Katholikentag:Gegen die Angst

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15 000 Kinder haben ein Boot bemalt und so das wichtigste Thema des Treffens illustriert. Die Flüchtlinge seien ein "Gottesgeschenk", sagt eine Caritas-Mitarbeiterin - eine Einschätzung, die nicht alle teilen.

Von Matthias Drobinski, Leipzig

Lenas Planke findet sich irgendwo im Innern des riesigen Labyrinths, das da, in der Form eines fast 20 Meter langen Bootes, im Leipziger Hauptbahnhof aufgebaut ist. Mit Wachsmalkreiden hat die 13-Jährige erst ein wellengeworfenes Schiff voller ängstlicher Gesichter gemalt, dann ein Boot in ruhiger See, das sicheres Land ansteuert. "Es soll niemand ertrinken", sagt sie, und: "Wenn bei mir zu Hause Krieg wäre, würde ich mir auch wünschen, dass mich jemand aufnimmt."

Seit sie denken können, sind Lena und die andern acht Kinder aus dem sächsischen Wechselburg Sternsinger, ziehen nach Weihnachten übers konfessionsfreie Land und sammeln für Kinder in Not. Klar haben sie mitgemacht, als das päpstliche Kindermissionswerk, das die Sternsinger-Aktion trägt, dazu aufrief, für den Katholikentag Holzplanken zu gestalten, als Zeichen der Solidarität mit den Flüchtlingen. 15 000 Kinder aus ganz Deutschland haben 3000 Bretter bemalt. Nicht einmal die Hälfte passte in den Zwölftonner, der die Planken in den Bahnhof schaffte, wo nun Pendler wie Kirchentagsbesucher an den Botschaften der Kinder vorbeilaufen: brennende Häuser, kenternde Boote, ein friedlich-grünes Deutschland; kleine Kunstwerke oder einfach das Wort "Resbekt".

1000 Menschen sind bis Freitagmittag durchs Schiff gelaufen, 5000 wenigstens mal außen herum. Das kleine Wunder dabei: Im Gästebuch schimpft nur einer, dass dies "Kindesmissbrauch für eure Ideologie" sei. Doch mitten im angeblich so fremdenfeindlichen Osten Deutschlands drücken fast alle Einträge Rührung aus und Anerkennung für die Kinder, die hier die Flüchtlingskrise in all ihrer Unlösbarkeit auf die einfache Formel bringen: Schaut auf die Menschen. Hamburgs Erzbischof Stefan Heße, der sich von Lena und den anderen Wechselburgern durchs Boot führen lässt, ist beeindruckt. Die Kinder erzählen, dass es bei ihnen jetzt eine Integrationsklasse gibt, die Kinder dort schon "eigen" seien und mal ein ziemlich scharfes Essen für alle gekocht hätten. Der Erzbischof, der auch Flüchtlingsbeauftragter der Bischöfe ist, sagt, dass es zum Wesen der Kirche gehöre, sich für die Schwachen einzusetzen.

Teilnehmer einer Eucharistiefeier haben sich auf dem Augustusplatz in Leipzig versammelt. Während die Katholiken Frohnleichnam feiern, war der Donnerstag für die säkularen Sachsen ein ganz normaler Arbeitstag. (Foto: Sebastian Willnow, dpa)

Wer auch nur ahnen will, wie infam verletzend der Satz des bayrischen AfD-Chefs Petr Bystron ist, die Kirchen wollten mit den Flüchtlingen vor allem ein Milliardengeschäft machen, der muss den Leipziger Katholikentag besuchen. Es ist ja auch eine Versammlung derer, die das Gute im Kleinen tun, statt große Reden zu schwingen, die Kleider spenden und Kleider ausgeben, Deutschkurse im Pfarrsaal abhalten, gar Flüchtlinge zeitweise in ihre Familien aufnehmen; die sich den Enttäuschungen aussetzen, wenn Flüchtlinge den Deutschkurs schmeißen oder die mühsam besorgte Wohnung für nicht gut genug halten, und doch dranbleiben, weil das auch die Helfer lebenszufrieden macht. Auch Innenminister Thomas de Maizière, der sich immer mal wieder über die Kritik der Kirchen an den neuen Asylgesetzen ärgert, nennt am Freitag die Äußerung des AfD-Mannes eine "Beleidigung" für die Helfer: "Das hat mich doch ziemlich empört."

Das immerhin hat die Nichteinladung der AfD auf die Katholikentagspodien bewirkt: Das Christentreffen wird in seinem politischen Teil zu einer Art Gesamtstatement gegen die Rechtspopulisten, teils gewollt, teils ungewollt. Auf einmal ist es mehr als nur ein Detail, dass auch eine Flüchtlingsgruppe den Fronleichnamsgottesdienst am Donnerstag mit vorbereitet hat - oder dass, nachdem Bundespräsident Joachim Gauck gegen die Angst als Motor der Politik gesprochen hat, eine Frau mit fromm-muslimischem Kopftuch ganz wunderbar Leonard Cohens Halleluja singt und die Leute im Saal ergriffen mitsingen. Flüchtlinge erzählen ihre Lebensgeschichten, führen Katholikentagsbesucher durch ihre neue Heimat Leipzig. Kein Bischof, der nicht klarmacht, dass, wer Fremde ablehnt und den Islam unter Generalverdacht stellt, ein Problem hat mit ein paar Grundaussagen Jesu und dem deutschen Grundgesetz. Gedankenverwirrungen nicht ausgeschlossen: Die Berliner Caritas-Präsidentin Ulrike Kostka nennt die Flüchtlinge ein "Gottesgeschenk" für die Deutschen - als habe der liebe Gott den Diktator Assad und den IS geschaffen, damit die Syrer fliehen und die Deutschen zu besseren Menschen machen.

