Katalonien:Spaltungen in der Abspaltungsbewegung

Spanien: Demonstration in Barcelona für die Unabhängigkeit Kataloniens

Jedes Jahr demonstrieren am 11. September Zehntausende in Barcelona für die Unabhängigkeit Kataloniens. In diesem Jahr war der Präsident der Regionalregierung erstmals nicht dabei.

(Foto: Josep Lago/AFP)

Fünf Jahre nach dem umstrittenen Abspaltungsreferendum fragen sich die katalanischen Unabhängigkeitsbefürworter: Wie nah soll Barcelona an Madrid sein? Über den Streit könnte nun sogar die Regionalregierung zerbrechen.

Von Celine Chorus

"Countdown zur Rettung der katalanischen Regierung", titelte die spanische Tageszeitung El País in der vergangenen Woche - und setzte damit den Ton für die Tage vor der Generaldebatte im Regionalparlament an diesem Dienstag. Die sezessionistische Minderheitsregierung der Region aus der linken Esquerra Republicana de Catalunya (ERC) und der Junts per Catalunya befindet sich in der schwersten Krise seit ihrer Bildung im Mai vergangenen Jahres. Sie wird von einem Koalitionsstreit erschüttert, der dazu führen könnte, dass die Junts die Regierung von Präsident Pere Aragonès verlassen.

Der Streit spiegelt die Differenzen, die sich durch die gesamte Bewegung ziehen, die eine Abspaltung von Spanien fordert. Zum ersten Mal ist vor zwei Wochen mit Aragonès sogar ein Regierungschef der jährlichen Unabhängigkeitsdemonstration ferngeblieben, die von der Katalanischen Nationalversammlung (ANC) - einer separatistischen Bürgerbewegung - organisiert wird und stets der gemeinsame Anziehungspunkt der Unabhängigkeitsbewegung gewesen ist.

Doch aufgrund widersprüchlicher Ansichten, wie die Abspaltung von Spanien gelingen kann, ist diese Bewegung seit dem umstrittenen Unabhängigkeitsreferendum 2017 in mehrere Kräfte zerfallen. Damals hatten sich nach Angaben der katalanischen Behörden zwar 90 Prozent der Wähler für eine Loslösung von Spanien ausgesprochen - allerdings in einer Abstimmung, die von spanischen Gerichten für illegal erklärt wurde. Die Wahlbeteiligung hatte bei etwas mehr als 42 Prozent gelegen.

Spaniens Regierungschef Sánchez will zwar reden, aber ein neues Referendum lehnt er ab

Mit dem Referendum begannen auch die Auseinandersetzungen: Hat man durch das Ergebnis einen Grund mehr, mit der Zentralregierung in Madrid über eine Loslösung zu verhandeln? Oder soll Katalonien einfach seine Unabhängigkeit erklären, wie es den Bürgern versprochen wurde? "Das Grundproblem, dass ein Volkswille besteht, über die Unabhängigkeit abstimmen zu dürfen, und diese Abstimmung verweigert wird, bleibt bestehen", sagt Klaus-Jürgen Nagel, der bis zu seinem Ruhestand im vergangenen Jahr Professor für Politikwissenschaft an der Universitat Pompeu Fabra in Barcelona war. "All diese strategischen Fragen haben die Bewegung seit 2017 entzweit - und so ist es noch heute. Auch verstärkt durch den Versuch der Sánchez-Regierung, die Sache auszusitzen, ohne Kompromisse schließen zu müssen", so Nagel. Spaniens sozialdemokratischer Ministerpräsident Pedro Sánchez zeigt sich in der Katalonien-Frage zwar gesprächsbereit, hat ein erneutes Unabhängigkeitsreferendum bislang aber abgelehnt.

Die ANC hält nichts von den Gesprächen, die die katalanische Regierung mit der Zentralregierung in Madrid führt. Die einflussreiche Organisation sagt, sie habe das Vertrauen in die politischen Parteien verloren. Sie sei bereit, auch ohne deren Unterstützung einen neuen Versuch zu unternehmen, mit Spanien zu brechen. So kündigte die ANC-Präsidentin Dolors Feliu bereits an, dass man vorgezogene Neuwahlen fordern werde, "wenn sich nichts bewegt". Aragonès' Bedenken gegenüber einem einseitigen Referendum 2023, wie es die ANC fordert, waren der Grund, weshalb er der Unabhängigkeitskundgebung mit 150 000 Teilnehmern ferngeblieben ist - aus Sicht der ANC und der Junts ein Affront.

