Süddeutsche Zeitung

Katalonien-Konflikt:Wie es im Streit zwischen Barcelona und Madrid weitergeht

Kommt es zu neuer Gewalt? Erklärt Katalonien wirklich die Unabhängigkeit? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Von Thomas Urban

Es ist ein Konflikt zwischen der gewählten Regierung in Barcelona und der gewählten Regierung in Madrid, zwischen dem Verfassungsrecht, das einer Unabhängigkeit entgegensteht, und einem großen Teil der Bevölkerung Kataloniens, der die Trennung vehement will. Und dieser Konflikt eskaliert weiter.

König Felipe VI. machte der Regionalregierung am Dienstag schwere Vorwürfe; Kataloniens Regierungschef Carles Puigdemont wirft der Zentralregierung seinerseits vor, wie ein autoritärer Staat zu handeln. "Ich stehe für einen Vermittlungsprozess zur Verfügung", sagte Puigdemont am Mittwoch in einer Fernsehansprache - ein Angebot, das Madrid umgehend zurückwies. Man werde nicht über Illegales verhandeln und "keine Erpressung hinnehmen", teilte das Büro von Ministerpräsident Mariano Rajoy mit. Puigdemont jedoch machte klar, dass er die Pläne zur Ausrufung der Unabhängigkeit verwirklichen wolle. "Meine Regierung wird keinen Millimeter von ihrer Verpflichtung abrücken." Welche Optionen haben Madrid und Barcelona?

Ist die Unabhängigkeitserklärung eine zwangsläufige Folge des Referendums?

Aus Sicht der Regionalregierung ja. Nach dem Gesetz über das Referendum, welches das Regionalparlament in Barcelona am 6. September unter Verletzung der eigenen Geschäftsordnung und der Wahlordnung verabschiedet hatte, ist die Unabhängigkeit 48 Stunden nach der Verkündigung des Endergebnisses zu erklären.

Das Parlament der Region soll am kommenden Montag zusammentreten. Unklar ist, ob bis dahin ein offizielles Ergebnis des Referendums vorliegt.

Wie dürfte die Zentralregierung darauf reagieren?

Artikel 155 der spanischen Verfassung erlaubt es Madrid, einer Region ihre Autonomierechte zu entziehen, falls diese Verfassungsbruch begeht. Der Senat, das Oberhaus des Parlaments, muss einer Anwendung des Artikels 155 zustimmen. Die von Rajoy geführte konservative Volkspartei (PP) verfügt dort über die absolute Mehrheit. Er würde wohl zu diesem Mittel greifen, zumal er sich durch die EU in seinem Anspruch, die verfassungsmäßige Ordnung wiederherzustellen, bestärkt sieht.

Was kann die Regionalregierung ihrerseits tun?

Deren Minister würden wahrscheinlich festgenommen. Die Nationalversammlung Kataloniens (ANC), der Dachverband der Verfechter der Unabhängigkeit, würde aller Voraussicht nach zum Generalstreik aufrufen. Dieser würde die spanische Wirtschaft empfindlich treffen, weil über die katalanischen Häfen Barcelona und Tarragona das Gros des Imports und Exports abgewickelt wird, aber auch, weil Katalonien entscheidend zum Aufschwung nach der schweren Wirtschaftskrise beigetragen hat. Das ganze Sanierungsprogramm Rajoys geriete in Gefahr.

Wie wahrscheinlich ist es, dass es zu neuer Gewalt oder sogar zum Einsatz des Militärs kommt?

Sicher würde es heftige gewaltsame Auseinandersetzungen geben, ein Teil der jungen Generation ist radikalisiert. Die Verfassung erlaubt zur Verteidigung der Grenzen Spaniens auch den Einsatz der Armee. Doch wäre das Echo im Ausland noch verheerender als nach den Polizeieinsätzen vom Sonntag. Rajoy würde wohl seinen Rückhalt in der EU verlieren.

Wie viel Rückhalt hat eine Unabhängigkeit in der Bevölkerung Kataloniens?

Rein zahlenmäßig ist es der Unabhängigkeitsbewegung erneut nicht gelungen, die Hälfte der Bevölkerung hinter sich zu bringen; so war es bereits bei den Regionalwahlen 2015, als die kompromisslosen Befürworter der Abspaltung von Madrid zusammen nur 48 Prozent der Stimmen erhielten. Ohne Zweifel aber steht der gesellschaftlich aktivere Teil der Bevölkerung mit überwältigender Mehrheit hinter dem Kurs Barcelonas. Die Verfechter der spanischen Einheit sind außerhalb der regionalen Ableger der nationalen Parteien gänzlich unorganisiert und treten kaum in Erscheinung.

Auf wen würde die Verwaltung in Katalonien im Konfliktfall hören?

712 von 950 Bürgermeistern haben das Referendum trotz der Drohung mit ruinösen Geldstrafen aktiv unterstützt. Die regionale Polizeitruppe, die Mossos, hat den Auftrag des spanischen Innenministeriums, sich an der Niederschlagung des Referendums zu beteiligen, durch Passivität sabotiert. Direkten Zugriff hat Madrid dagegen auf die Steuerverwaltung, sie untersteht der Zentralregierung. Doch sickerte aus Kreisen von Finanzexperten in Barcelona durch, dass längst ein alternatives Steuereinzugssystem vorbereitet sei, durch das die in der Region erwirtschafteten Steuermilliarden in der Region bleiben würden.

Welche Auswege werden in Madrid diskutiert?

Die Konservativen unter Rajoy verteidigen kompromisslos ihren Kurs. Die liberale Bürgerpartei (Ciudadanos), die Speerspitze der Einheitsverfechter, fordert die Anwendung von Artikel 155. Die oppositionellen Sozialisten (PSOE), die bislang Rajoys Kurs unterstützt haben, kritisieren den Polizeieinsatz dagegen scharf, sie fordern die Aufnahme eines Dialogs zwischen Madrid und Barcelona ohne Vorbedingungen und eine föderale Verfassung nach deutschem Vorbild. Die linksalternative Gruppierung Podemos hat als einzige nationale Partei das Referendum als demokratisches Grundrecht verteidigt und fordert den Rücktritt der Regierung in Madrid.

Welche Rolle spielt Premierminister Mariano Rajoy?

Durch die Verweigerung einer Neuverhandlung des für die Katalanen stark nachteiligen Finanzausgleichs zwischen den Regionen und durch zahlreiche unversöhnliche Reden trägt Rajoy ein hohes Maß an Schuld für die Zuspitzung des Konflikts. Offenkundig begreift er nicht die Bedeutung von Empathie und Dialogbereitschaft in der Politik, nie hat er versucht, politische Gegner mit freundlichen Worten in Lösungen einzubinden.

Könnte König Felipe VI. vermitteln?

Wohl kaum. Inhaltlich hat Felipe nur die Position Rajoys wiederholt und dabei nicht ein einziges versöhnliches Wort und nicht einen Satz des Bedauerns über die harten Polizeieinsätze einfließen lassen. In Barcelona wird zudem darauf hingewiesen, dass die spanische Monarchie vom Diktator Franco unter Bruch der republikanischen Verfassung restauriert wurde.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3694019
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 05.10.2017/jsa
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.