Urteil zum Arbeitsrecht:Die katholische Kirche muss ihre Doppelmoral beenden

Kruzifix und Rosenkranz

Die Kirche muss aufhören, mit zweierlei Maß zu messen.

(Foto: dpa)

Laien, die nach einer Scheidung erneut heiraten, werden hart bestraft. Den eigenen Priestern begegnet man beim Thema Missbrauch jedoch mit unverschämter Nachsicht.

Kommentar von Heribert Prantl

Die Moral- und Sittenlehre der katholischen Kirche war und ist gespalten. Wenn es um das Verhalten von Laien geht, zumal der Laien, die in kirchlichen Einrichtungen arbeiten, ist die Kirche von gnadenloser Strenge. Dann kündigt sie dem Chefarzt des katholischen Krankenhauses oder der Leiterin des Kindergartens, nur weil die nach ihrer Scheidung ein zweites Mal geheiratet haben; das widerspreche der katholischen Ehe- und Sexualmoral. Wenn es aber um das Verhalten ihrer Priester geht, ist die Kirche von erschreckender, ja unverschämter Nachsicht: Deren sexuelle Gewalttaten wurden jahrzehntelang flächendeckend und global vertuscht und verharmlost, die Opfer abgewimmelt.

Das ist erst seit jüngerer Zeit anders und das Anti-Missbrauchs-Konzil, das im Vatikan beginnt, soll hier nach der Ankündigung von Papst Franziskus für eine Zeitenwende stehen. Von Buße und von Scham ist die Rede. Der treffende Kommentar dazu steht schon im Evangelium des Johannes: Nicht an den Worten, sondern an den Taten sollt ihr sie erkennen. Von der Konferenz im Vatikan müssen Taten der radikalen Umkehr ausgehen. Der moralische Überlegenheitsanspruch der katholischen Kirche ist unter der Last der Ungeheuerlichkeiten zusammengebrochen. Die geistlichen Repräsentanten dieser Kirche stehen zum Teil ungläubig, zum Teil bockig, zum Teil schuldbewusst vor und in diesen Trümmern; diese Trümmer haben auch untadelige und hochengagierte Seelsorger getroffen.

Es gibt einen Generalverdacht gegen alles Kirchliche - das gehört zu den bitteren Folgen des sexuellen Missbrauchs. Der Klerus ahnt oder weiß, dass seine Autorität in Sitten- und in Sexualfragen "selbstverschuldet darnieder liegt", wie es der Salzburger Dogmatik-Professor Hans-Joachim Sander formuliert; er beklagt eine jahrzehntelange "auftrumpfende Selbstgerechtigkeit" von Kirche und Klerus.

Das kirchliche Arbeitsrecht in Deutschland ist Teil dieser auftrumpfenden Selbstgerechtigkeit. Die Kirche beansprucht für sich eine Sonderstellung und Sonderrechte - die nur schwer aufrechtzuerhalten sind. Das Bundesarbeitsgericht hat soeben davon Abstand genommen. Es hat die Kündigung des Chefarztes eines Caritas-Krankenhauses nach dessen Wiederheirat für unwirksam erklärt. Dieses Urteil ist nicht nur verständlich, es ist richtig. Die Unbarmherzigkeiten, die das kirchliche Arbeitsrecht für die Beschäftigten an konfessionellen Krankenhäusern und sonstigen Einrichtungen mit sich bringt, sind intolerabel. Nur für die wenigsten der Beschäftigten dort, oft nur für einen Barmherzigen Bruder an der Spitze, ist das Krankenhaus ein Religionsausübungsbetrieb - für alle anderen ist es eine normale Arbeitsstelle.

Die Kirchen berufen sich auf das Staatskirchenrecht des Grundgesetzes, welches 1949 aus der Weimarer Verfassung von 1919 übernommen worden ist; es hat den Kirchen das Recht eingeräumt, ihre Angelegenheit umfassend selbst zu regeln. Der Limburger Altbischof Franz Kamphaus hat dazu einmal gesagt: Die Kirche gleiche einem alten, abgemagerten Mann in viel zu großen Kleidern. Einmal hätten sie ihm gepasst, aber jetzt hingen sie ihm herunter und hinderten ihn am Gehen. Das deutsche Staatskirchenrecht gehört zu diesen Kleidern. Die katholische Kirche sollte ihre Zukunft nicht in rechtlichen Privilegien sehen - sondern in der mühsamen Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit.

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