Süddeutsche Zeitung

Katalonien-Prozess in Madrid:Dutzende Verletzte bei Protesten am Flughafen Barcelona

  • Das Oberste Gericht Spaniens hat entschieden: Neun der angeklagten Führer der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung sollen zwischen neun und dreizehn Jahren ins Gefängnis.
  • Der frühere Regionalpräsident Puigdemont nennt die Urteile "eine Barbarei".
  • Am Flughafen Barcelonas demonstrierten Tausende Unabhängigkeitsbefürworter, es gab Zusammenstöße mit der Polizei. Dutzende Menschen wurden verletzt.

Von Thomas Urban, Madrid

Im umstrittenen Madrider Separatistenprozess hat das Oberste Gericht Spaniens harte Urteile verkündet: Neun der angeklagten Führer der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung sollen zwischen neun und dreizehn Jahren ins Gefängnis. Drei weitere Katalanen wurden zu Geldstrafen verurteilt. Die Urteile beziehen sich auf die Rolle der Angeklagten beim Referendum über die Unabhängigkeit der wirtschaftsstarken Industrie- und Tourismusregion vom 1. Oktober 2017. Das Verfassungsgericht hatte die Abstimmung zuvor für illegal erklärt. Als die damalige katalanische Führung wenig später dennoch die Unabhängigkeit ausrief, wurde sie von der Zentralregierung in Madrid abgesetzt. Das Regionalparlament in Barcelona wurde aufgelöst, Katalonien unter Zwangsverwaltung gestellt. Der damalige Regionalpräsident Carles Puigdemont stand nicht vor Gericht, denn er war im Herbst 2017 zusammen mit anderen Politikern vor einer Festnahme ins Exil nach Belgien geflohen. "Insgesamt 100 Jahre Haft. Eine Barbarei", twitterte er als erste Reaktion auf den Richterspruch.

Am Flughafen Barcelonas demonstrierten Tausende Unabhängigkeitsbefürworter, es gab Zusammenstöße mit der Polizei. Bis zum Abend sind Dutzende Menschen verletzt worden. Die katalanische Regionalpolizei hatte bereits in der Nacht zuvor Barcelonas Flughafen sowie wichtige Bahnhöfe der Region gesichert.

Wichtigster Richterspruch seit dem Ende der Franco-Diktatur

Die harten Urteile waren in Madrid erwartet worden. Kommentatoren nannten das Verfahren das wichtigste seit dem Übergang zur Demokratie nach dem Tod des Diktators Franco im Jahr 1975. Die Richter sahen im früheren katalanischen Vizepremier Oriol Junqueras den Rädelsführer bei Handlungen der Führung in Barcelona, die gegen die Verfassung des Königreichs Spanien verstießen. Junqueras, Vorsitzender der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) und früheres Mitglied der Fraktion der Grünen im Europaparlament, soll 13 Jahre in Haft. Er wurde bei der Europawahl im Mai zum Abgeordneten gewählt, aber die Wahlkommission in Madrid hat sein Mandat blockiert. Die Anwälte Junqueras haben dagegen geklagt, die Entscheidung steht aus. Wie acht seiner Mitstreiter befindet sich Junqueras seit Herbst 2017 in Untersuchungshaft.

Ex-Parlamentspräsidentin Carme Forcadell wollen die Richter elfeinhalb Jahre hinter Gittern sehen. Den meisten der Angeklagten wurde auch Veruntreuung öffentlicher Gelder vorgeworfen. Dies zielte auf Ausgaben für das Referendum; keinem der Angeklagten konnte aber nachgewiesen werden, dass er Geld veruntreut hat. Während es bei den politischen Amtsträgern fraglos ist, dass sie gegen Spaniens Verfassung verstoßen haben, ist die Verurteilung der Aktivisten Jordi Sànchez und Jordi Cuixart höchst umstritten. Sànchez stand an der Spitze der Katalanischen Nationalversammlung (ANC), Cuixart führte die Kulturvereinigung Òmnium; beide Organisationen streben zwar die Abspaltung Kataloniens von Spanien an, doch sehen die Verteidiger der "beiden Jordis", wie sie in Katalonien genannt werden, deren Programme durch das Recht auf Meinungs- und auf Versammlungsfreiheit gedeckt.

Die Richter waren aber der Argumentation der Staatsanwaltschaft nicht gefolgt, wonach die Angeklagten sich der Rebellion schuldig gemacht hätten. Dieser Tatbestand setzt Gewaltanwendung voraus. Zu dieser war es am 1. Oktober 2017 aber nur von Seiten der spanischen Polizei gekommen, die von der damaligen Regierung in Madrid angewiesen worden war, die Abstimmung zu verhindern. Die Richter mussten den Tatbestand auch deshalb verwerfen, weil dies zuvor Gerichte in der Schweiz, in Schottland, in Belgien und in Deutschland getan hatten. Die Behörden dieser Staaten hatten außer Landes geflohene katalanische Separatisten aufgrund eines Ersuchens Madrids festgenommen.

Im letzten dieser Fälle war es das Oberlandesgericht von Schleswig-Holstein, dass die Auslieferung des früheren katalanischen Regierungschefs Puigdemont wegen Rebellion abgelehnt hatte. Puigdemont versucht nun, von Belgien aus Einfluss zu nehmen. Bei der Einreise nach Spanien würde ihm die Festnahme drohen.

Puigdemonts Nachfolger an der Spitze der katalanischen Regionalregierung, Quim Torra, erklärte nach der Urteilsverkündung: "Wir lehnen diese Urteile als ungerecht und undemokratisch ab." Man gebe das Ziel einer souveränen Republik Katalonien nicht auf. Der spanische Fußballmeister FC Barcelona, dessen Stadion als Hochburg der Separatisten gilt, forderte auf seiner Homepage die Freilassung der Verurteilten. In dem Text hieß es: "Gefängnis ist nicht die Lösung." Der Konflikt sei nur durch "politischen Dialog" zu lösen.

In Madrid wird nun spekuliert, ob die Urteile die bevorstehenden nationalen Wahlen beeinflussen werden.

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SZ vom 15.10.2019/fie
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