Katalonien:Puigdemont, der Kandidat in der Ferne

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Katalonien wählt eine neue Regierung, und ein Sieg der Separatisten ist keineswegs sicher. Denn in der Region teilen gerade einmal 40 Prozent der Bevölkerung die Sicht der Dinge ihres Ex-Premiers.

Von Thomas Urban, Girona

"Belgien ist Nordkatalonien", hat in leuchtendem Rot jemand auf ein Garagentor in der Altstadt von Girona gesprüht, nur wenige Schritte unterhalb der trutzigen Kathedrale. Die Botschaft ist klar: Es ist ein Dank an die Belgier, die dem katalanischen Ex-Premier Carles Puigdemont Asyl gewähren und ihn auch nicht nach Spanien ausliefern, obwohl die Führung in Madrid großen Druck gemacht hat. Er ist einer der Spitzenkandidaten bei den vorgezogenen Regionalwahlen in Katalonien am Donnerstag,

Puigdemont war Bürgermeister der knapp 100 000 Einwohner zählenden Stadt im Norden Kataloniens, ehe er überraschend vor fast zwei Jahren an die Spitze der katalanischen Regionalregierung gewählt wurde, als Kompromisskandidat. Auf den Schild gehoben hatte ihn eine kuriose Koalition aus Neomarxisten, Sozialdemokraten und Konservativen, die politisch nur wenig gemeinsam haben - außer einem Ziel: "Weg von Madrid!", der verhassten Hauptstadt. In Girona wurde dieser Marsch in die Unabhängigkeit bejubelt, und groß waren Enttäuschung und Empörung, als der konservative spanische Premier Mariano Rajoy diesen Marsch Ende Oktober stoppte und die Regionalregierung absetzte. Die spanische Verfassung erlaubt die Abspaltung einer Region nicht.

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Am Tag danach sah man Puigdemont, wie er ziemlich entspannt mit seiner Frau und den beiden Töchtern in einem Straßencafé in Girona saß. Zwei Tage später tauchte er mit vier katalanischen Ex-Ministern in Brüssel auf, um, wie er es vor Fernsehkameras sagte, den EU-Politikern die Augen zu öffnen, wie sehr die Spanier die Katalanen unterdrücken. Nur wollte ihn keiner der wichtigen Leute in Brüssel treffen, einzig die flämischen Nationalisten halten ihm die Stange. Auch sie wollen Flandern von Belgien trennen, weil sie meinen, es ginge ihnen besser ohne den Rest des Landes. So wie viele Katalanen dies glauben.

Puigdemont hat sich kräftig verkalkuliert

Seitdem twittert Puigdemont unablässig aus Brüssel, nennt die EU einen "veralteten Verein", und die Presse in Girona berichtet ausführlich. Auch von seinem Opernbesuch. Auf dem Programm stand die selten gespielte Oper "Il Duca d'Alba" von Donizetti. Es war eine politische Geste. Der "Eiserne Herzog" von Alba ist eine historische Figur, im 16. Jahrhundert ließ er das damals zur spanischen Krone gehörende Flandern ausplündern und brutal unterdrücken. Viele Opernbesucher applaudierten Puigdemont - zwei alte Leidensgeschichten trafen sich: Flamen und Katalanen, beide von Spanien unterdrückt.

Allerdings hat sich Puigdemont kräftig verkalkuliert, denn in Katalonien teilen gerade einmal 40 Prozent der Bevölkerung seine Sicht der Dinge. Ungefähr so groß war der Anteil der Wahlberechtigten, die bei der Regionalwahl 2015 sowie dem illegalen Referendum am 1. Oktober für die Abspaltung vom Königreich Spanien stimmten. In der Metropole Barcelona etwa gab es eine klare Mehrheit gegen die Sezession, ebenso in der Hafenstadt Tarragona im Süden Kataloniens.

Auch im Norden um Girona sind bei Weitem nicht alle Puigdemont-Fans, beginnend mit seinen bisherigen Koalitionspartnern, den Linksrepublikanern. Sie werfen ihm einen wankelmütigen Kurs vor, Puigdemont habe nicht das Format, das große Unabhängigkeitsprojekt durchzusetzen. Er selbst scheint zu begreifen, dass ihm die Dinge über den Kopf gewachsen sind. Im kleinen Kreis gestand er, nie angestrebt, zu haben als "Separatistenführer" auf der Titelseite der New York Times zu stehen; am liebsten würde er sich in sein geliebtes Girona zurückziehen.

Doch in den vergangenen Wochen ist er zum Kämpfer geworden, zumindest aus der Ferne. Seine Berater hoffen, dass die Demokratisch-Europäische Partei (PDCat), die ihn als Spitzenkandidaten aufgestellt hat, die größte Fraktion stellen wird. Dann würde er sofort zurückkommen, Rajoy würde es kaum wagen, den Sieger demokratischer Wahlen ins Gefängnis werfen zu lassen. Und er würde dafür sorgen, dass die Aktivisten, die sich noch in Untersuchungshaft befinden, sofort freikämen.

Doch nicht nur die Linksrepublikaner liegen in den Umfragen vor ihm, sondern auch die liberale Bürgerpartei "Ciudadanos", deren Spitzenkandidatin Inés Arrimadas ihn als politischen Bankrotteur verspottet. Die junge Anwältin, die energisch für die Einheit Spaniens streitet, hat es geschafft, bei ihrem Auftritt in Girona 15 000 Menschen auf die Beine zu bringen.

Die eigentliche Gegenspielerin Puigdemonts, der sich im belgischen Exil unverdrossen weiter als "legitimer Präsident Kataloniens" bezeichnet, aber bekamen die Einwohner der Stadt nicht zu sehen: die spanische Vizepremierministerin Soraya Saenz de Santamaría, die Rajoy mit der Führung der Regierungsgeschäfte in Barcelona bis zur Wahl eines neuen Regionalpremiers beauftragt hat.

Ihr Auftritt in Girona mit den Kandidaten der konservativen Volkspartei (PP) war eine geschlossene Veranstaltung. Die PP steht für die Stärkung Madrids gegenüber den Regionen, vor allem ist sie, was ihr in Katalonien immer wieder angekreidet wird, aus einer Gruppierung von Franco-Anhängern hervorgegangen - und der spanische Diktator ließ bekanntlich die katalanische Kultur unterdrücken. Allerdings kann davon heute nicht mehr die Rede sein.

Vor den eigenen Leuten nahm Soraya Saenz kein Blatt vor den Mund: Sie lobte Mariano Rajoy, dass dieser die Unabhängigkeitsbewegung "enthauptet" habe. Die Region müsse nun "gereinigt" werden. In einer politischen Runde im Lokalsender TV Girona sagte der Vertreter der PDCat dazu: "Am liebsten würden sie jetzt Puigdemont auf den Richtblock legen, um ihn einen Kopf kürzer zu machen." Dazu passend haben Aktivisten der Unabhängigkeitsbewegung einen Videoclip ins Internet gestellt; er zeigt ein Treffen des Vorsitzenden der Regionalorganisation der PP, Xavier Albiol, mit Polizisten aus anderen Regionen Spaniens, die nun in Katalonien für Ordnung sorgen sollen. Albiol gibt ihnen da auf den Weg: "Zeigt es ihnen mal richtig!"

© SZ vom 20.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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