Katalonien:"Sieg des Rechtsstaats und der Demokratie"

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Die spanischen Behörden gehen entschlossen gegen das Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien vor. Ihnen schallt ein Schlachtruf der Franco-Gegner entgegen.

Von Thomas Urban, Barcelona

Die Aktion dauert knapp 20 Minuten: 17 Mannschaftswagen der nationalen Polizei fahren mit Blaulicht vor der Jesuskind-Schule in Barcelonas Stadtteil Sant Gervasi vor, das Ende der Kolonne bilden zwei leuchtend gelbe Notarztwagen. Es regnet in Strömen, als eine halbe Hundertschaft in schwarzer Kampfmontur Aufstellung nimmt, die Helme aufgesetzt, die Schilde in Position. Ihnen stehen mehrere Hundert Demonstranten gegenüber, die singend den Eingang zur Schule blockieren. In dem Gebäude soll über die Unabhängigkeit Kataloniens abgestimmt werden.

Der Einsatzleiter hält mit ruhiger Stimme eine kurze Ansprache auf Spanisch: "Wie alle wissen, ist diese Abstimmung illegal. Ich bitte Sie höflichst, den Weg freizumachen, damit wir unseren Auftrag ausführen können!" Ansonsten müsse er seine Leute bitten, den Weg frei zu machen. Der Mann zeigt auf zwei seiner Polizisten, die mit Gewehren zum Abschuss von Tränengaspatronen bewaffnet sind. Hier, vor der Schule in der Travessera de Gràcia, der Gnadenstraße, bleibt es am Sonntagvormittag bei Drohgebärden. Anderswo in der Stadt setzt die Polizei Gummigeschosse ein, es gibt Dutzende Verletzte.

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Schon am Morgen haben Katalanen Wahllokale besetzt. Die Polizei geht teils mit Gewalt gegen Bürger vor, die abstimmen wollen.

Aus den hinteren Reihen der Demonstranten sind Pöbeleien zu hören, "uniformierte Nutten!", rufen ein paar junge Männer. Doch ihre Stimmen verlieren sich in dem Chorus, den die Menge anstimmt: "No pasarán!" (Sie kommen nicht durch!), der legendäre Schlachtruf gegen Francos Truppen im Spanischen Bürgerkrieg. Barcelona stand damals auf Seiten der Republik.

Der Auftrag der Polizei ist klar: die Wahllokale "deaktivieren", wie es ein Sprecher des Innenministeriums in Madrid nannte. Sie sollen die Wahlurnen und Stimmzettel beschlagnahmen. Das Verfassungsgericht hatte das Referendum über die Unabhängigkeit Kataloniens für illegal erklärt. Eine ganze Reihe von Urteilen verpflichtete in der Folge die Behörden, alle erforderlichen Schritte zu unternehmen, um die Abstimmung zu blockieren.

Mariano Rajoys konservative Regierung in Madrid hat in den letzten Wochen mehrere Tausend Polizisten aus anderen Regionen Spaniens nach Katalonien beordert, da sie sich nicht auf die Regionalpolizei, die Mossos, verlassen wollte. Diese bekamen wiederum von Carles Puigdemonts Regionalregierung in Barcelona die Anweisung, sich auf gar keinen Fall dem Druck Madrids zu beugen. Ein Loyalitätskonflikt, den die Mossos offenbar bislang lösen, indem sie sich passiv verhalten.

Ada Colau, die linksalternative Oberbürgermeisterin von Barcelona, wirft Rajoy vor, monatelang den Dialog mit der katalanischen Führung verweigert zu haben. Bei einem Treffen mit Demonstranten gibt sie ihm die Schuld an der Eskalation. Die Polizeigewalt beschädige das politische Bewusstsein der jungen Generation schwer. "Rajoy ist ein Feigling", erklärt sie.

