Katalonien:Puigdemont zwingt der EU sein Thema auf

Katalonien: Demonstranten protestieren in Madrid gegen die Verhaftung katalanischer Politiker (Bild vom 3. November).

Demonstranten protestieren in Madrid gegen die Verhaftung katalanischer Politiker (Bild vom 3. November).

(Foto: AFP)

Der Schaden durch den abgesetzten Regionalpräsident Kataloniens ist nicht mehr auf Spanien zu begrenzen. Das lehrt viel über die wahren Machtstrukturen der Europäischen Union.

Kommentar von Stefan Kornelius

Carles Puigdemont, der abgesetzte Regionalpräsident von Katalonien, mag ein heißblütiger Provinzler sein, der seine eigene Zerstörungskraft geradezu spielerisch einsetzt. Gleichzeitig ist er aber auch ein Instinktmensch bester Sorte. Er findet in höchster Bedrängnis immer noch ein Schlupfloch, durch das er entschwinden kann. Der katalanischen Sache mag die Ausweichbewegung nicht dienen. Aber sie vergrößert erst mal den Schaden. Darauf setzt Puigdemont. Der (nicht nur) von ihm angerichtete Schaden ist inzwischen so groß, dass er sich nicht mehr auf Katalonien oder Spanien begrenzen lässt. Er trifft nun ganz Europa.

Puigdemont ist vor der Justiz Spaniens nach Belgien geflüchtet, wo er sich als Opfer gibt und den Schutz einer vermeintlich höheren Macht erbittet. Diese Macht heißt Europäische Union. Ob sie will oder nicht: Der Mann zwingt der EU sein Thema auf. Der Katalane bläht seinen Kampf auf zu einem europäischen Problem, er wickelt sich in die Flagge der EU und tut so, als müsse Europa ihn schützen vor einem Unrechtssystem.

Sein Rechtsproblem: Verfassungsbruch, den er selbst begangen hat

Diese Pose ist einerseits grotesk. Puigdemont ist kein Justizopfer, sein Rechtsproblem verdankt er einem gravierenden Verfassungsbruch, den er selbst begangen hat. Andererseits ist der katalanische Separatismus nicht nur ein Verfassungsproblem Spaniens, sondern vor allem ein politisches Problem. Die Separatisten mögen eine große Minderheit sein, aber der Umgang der Madrider Regierung Mariano Rajoys mit Puigdemont und seiner Spaltungsbewegung lässt sie wieder stärker werden.

Die Schwankungen der vergangenen Wochen haben gezeigt, wie politisch diese Angelegenheit ist: Fast 2000 Firmen sind aus Katalonien abgewandert, was der Region einen vermutlich irreparablen Schaden zufügt. Die schweigende Mehrheit hat sich gegen Puigdemont und die Separatistenbewegung positioniert, die unter dem Druck zu zerfallen schien. Nun aber verhilft ihr Spaniens Justiz zu neuer Geschlossenheit.

Auftritt der EU, oder besser: Auftritt Puigdemonts auf der Bühne in Brüssel, wo das Drama seine eigene Wirkung entfaltet. Erstens zeigt allein die Anwesenheit in Belgien, dass Regionalismus und Separatismus keine rein spanischen Probleme sind. Politik und Justiz in Belgien hätten an Puigdemont ihre Freude. Die juristischen Winkelzüge haben möglicherweise gerade erst begonnen. Zweitens räumt der Konflikt mit der Vorstellung auf, dass die EU eine stets befriedende Wirkung auf regionale Konflikte in Europa ausübt. Die Idee eines starken Europas, in dem die Regionen an Bedeutung gewinnen, zerschellt am katalanischen Separatismus. Das ist bemerkenswert, wo doch gerade diese Region so stark vom Gemeinschaftsprojekt profitiert hat.

Eine Lektion in Sachen Realpolitik für die EU

Drittens lehrt das spanische Separatismus-Problem, dass es am Ende doch die Nationalstaaten sind, die der EU Stabilität geben - und Macht verleihen. Wer gegen die Autorität der Nationalstaaten verstößt - seien es die europäischen Institutionen, seien es die Regionen -, der lernt schnell, wo die Macht residiert: im Zusammenspiel der Nationalstaaten. Puigdemont verpasst also der EU und all den Integrations-Enthusiasten eine Lektion in Sachen Realpolitik.

Nichts anderes tun die Rechtsstaats-Verächter Polens oder Ungarns: Der Nationalstaat ist die stärkste Stütze Europas. Wer ihn angreift, wer Grenzen verrücken will, der rührt an das jahrhundertealte Trauma und greift Europa insgesamt an. Für Separatismus gibt es in Europa eine simple Regel: Nur wenn er zu mehr Stabilität führt, wird er geduldet. Das tut er meist nicht.

Jetzt, nachdem sich Puigdemont Europa aufgedrängt hat, sollten die Staaten der EU diese Botschaft nach Barcelona senden. Und eine zweite nach Madrid: dass in diesem Konflikt bereits ausreichend Märtyrer geschaffen wurden.

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