Katargate, war da was? Im Dezember 2023 kam die Korruptionsaffäre ans Licht, die dem Ruf der europäischen Demokratie schweren Schaden zufügte. Mehrere Europaabgeordnete hatten sich mutmaßlich schmieren lassen, um die Politik der EU im Sinne von Katar und Marokko zu beeinflussen, darunter die Griechin Eva Kaili, eine stellvertretende Vorsitzende des Europaparlaments. Die belgische Regierung feierte den Fall damals als Triumph seiner Sicherheitsbehörden. Doch nun entwickelt sich der Fall immer mehr zu einem belgischen Trauerspiel.
Eine Anklageschrift sollte, so hieß es ursprünglich, binnen eines Jahres vorliegen. Mittlerweile erscheint fraglich, ob es jemals zu einer Anklage kommen wird. Es war eine für den Stand der Ermittlungen bezeichnende Nachricht, die diese Woche publik wurde: Auf Anordnung eines Brüsseler Gerichts, das Ermittlungsverfahren in Belgien überwacht, muss nun die Rolle des belgischen Geheimdienstes Sûreté de l’Etat von einem Kontrollgremium des belgischen Parlaments beleuchtet werden.
Zweifel am Kronzeugen und am Chefermittler
Ohne Geheimdienst hätte es Katargate nicht gegeben. Er war in Wohnungen eingedrungen, hatte Verdächtige abgehört und beschattet, gab seine Erkenntnisse an die Staatsanwaltschaft weiter. Was die Anwälte der Beschuldigten kritisieren: Der Geheimdienst habe noch zu den Ermittlungen beigetragen, als der Fall schon in den Händen der Staatsanwaltschaft lag. Das sei verfassungswidrig – und deshalb sei ein Großteil der Beweismittel hinfällig.
Es werden nun Monate vergehen, bis die Stellungnahme des parlamentarischen Kontrollgremiums (Comité R) vorliegt. Es ist von internen Skandalen erschüttert, das Führungspersonal wurde gerade ausgetauscht. Und so war der Beschluss dieser Woche ein weiterer kleiner Triumph der Beschuldigten. Dazu zählen neben Eva Kaili auch die ehemaligen sozialdemokratischen Europaabgeordneten Marc Tarabella (Belgien) und Andrea Cozzolino (Italien) sowie Francesco Giorgi, Parlamentsmitarbeiter und Lebensgefährte Kailis. Alle sind längst wieder auf freiem Fuß.

Ihre Anwälte versuchen mit allen Mitteln, die Glaubwürdigkeit der Ermittlung zu unterminieren und das Verfahren in die Länge zu ziehen. Sie streuen vor allem Zweifel am Kronzeugen, dem Lobbyisten und ehemaligen italienischen Europaabgeordneten Antonio Panzeri. Er hatte die Fäden in dem Bestechungsskandal gezogen und lieferte den Ermittlern dann belastendes Material gegen mutmaßliche Mittäter, um selbst einigermaßen heil aus der Affäre herauszukommen. Angeblich gibt es Indizien dafür, dass sogar die Ermittler ihn nicht für glaubwürdig halten.
Nachhaltigen Schaden hat in den Ermittlungen zudem der Fall des Chefermittlers Michel Claise zugefügt. Er galt als Belgien als absolute Koryphäe in Korruptionsfällen – musste sich dann aber von Katargate wegen eines möglichen Interessenkonflikts zurückziehen: Sein Sohn unterhielt Geschäftsbeziehungen mit dem Sohn der Europaabgeordneten Marie Arena, die wiederum eine enge Vertraute von Antonio Panzeri war. Trotz belastender Indizien hatte Claise keine Hausdurchsuchung bei seiner Landsfrau veranlasst. Die Ermittler rückten erst viele Monate später, nach dem Abschied von Claise, bei Marie Arena an. Es wirkte wie ein Eingeständnis von früheren Versäumnissen.
Zum Nachweis politischer Bestechlichkeit braucht es wohl Geheimdienstmethoden
Daniel Freund, der grüne Europaparlamentarier und Korruptionsexperte, hielte es für „ein erhebliches Problem“, sollten die Ermittlungen trotz der Millionen Euro, die Panzeri offenbar in Brüssel verteilte, im Sande verlaufen. Wer, wenn nicht der belgische Staat, solle verhindern, „dass das Zentrum der europäischen Demokratie von Staaten wie Katar gekauft wird“. Die EU verfüge über keine eigene Justiz. Bei aller Kritik an den belgischen Ermittlern verweist er darauf, wie schwierig es generell sei, politische Korruption zu bestrafen – also nachzuweisen, dass Geld für eine konkrete politische Handlung geflossen ist. „Anders als mit Geheimdienstmethoden geht das kaum.“
Einen wesentlichen Teil ihrer Arbeit hat die Staatsanwaltschaft in diesem Fall ohnehin bereits eingestellt: die Ermittlungen in Sachen Marokko. Über zwei marokkanische Mittelsmänner soll Geld an den korrupten Brüsseler Zirkel um Antonio Panzeri geflossen sein. Es handelt sich um Abderrahim Atmoun, aktuell Marokkos Botschafter in Polen, und einen marokkanischen Auslandsagenten namens Mohamed Belharache. Nun allerdings liegen die Ermittlungen ganz in marokkanischer Hand – und das unter merkwürdigen Umständen.
Wie die belgische Zeitung Le Soir enthüllte, veranlasste die belgische Staatsanwaltschaft am 12. April dieses Jahres, den Fall an die marokkanischen Behörden abzugeben. Nur drei Tage später, am 15. April, machte sich eine große belgische Regierungsdelegation unter Leitung von Ministerpräsident Alexander De Croo auf den Weg nach Rabat, um mit der marokkanischen Regierung eine umfassende Zusammenarbeit in Fragen von Migration und Sicherheit zu vereinbaren. Marokko erklärte sich bereit, Staatsbürger, die sich ohne Papiere in Belgien aufhalten, wieder zurücknehmen. Aus der belgischen Regierung verlautete: Es gebe selbstverständlich keinerlei Zusammenhang zwischen der politischen Vereinbarung mit Marokko und dem belgischen Entgegenkommen im Korruptionsfall.