den Papst selber. Während Benedikt XVI. in Rom mit dem deutschen Bischofskonferenzvorsitzenden und Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch redet und beide sich anschließend ehrlich betroffen angesichts der Übergriffe von Priestern und Ordensleuten zeigen, verdichten sich die Hinweise: Als Josef Ratzinger Erzbischof von München und Freising war, kam ein Pfarrer von Essen nach München, um dort eine Therapie zu beginnen.

Der Pfarrer hatte in Essen Jugendliche sexuell missbraucht. Er wurde in München wieder in der Seelsorge eingesetzt, er hat 1986 wieder Jugendlichen sexuelle Gewalt angetan, wofür er verurteilt wurde.

Hat der heutige Papst damals einen folgenschweren Fehler gemacht? Das ist noch völlig unklar. Joseph Ratzinger hat nach jetziger Erkenntnis gewusst, warum der Priester von Essen nach München versetzt wurde. Die Entscheidung, den Mann parallel in der Seelsorge einzusetzen, hat er nicht getroffen. Dem damaligen Generalvikar Gerhard Gruber kann man zugute halten, dass er der Therapiegläubigkeit der 80er Jahre erlag und den Pfarrer für in der Seelsorge einsetzbar hielt. Aber es bleiben Fragen, drängend sind sie, und beantworten kann sie letztlich nur Papst Benedikt XVI. in Rom. Er sollte sie beantworten, um der Klarheit und der Wahrheit willen, nicht, weil er an den Pranger gehört.

Existentielle Krise

Doch egal, wie der Münchner Fall sich entwickelt - er zeigt, wie tief, geradezu existentiell die Kirche in die Krise geraten ist. Benedikt XVI. hat sexuellen Missbrauch auf das schärfste verurteilt, man kann ihn insofern nicht als Vertuscher oder Leugner hinstellen. Und trotzdem hat das Thema ihn erreicht; jetzt geht es um das Vertrauen, das mehr als eine Milliarde Katholiken in der Welt in den Pontifex setzen können - oder nicht.

Es hat sich also zur grundlegenden Vertrauenskrise entwickelt, was mit einzelnen Fällen im Berliner Canisiuskolleg begann. Die Vertrauenskrise wird sich in den Kirchenaustrittszahlen widerspiegeln, sie spiegelt sich jetzt schon in dem wider, was Menschen erfahren, die sagen, dass sie der katholischen Kirche angehören. Eltern müssen erklären, warum sie noch ihre Kinder in der Ministrantengruppe lassen, Priester müssen darlegen, dass sie nicht mit permanentem Triebstau durchs Leben gehen. Und die Bischöfe müssen sich gegen Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenbergers Verdikt verteidigen, die Kirche wolle ihr eigenes Recht bei der Aufklärung schaffen.

Starkes Selbstmitleid

Aber die katholische Kirche hat sich selber in diese Lage gebracht. Erzbischof Zollitsch hat geschwiegen, wo er sofort hätte reden sollen. Der Jesuitenpater Klaus Mertes, der in Berlin die ersten Fälle öffentlich machte, wird intern als Getriebener hingestellt. Es fehlt nicht an Hinweisen aus Bischofskreisen, dass es doch anderswo auch schlimm sei und die Journalisten nun ein Kesseltreiben veranstalteten wie einst die Nazis mit ihren Sittlichkeitsverbrechern. Ja, es gibt anderswo Missbrauch, ja, die Kirche hat sich 2002 Leitlinien gegeben - übrigens auch damals erst auf öffentlichen Druck hin. Doch wer als Betroffener so redet, erweckt den Eindruck, er wolle vor allem die eigene Institution schützen, ausgerechnet dort, wo sie ihren Auftrag am schmählichsten verrät.

Die Kirche ist nicht in die Vertrauenskrise geraten, weil sie ein Verein von Missbrauchern ist. Sie ist in der Krise, weil sie sich immer noch stärker selbst bemitleidet, statt den Opfern zu helfen, zum Beispiel mit einem Entschädigungsfonds. Sie ist in der Krise, weil sie nicht zugeben will, dass der Priester- und Ordensberuf Männer mit sexuellem Identitätsproblem anzieht. Es ist eine Krise, die das gesamte Land angeht, weil in der Kirche bislang eine Nähe und Wärme möglich war, die anderswo in der Gesellschaft knapp geworden ist. Dieses knappe Gut könnte sie nun verspielen. Auch da ist nun der Papst gefragt.

© SZ vom 13.3.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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