Süddeutsche Zeitung

Katalonien:Neue Stärke der Gemäßigten

Auf den ersten Blick stehen die Anhänger einer Unabhängigkeit der Region als Gewinner da. Madrids Dialog mit den Katalanen dürfte nun allerdings leichter werden.

Von Thomas Urban

Neben Madrid stand Barcelona in der Nacht zum Montag im Focus der spanischen Medien. Wie hatten die katalanischen Separatisten abgeschnitten, lautete die bange Frage? Immerhin hatten sie die bisherige Regierung Sánchez zu Fall gebracht mit ihrer Weigerung, den Haushalt passieren zu lassen. Auf den ersten Blick stehen sie nun als Sieger dar. Sie stellen in Madrid künftig 22 Abgeordnete; die Unionisten in Katalonien, die die Einheit Spaniens erhalten wollen, dagegen nur 19. Das bestätigte aber nur, dass die Bevölkerung der Region in zwei annähernd gleich große Lager gespalten ist, mit leichtem Vorteil für die Separatisten.

Dennoch eröffnen sich Möglichkeiten für Pedro Sánchez. Innerhalb des separatistischen Lagers hat sich eine klare Verschiebung zugunsten der Republikanischen Linken (ERC) ergeben. Diese holte 15 Mandate im Parlament von Madrid, auf das liberalkonservative Wahlbündnis "Gemeinsam für Katalonien" (JxC) entfielen hingegen nur sieben. Diese Verschiebung ist von Bedeutung, da die ERC seit einigen Monaten vorsichtig Abstand von dem großen Ziel einer Abspaltung Kataloniens nimmt. Im Wahlkampf gaben sich die Linksrepublikaner gemäßigt, ihr Vorsitzender Oriol Junqueras wiederholte, dass die Zeit für die Unabhängigkeit nicht reif sei. Hingegen bauten die JxC-Kandidaten, die hinter dem abgesetzten und nach Belgien geflohenen Regionalpräsidenten Carles Puigdemont stehen, weiter unverdrossen auf die Parolen von der Unabhängigkeit. Mit der ERC wird Sánchez also besser reden können - zumal er die katalanischen Abgeordneten als Mehrheitsbeschaffer in Madrid gar nicht mehr unbedingt braucht, sondern voraussichtlich mit den sehr viel pragmatischeren Basken wird zusammenarbeiten können.

ERC-Anführer Oriol Junqueras wird derzeit in Madrid der Prozess gemacht

ERC-Anführer Junqueras wird derzeit vor dem Obersten Gericht in Madrid der Prozess gemacht, weil er als Hauptorganisator des illegalen Unabhängigkeitsreferendums vom 1. Oktober 2017 gilt. Die Wahlkampagne hatte den Prozess nicht unterbrochen. Am Montag sagte der deutsche Bundestagsabgeordnete Andrej Junko (Die Linke) als Zeuge aus. Er bestätigte, dass er als Beobachter des umstrittenen Referendums keine gewaltsamen Aktionen von Seiten der Organisatoren bemerkt habe.

Pikant für Madrid: Der inhaftierte Junqueras führte bei den Wahlen die ERC-Liste an. Überdies sind drei der Hauptangeklagten als JxC-Kandidaten gewählt worden. Das spanische Wahlrecht schließt zwar die Kandidatur von verurteilten Straftätern aus, doch das katalanische Quartett ist noch nicht verurteilt. Ihre Anhänger reklamieren für sie politische Immunität als gewählte Abgeordnete. Doch Juristen halten dem entgegen, dass sie erst als Abgeordnete gelten, sobald sie die Urkunde in Empfang genommen haben. Mit Spannung wird nun darauf gewartet, ob die Justiz dies erlaubt.

In der PSOE-Zentrale in Madrid setzt man auf die gemäßigte ERC-Führung als Gesprächspartnerin für eine Suche nach einem Ausweg aus der Katalonienkrise. Obwohl also die Separatisten sich in ihrer Heimatregion erneut als stärkste Kraft behauptet haben, stehen die Chancen für einen konstruktiven Dialog besser als zuvor. An eine Begnadigung der Inhaftierten, über die in Madrid diskutiert wird, ist aber erst zu denken, wenn diese sich endgültig von ihren Sezessionsplänen verabschieden.

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SZ vom 30.04.2019
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