Und doch gibt es da die anderen Töne zwischen all den gesprochenen und ungesprochenen Statements; Töne der Suche und Verunsicherung auch bei den engagierten Katholiken. Im Innenhof der Leipziger Volkshochschule hat Cibedo ein marokkanisches Zelt aufgebaut, aus schwerem Stoff, mit schwülstigen Brokatsitzen und Goldblechtischen; es gibt Tee für alle. Cibedo ist die "Christlich-islamische Begegnungs- und Dokumentationsstelle" der Bischofskonferenz; der Geschäftsführer Timo Günzelsmansur und die Islamwissenschaftlerin Nora Kalbarczyk sind sozusagen die bischöflich beauftragten Profis für den Dialog mit den Muslimen. Milde Abendsonne liegt über dem Hof und dem Zelt, die beiden sind leergequatscht, ein Gespräch folgte dem anderen. Wie ist das mit dem Islam? Was ist die Scharia, wie gewaltaffin ist die Religion derer die da gekommen sind? Aber auch: Wie kann man den Neuen begegnen, ohne sie zu brüskieren, was sind ihre Sitten und Gebräuche?

Harte Islamfeindschaft ist ihnen hier bislang nicht begegnet, sagen sie, anders als sonst in ihrer Arbeit. Eher Unsicherheiten, Neugier, auch Sorgen. Kalbarczyk und Günzelsmansur versuchen, den Fragern Informationen und Differenzierungen auf den Weg mitzugeben: Es gibt nicht "die" Scharia als geschlossenes Werk. Die Scharia bezeichnet Gottes gute Ordnung, die vom Menschen nie ganz zu erfassen ist. Aber es stimmt: Viele muslimische Länder maßen sich an, diese Scharia in ein brutales Gesetzeswerk zu fassen. Nur bedeutet dies nicht, dass der Islam vom Wesen her eine gewalttätige Religion ist. Und wie man sich Muslimen gegenüber benehmen soll? Nicht krampfhaft an die vermuteten Sitten des Fremden anpassen, die Erinnerung an die eigene gute Kinderstube genügt.

Oben, im dritten Stock der Volkshochschule, reden der Sufi-Meister Sheik Esref Efendi und der Franziskanerpater Claudiaus Groß über das Kirchentags-Motto "Seht, da ist der Mensch". Da ließe sich einiges diskutieren, zum Beispiel, dass das Menschenbild des Islam und des Christentums sich durchaus unterscheidet - doch vor allem erklärt der Sufi-Meister freundlich, dass ja auch der Koran Jesus sehr wertschätzt, und auch der Franziskanerpater betont vor allem höflich die Gemeinsamkeiten der Religionen. "Was sagen Sie zum Verständnis des Märtyrertums im Islam?" fragt eine Frau vorsichtig. Märtyrer sind Menschen, die ihr eigenes Leben für andere hingeben, antwortet der Sufi-Meister, wer aber als Selbstmörder andere mit in den Tod reißt, steht außerhalb der Religion. "Ihm glaube ich ja sofort", sagt die Frau, nur halb zufrieden.

Die Begegnung von fremden Kulturen sei eben "keine gemütliche Veranstaltung"

Übers Podium mit Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hat die Katholikentagsleitung Karl Valentins Satz gesetzt: "Fremd ist der Fremde nur in der Fremde". Es gebe inzwischen zwei Formen des Fremdseins, sagt Lammert, "Flüchtlinge, die sich in der Fremde fremd fühlen, und Deutsche, die sich in gewohnter Umgebung fremd fühlen" - da seien Besorgnisse schon verständlich. Überhaupt sei die Begegnung von Kulturen "keine gemütliche Veranstaltung", was im Grunde auch kein Problem sei. Nur werde "aus dem Gefühl des Fremdseins immer häufiger Ressentiment und Feindschaft"; das mache ihm, Lammert, Sorgen; zum Beispiel der dumme Satz, dass der Islam unvereinbar sei mit der Demokratie: "Das Christentum war nachweislich über Jahrhunderte nicht vereinbar mit der Demokratie!" ruft er in den Saal.

Das Publikum dankt mit Applaus, wie es mit Applaus dankt, als der zweite Mann im Staat sagt, dass die Neuen sich auch an Regeln halten müssten, da dürfe es keinen Pardon geben. Stimmt, sagt der Islamwissenschaftler Ahmad Milad Karimi, der als 13-jähriges Flüchtlingskind nach Deutschland kam und heute Hegel und Kant zitiert, dass dem Publikum schwindlig wird. Aber es dürfe auch nicht jeder Flüchtling dem Verdacht ausgesetzt werden, dass er dumm ist und ein Problem mit seiner Männerrolle hat. "Das erleben aber gerade viele Helferinnen in den Kirchengemeinden durchaus", antwortet die Theologin Petra Bahr von der Konrad-Adenauer-Stiftung - und um Publikum murmelt es zustimmend. Und dann fügt sie den schönen Satz hinzu: "Ich glaube, das ganze Land befindet sich gerade im Integrationskurs."

© SZ vom 28.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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