Süddeutsche Zeitung

Katalonien-Konflikt:Spanien braucht Mut, um überleben zu können

Millionen Menschen sind verarmt, Jobs unsicher, die Politik ideenlos. Das hat den Separatismus groß gemacht. Nur mit einer neuen politischen Kultur kann das Land bestehen.

Kommentar von Sebastian Schoepp

Lange hat man ja gedacht, Spanien ist immun. Die Iberische Halbinsel schien im Meer des europäischen Populismus wie ein Refugium zu sein, frei von Aufwallungen von ganz rechts, frei von Ausschreitungen gegen Fremde und anderem politischen Irrsinn. Doch weit gefehlt, Spanien hat kein Gen, das es vor Verführern schützt, die vermeintlich einfache Lösungen für komplexe Probleme anbieten. Nur hat die Krankheit hier andere Symptome: Unzufriedenheit wegen Korruption, ein erodierender Staat und Perspektivlosigkeit äußern sich in Form von Separatismus.

Es gibt ihn nicht nur in Katalonien, fast jede Region hat so ihre Eigenheiten, mit denen sie sich gegen andere abgrenzt. Der Traum von der heilen Welt im Kleinen ist seit der Antike typisch für mediterrane Gesellschaften, wo das Vertrauen in Zentralregierungen gering ist und man sich bei Gefahr eher um den Clanchef schart als um Politiker - oder eben um Politiker, die sich gebärden wie Clanchefs.

Meist bleiben die identitären Aufwallungen im folkloristischen Bereich hängen, doch nicht nur: Im Baskenland führten sezessionistische Tendenzen zu blutigem Terrorismus, der erst abflaute, als die Terroristen altersmüde wurden und eine gelungene Wirtschaftspolitik vermeintliche Abspaltungsgründe obsolet machten. Das baskische Beispiel zeigt aber auch, wo der Ausweg aus der katalanischen Krise liegen kann. Die Basken genießen weitgehende Steuerhoheit, man ist in Vitoria und Bilbao Herr der Kasse, was wieder einmal beweist: Letztlich geht es ums Geld.

Und das ist in Spanien eben knapp seit dem Platzen der Immobilienblase, von dem sich das Land keineswegs erholt hat. Die von Brüssel auferlegte Sparpolitik hat die Menschen rebellisch werden lassen. Es wird gekämpft um jeden Euro. Not macht unsolidarisch, die wirtschaftlich erfolgreichen Katalanen sind weniger denn je gewillt, ärmere Regionen zu alimentieren. Das spanische System des Finanzausgleichs zwingt die Regionalregierungen in der Regel, das Geld in Madrid abzuliefern, von dort aus wird es neu verteilt.

Ein Land wie Spanien mit derartigen kulturellen Fliehkräften aber braucht einen Föderalismus, der diesen Namen verdient; die Frage ist nur, ob der sture Galicier Mariano Rajoy das begreift. Die Katalanen, die mit Recht auf ihre kulturelle Identität pochen, wiederum müssen begreifen, dass die Ziehung von Grenzen nicht der Weg ist. Separatismus ist in Zeiten der Globalisierung so modern wie eine Schreibmaschine im Zeitalter des Computers.

Wahre Probleme durch Symbole überdeckt

Der jetzige Independentismus ist nichts anderes als eine Aufwallung der "Democrácia sentimental", der gefühlsduseligen Demokratie, die der Philosoph und Politologe Manuel Arias Maldonado als typisches Kennzeichen unserer unsicheren Zeiten benennt. Die wahren Probleme werden verdeckt durch Symbole, emotionale Ansprache, politische Zeichenakrobatik und Lust zur Unvernunft.

Was die wahren Probleme sind? Im Zuge der Euro-Krise sind Millionen Spanier verarmt, die Löhne sind prekär, die Jobs unsicher, man lebt von der Familiensolidarität; Spanien ist ein Land der Kellner, wo nur noch der Tourismus als Wirtschaftsmotor wirklich funktioniert.

Das gilt auch für Katalonien, dessen altes industrielles Herz schwach schlägt (anders als im Baskenland). Anstatt mit neuen Wirtschaftskonzepten und Produktivitätsoffensiven werden die Menschen abgespeist mit nationaler Symbolik. Die Politik in ganz Spanien ist ideenlos und kreist um sich selbst. Ein sozialpolitisch dysfunktionaler Staat reagiert auf Protest mit Knebelgesetzen und Knüppeln.

Spanien braucht eine neue politische Kultur

Es hat lange gedauert, bis endlich am Wochenende diejenigen Menschen auf die Straße gingen, die diese Zusammenhänge begreifen, und ein Ende der absurden Auseinandersetzung um eine katalanische Unabhängigkeit forderten. Die Mehrheit der Katalanen weiß längst, dass ein eigener Staat keineswegs alle Probleme löst, wie es die Separatisten in populistischer Manier versprechen. Doch die werden nicht so leicht aufgeben - solange die Missstände, die sie stark gemacht haben, bestehen bleiben.

Spanien braucht, um überleben zu können, Transparenz, Ehrlichkeit, offenen Dialog, Bereitschaft zum Ausgleich und den Mut, die eigentlichen Herausforderungen klar zu benennen - mithin eine neue politische Kultur.

Es gibt einige wenige Hoffnungsträger wie Ada Colau, Bürgermeisterin der weltoffenen und unseparatistischen Metropole Barcelona. Sie hat entscheidend dazu beigetragen, die Radikalen aus den schattigen Pyrenäentälern vorerst zur Vernunft zu bringen. Doch Pragmatikerinnen wie Colau sind rar. Deshalb steht zu erwarten, dass Spanien und Europa mit dem Katalonien-Konflikt noch lange ihre Mühe haben werden.

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Quelle:
SZ vom 12.10.2017/gal
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