Katalonien: Regionalpräsident Pere Aragonès

Die Koalitionspartner verlangen von Regionalpräsident Pere Aragonès Taten - er will erst mal mit der Zentralregierung in Madrid reden.

(Foto: Javier Soriano/AFP)

Auch die Junts-Mitglieder sind sich uneinig, ob man den Dialog mit der spanischen Regierung fortführen sollte. Es gibt einen gemäßigten Flügel, der die Debatte auf die Frage konzentriert, ob der Koalitionspartner ERC das Regierungsabkommen erfüllt, das Katalonien einem Referendum näher bringen soll, oder nicht. Und es gibt den radikalen Flügel, der von Aragonès einen Zeitplan für die Abspaltung von Spanien fordert, inklusive Referendum im Jahr 2023. Zu diesem Flügel gehört auch der ehemalige Regionalpräsident Carles Puigdemont, dessen Ansichten nach wie vor großen Einfluss auf die Partei haben.

Junts-Generalsekretär Jordi Turull, der zwischen den Positionen zu vermitteln versucht, hat zuletzt öffentlich darüber gesprochen, die Regierung zu verlassen, wenn von der ERC keine größeren Anstrengungen betrieben werden, die Unabhängigkeit zu erreichen: "So kann es nicht weitergehen." Im Wesentlichen fordert er die Bildung eines Gremiums, das den Abspaltungsprozess leitet, sowie ein einheitliches Vorgehen gegenüber der Zentralregierung in Madrid. Als Ablaufdatum wurde bislang die Grundsatzdebatte an diesem Dienstag angesehen. Ein "Ultimatum" hat die Vorsitzende der Junts, Laura Borràs, inzwischen zwar bestritten. Ihre Partei werde aber je nach Ausgang der Debatte entscheiden, ob sie in der Regierung bleibt oder nicht.

Eine Abstimmung schon nächstes Jahr? Diese Frage spaltet die Koalition

Regierungspräsident Aragonès besteht darauf, dass er sein Versprechen, erneut über die Unabhängigkeit abstimmen zu lassen, halten werde. Dass diese schon im nächsten Jahr ausgerufen werden könnte, wie es die ANC und Teile der Junts fordern, hält er aber für unrealistisch: Aus Verantwortungsbewusstsein werde er keinen Vorschlag unterstützen, "der keine Chance hat, voranzukommen, und der zu noch mehr Frustration führen würde, wenn wir ihm grünes Licht geben". Gleichzeitig betont Aragonès aber auch, dass die Gespräche mit der Zentralregierung in Madrid entscheidend seien, um Lösungen für die Dutzenden von Katalanen zu finden, die sich wegen ihrer Rolle beim Referendum von 2017 in juristischen Schwierigkeiten befinden.

Wie ernst ist also die Lage? Klaus-Jürgen Nagel hält es für möglich, dass die Minderheitsregierung in nächster Zeit auseinanderbricht. "Ich denke schon seit längerer Zeit, dass die katalanische Regierung nur noch dadurch zusammengehalten wird, dass es für jede der beiden Parteien peinlich ist, Schluss zu machen", sagt er. "Nur ist die Sache inzwischen so zerfahren, dass es vielleicht besser ist, wenn jemand diesen Ballast auf sich nimmt und es tut", so Nagel.

Zuletzt sollte ein sechsstündiges Treffen zwischen den Koalitionspartnern die Differenzen ausräumen. Da habe Aragonès einen Mangel an Loyalität beklagt, berichtet die katalanische Zeitung La Vanguardia. Und er soll den Junts vorgeworfen haben, einen wichtigen Teil ihrer Vereinbarung nicht eingehalten zu haben: dem Dialog mit der spanischen Zentralregierung Raum zu geben.

Um die Regierungskrise zu lösen, gibt es also zwei Möglichkeiten: Entweder, man findet nochmal einen Formelkompromiss, oder die Regierungskoalition zerbricht. Das könnte dann heißen: eine Minderheitsregierung der ERC, die von anderen Parteien toleriert wird, oder Neuwahlen. Ein führender Junts-Vertreter resümierte nach dem Treffen: "Wir sind in einer Sackgasse."

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