Süddeutsche Zeitung

Katalonien:Spanische Richterin erlässt EU-Haftbefehl gegen Puigdemont

Lesezeit: 2 min

Von Ronen Steinke, Berlin, und Thomas Urban, Madrid

Der spanische Staatsgerichtshof in Madrid hat einen Europäischen Haftbefehl gegen den katalanischen Ex-Regionalpräsidenten Carles Puigdemont erlassen. Der Beschluss der Richterin Carmen Lamela gilt auch für die vier Ex-Minister, die sich wie Puigdemont nach Belgien abgesetzt haben, wie das Gericht am Freitag mitteilte.

Er hält sich seit Anfang der Woche in Brüssel auf, um dort Rechtsbeistand zu finden. Die spanische Generalstaatsanwaltschaft wirft ihm Rebellion, Ungehorsam im Amt sowie Zweckentfremdung öffentlicher Mittel vor. Puigdemont wird zur Last gelegt, die Proklamation der unabhängigen Republik Katalonien im Parlament zu Barcelona am vergangenen Freitag vorangetrieben zu haben. Am Donnerstag wurden bereits acht Mitglieder des abgesetzten Kabinetts in Untersuchungshaft genommen. Dagegen wurde in Katalonien heftig protestiert.

Allerdings bewerten die meisten Kommentatoren katalanischer Medien die Flucht Puigdemonts nach Brüssel eher negativ. Ihm wird vorgeworfen, nicht nur seine Kabinettsmitglieder, sondern auch viele Aktivisten im Stich gelassen zu haben. Das Gericht in Madrid hatte die Untersuchungshaft für die acht Minister mit Fluchtgefahr begründet und dabei auf Puigdemonts Reise nach Belgien verwiesen. Puigdemont war Anfang 2016 zum Regionalpräsidenten gewählt worden als Kompromisskandidat der drei für die Unabhängigkeit eintretenden Parlamentsfraktionen in Barcelona.

Am Freitag sagte Puigdemont, er werde sich nur der belgischen Justiz stellen. Er sei in Belgien, weil es unmöglich sei, seine rechtliche Verteidigung in Spanien vorzubereiten.

Ob ein europäischer Haftbefehl überhaupt greift, ist zweifelhaft

Er sei bereit, bei der katalanischen Regionalwahl am 21. Dezember anzutreten. Ob Spaniens Justiz mit einem europäischen Haftbefehl ihr Ziel erreichen wird, ist indes offen. Das zu entscheiden, läge an Belgien. Der europäische Haftbefehl ist 2002 nur für schwere Straftaten beschlossen worden, die politisch völlig unumstritten sind. Terrorismus, Menschenhandel, Flugzeugentführung - der Katalog der Delikte, auf den sich die EU-Mitglieder in ihrem Rahmenbeschluss vom 13. Juni 2002 einigten, ist beschränkt. Denn nur bei solchen schweren Taten, über deren Verfolgung man unter Europäern nicht zu streiten braucht, wollten die EU-Staaten ihre Auslieferungen beschleunigen. Die Mitgliedstaaten versprachen einander, dass sie sich in Justizdingen vertrauen und auf die sonst übliche gründliche Prüfung verzichten würden. Politische Taten hingegen sparten sie bewusst aus, so wie im bis heute gültigen Europäischen Auslieferungsübereinkommen von 1957, alle politischen Delikte explizit von dem Straftatenkatalog ausgenommen sind.

Soweit Madrid dem Katalanen Puigdemont Rebellion vorwirft, was wohl am ehesten mit Landesverrat übersetzt werden kann, ist dies nach Expertenmeinung politisches Strafrecht in Reinform. Die Frage ist also, ob Belgiens Justiz dies ohne weiteres akzeptieren oder ob sie sich Zeit nehmen wird, um das Für und Wider einer solchen Handreichung an Madrid abzuwägen. Bei politischen Delikten, für die der EU-Haftbefehl nicht gilt, hat der Auslieferungsstaat breitestes Ermessen.

Puigdemont setzt auf den Beistand des belgischen Rechtsanwalts Paul Bekaert. Der war an Verhandlungen einer internationalen Vermittlergruppe mit Vertretern Madrids über Erleichterungen von Langzeithäftlingen beteiligt, die zur baskischen Terrororganisation Eta gehörten. Es ging unter anderem um deren Verlegung in heimatnahe Gefängnisse. Ein solches Entgegenkommen Madrids hatten die im Untergrund verbliebenen Eta-Mitglieder zur Bedingung für die Auflösung der Organisation gemacht. Das Kabinett Rajoy war aber nicht zu Zugeständnissen bereit.

Bundesregierung betrachtet den Konflikt als "innere Angelegenheit Spaniens"

Enttäuscht äußerten sich Mitglieder des aufgelösten Parlaments in Barcelona sowie Aktivisten über die Haltung der Bundesregierung. Ihr Sprecher Steffen Seibert hatte am Freitag bekräftigt, dass Berlin den Konflikt um Katalonien als "innere Angelegenheit Spaniens" betrachte. "Wir unterstützen weiter die klare Haltung des spanischen Ministerpräsidenten zur Wiederherstellung und Gewährleistung der spanischen Verfassungsordnung", sagte Seibert.

Berater Puigdemonts verglichen die Unabhängigkeitsbewegung mit Bürgerrechtlern in der DDR: Man habe sich von Bundeskanzlerin Angela Merkel erhofft, dass sie zumindest auf ihren spanischen Kollegen Rajoy einwirke, nicht länger den Dialog mit der demokratisch legitimierten Führung in Barcelona zu verweigern. Unterstützung bekamen die Separatisten aus Schottland: Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon schrieb auf Twitter: "Egal, welche Meinung man zu Katalonien hat, die Inhaftierung gewählter Politiker ist falsch und sollte von allen Demokraten verurteilt werden."

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SZ vom 04.11.2017
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