Handybilder zeigen blutüberströmte Katalanen

Die Menge vor der Jesuskind-Schule versucht ein paar Momente, den vorrückenden Polizisten standzuhalten, weicht dann aber doch zur Seite. Dutzende Handys nehmen das Geschehen auf, Fernsehreporter interviewen eine ältere Frau mit einer blutenden Kopfverletzung. Offenbar hat sie den Schild eines Polizisten ins Gesicht bekommen. Schlagstöcke kamen hier nicht zum Einsatz.

Bilder aus der Travessera de Gràcia und anderen Teilen der Stadt verbreiten sich am Sonntag im Nu über die sozialen Medien, auch die regionalen Fernsehsender strahlen verwackelte Handy-Aufnahmen aus, die das Vorgehen der nationalen Polizeitruppe in allen Ecken Kataloniens dokumentieren. Aus mehreren Orten wird von Prügeleien zwischen Polizisten und Demonstranten berichtet, Bilder zeigen blutüberströmte Menschen. An mehreren Orten kommen Gummigeschosse zum Einsatz, Demonstranten zeigen Wunden und blaue Flecken, die die Geschosse verursacht haben.

Der sichtlich besorgte Fahrer eines der Notarztwagen vor der Jesuskind-Schule schüttelt den Kopf: "Das alles hier macht die Lage nur viel schlimmer." Ein Regierungssprecher im fernen Madrid erklärt dazu: "Es ist ein Tag, der als Sieg des Rechtsstaats und der Demokratie in die Geschichte eingehen wird."

Seit Wochen hatten die nationale Polizei und wohl auch der spanische Geheimdienst nach den Wahlurnen für das Referendum gesucht. Am Freitag präsentierte die Führung in Barcelona ein Exemplar. Die Urnen sind transparent und tragen das Logo der Regierung Kataloniens.

Die Urnen aus der Jesuskind-Schule werden am Sonntagvormittag beschlagnahmt; die Polizisten bringen sie gemeinsam mit den Stimmzetteln an sich und nehmen die Personalien des Wahlvorstands auf. Eine Richterin in Madrid hatte auf Antrag der Zentralregierung jedem, der sich an der Durchführung des Referendums beteiligt, ein Bußgeld in Höhe von 3000 Euro angedroht.

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Begleitet von einem Pfeifkonzert der Menge verlassen die Polizisten die Schule, die beschlagnahmten Gegenstände in schwarzen Plastiksäcken verstaut. Dann fährt die Kolonne weiter, vermutlich zum nächsten Wahllokal. Allein in Barcelona sollte an 163 Orten abgestimmt werden.

Um elf Uhr am Sonntagvormittag erklärt ein Sprecher der Regierung in Barcelona, dass noch 73 Prozent der Wahllokale in ganz Katalonien geöffnet seien. Am Vortag hatte allerdings die Guardia Civil, die nationale Polizeitruppe, das Rechenzentrum der Regionalregierung in Barcelona besetzt. Auf diese Weise sollte offenbar verhindert werden, dass das Wahlergebnis ermitteln werden kann.

In vielen Wahllokalen, in Barcelona, aber auch in vielen anderen Städten und Gemeinden, wachten Bürgergruppen in der Nacht zum Sonntag darüber, dass die Gebäude nicht von der nationalen Polizei besetzt und versiegelt würden. Offiziell waren in den Schulen und Gemeindezentren, die als Wahllokale vorgesehen waren, Kulturnächte angesetzt: Lesen, Basteln, Filmvorführungen, Singen, Konzerte, Theater. Viele der Teilnehmer kamen mit Schlafsäcken zu den "Kulturnächten". Doch am frühen Sonntagvormittag fahren an vielen Orten Polizeiwagen vor.

Aus Girona im Norden der Region wird berichtet, dass die Wagenkolonne Puigdemonts von rund 50 Polizisten an der Fahrt zu seinem Wahllokal gehindert wird. Puigdemont war früher Bürgermeister der Stadt, die als Hochburg der Catalanistas gilt, die für die Sezession vom Königreich Spanien eintreten. Puigdemont wählt später unbehelligt in einem Nachbarort.

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