Für einige Stunden war Carles Puigdemont in Brüssel ein Phantom. Der abgesetzte Regionalpräsident Kataloniens sei in der belgischen Hauptstadt, hieß es, gesehen hatte ihn aber niemand. Fluchtartig soll Puigdemont am Wochenende mit dem Auto Spanien verlassen haben. Die naheliegende Erklärung: Der Politiker will sich einer drohenden Verhaftung entziehen, schließlich hat die spanische Staatsanwaltschaft Anklage wegen Rebellion, Auflehnung gegen die Staatsgewalt und Unterschlagung öffentlicher Gelder gegen ihn erhoben. Bis zu 30 Jahre Haft drohen ihm dafür. Bisher wurde allerdings kein Haftbefehl ausgestellt.
Dienstagmittag schließlich zeigt sich das Phantom - und der Auftritt im Brüsseler Presseclub wird von einer Horde von Journalisten begleitet. In drei Sprachen, auf Katalanisch, Spanisch und Französisch, versichert er, dass er Aggression ablehne. "Wir können keine katalanische Republik mit Gewalt aufbauen", sagt er. Katalonien beschwört er, sich auf einen langen Weg bis hin zur Unabhängigkeit einzustellen. Die von Madrid angesetzten Wahlen am 21. Dezember und deren Ausgang will Puigdemont akzeptieren.
Spanien:Razzia im Hauptquartier der katalanischen Polizei
Die spanische Guardia Civil sucht Hinweise auf das Verhalten der Polizisten am Tag des Referendums. Kataloniens Ex-Regierungschef ist nach Belgien gereist.
Warum er nach Brüssel gereist ist? Er wolle den Katalonien-Konflikt ins "Herz Europas" bringen. Man wolle auf internationaler Bühne zeigen, wie undemokratisch die spanische Regierung agiere und die EU-Kommission zum Handeln auffordern.
Er sei deshalb in die Hauptstadt Europas gekommen - mit Belgien und einem möglichen Asylantrag habe das nichts zu tun. Bisher will sich die EU-Kommission nicht in den Konflikt einmischen, es handle sich um eine interne Angelegenheit Spaniens, so der Tenor auch nach Puigdemonts Ankunft in Brüssel.
Dessen Auftritt lässt viele Fragen offen - klar ist, dass der katalanische Separatistenführer nicht vorhat, von seinen Bestrebungen abzurücken. Da man kein faires Gerichtsverfahren in Spanien erwarte, wolle er aber vorerst nicht zurückkehren, erklärt er vor der Presse. Man sei aus Gründen der "Sicherheit" in Brüssel. Er versicherte dabei, er wolle sich nicht vor der spanischen Justiz verstecken. "Wir können einen Teil unserer Rechte besser garantieren und einen Teil unserer Verpflichtungen aus Brüssel erfüllen", sagte der 54-Jährige. Mehrere mitgereiste Mitglieder seines Kabinett haben Brüssel inzwischen wieder verlassen und sind nach Barcelona zurückgekehrt.
Puigdemont hat mit seiner Reise nach Brüssel viele, die ihm nahestehen, überrascht. In Katalonien scheiden sich die Geister: Für die einen, die ihn schon als Exil-Präsidenten hochstilisieren, internationalisiert er ihren Kampf. Für die anderen lässt er mit seiner Ausreise seine Anhänger zu Hause im Regen stehen. Nicht einmal führende Parteimitglieder wurden über seine Reisepläne informiert, das weitere Vorgehen oder gar eine Strategie im Konflikt mit Madrid seien nicht verabredet worden, berichten spanische Medien.
Spekulationen um Asylantrag
Umso lauter wurde im Vorfeld seiner Presseerklärung spekuliert, dass Puigdemont nach Belgien gereist sei, um dort Asyl zu beantragen und bis dahin untertauche. Hierfür war ein am Wochenende angedeutetes Asylangebot des zuständigen belgischen Ministers Theo Francken ausschlaggebend. Der Politiker der nationalistisch-flämischen Partei N-VA sagte, Katalanen, die sich politisch verfolgt fühlten, könnten Belgien um Asyl ersuchen. Regierungschef Charles Michel hat seinen etwas voreiligen Staatssekretär für Asyl und Immigration allerdings zurückgepfiffen. Puigdemont werde während seines Aufenthalts im Land keine Sonderbehandlung erhalten. Die belgische Regierung habe den abgesetzten katalanische Regierungschef keinesfalls ermutigt, nach Belgien zu kommen, erklärte Michel.
Experten zufolge ist es sowieso unwahrscheinlich, dass Puigdemont als EU-Bürger politisches Asyl in einem anderen EU-Staat erhält. Die EU-Länder stufen einander grundsätzlich als sichere Herkunftsländer ein - das heißt, es wird davon ausgegangen, dass es keine Verfolgungsgefahr gibt. Möglich wäre die Berücksichtigung des Asylantrags aber, wenn Spanien unter Berufung auf einen Notstand die Grundfreiheiten aussetzen würde - oder wenn ein EU-Verfahren wegen des Verdachts auf schwerwiegende Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit laufen würde.
Spannend werden die nächsten Tage: Ein spanisches Gericht hat Puigdemont und 13 Mitglieder seiner abgesetzten Regierung für diese Woche vorgeladen, um sie vor der geplanten Anklageerhebung persönlich zu befragen. Es forderte die 14 Politiker auf, am Donnerstag und Freitag vor Gericht zu erscheinen und setzte ihnen zudem eine Frist von drei Tagen, um eine gemeinsame Vorabzahlung von 6,2 Millionen Euro zu hinterlegen, die mit möglichen Strafzahlungen verrechnet werden soll. Folgen Puigdemont und seine 13 Mitstreiter nicht der Vorladung, können Haftbefehle folgen, die auch von belgischen Behörden ausgeführt werden müssten.
Das katalanische Regionalparlament hatte am Freitag die Unabhängigkeit der Region im Nordosten Spaniens erklärt. Die Zentralregierung in Madrid setzte daraufhin Puigdemont ab und löste das Parlament in Barcelona auf. Das spanische Verfassungsgericht hat die Unabhängigkeitserklärung mittlerweile ausgesetzt.