Katalonien-Konflikt:Madrid lässt sich nicht von Puigdemont abspeisen

  • Mit einem Brief an die Zentralregierung in Madrid versucht Kataloniens Regierungschef Puigdemont, Zeit zu gewinnen.
  • Doch Madrid macht klar: "Der Brief aus Barcelona reicht uns nicht!"
  • Immer noch verlangt die spanische Regierung Antwort auf die Frage, ob die katalanische Regierung die Unabhängigkeit bereits erklärt oder dies nur angekündigt hat.
  • Puigdemont erhält nun mehr Zeit für eine Antwort - allerdings weniger als er wollte.
  • Nach der Anordnung der Untersuchungshaft für zwei katalanische Politiker ist es in Barcelona zu Protesten gekommen.

Von Thomas Urban, Madrid

Wieder einmal hat sich Carles Puigdemont, der katalanische Regionalpräsident, verschätzt. Er unternahm in einem Schreiben an die Zentralregierung einen weiteren Versuch, Zeit zu gewinnen für sein umstrittenes Projekt, Katalonien zu einer unabhängigen Republik zu machen.

Die Antwort der stellvertretenden Premierministerin in Madrid war eindeutig. Soraya Sáenz de Santamaría, eine Vertraute des spanischen Regierungschefs Mariano Rajoy, sagte kurz und knapp: "Der Brief aus Barcelona reicht uns nicht!" In dem in der Nacht in Madrid eingegangenen Schreiben schlug Puigdemont erneut einen Dialog über die Lösung der katalanischen Krise vor. Er nahm aber nicht dazu Stellung, ob er weiter an dem Kurs zur Unabhängigkeit festhält, der gegen die spanische Verfassung verstößt.

Madrid hatte zuvor von ihm eine Erklärung darüber verlangt, ob er in der vergangenen Woche vor dem Parlament in Barcelona die Unabhängigkeit Kataloniens ausgerufen oder die Ausrufung der Unabhängigkeit nur angekündigt hatte. Puigdemont hatte am vergangenen Dienstag in einer Stellungnahme zum katalanischen Unabhängigkeitsreferendum vom 1. Oktober zwar erklärt, dass die Katalanen "sich das Recht auf Unabhängigkeit verdient" hätten, doch würden die "Effekte der Unabhängigkeit" erst einmal für mehrere Wochen ausgesetzt.

Rajoy stellte ihm daraufhin ein Ultimatum: Er sollte bis zu diesem Montag um zehn Uhr die Frage nach der Ausrufung der Unabhängigkeit mit Ja oder Nein beantworten. Doch dieser Aufforderung ist Puigdemont in seiner Antwort nicht nachgekommen.

Rajoy hatte in der vergangenen Woche klargestellt, dass die Regierung die Anwendung von Paragraf 155 der spanischen Verfassung in Erwägung ziehe. Dieser bedeutet die Aufhebung der autonomen Rechte einer Region, falls deren Führung gegen die Verfassung verstößt. Die spanische Verfassunng erlaubt die Sezession einer Region nicht.

Nach Artikel 155 würde das Kabinett Puigdemont abgesetzt. Madrid hat bereits den Haushalt der Region unter Kontrolle genommen, ebenso wird die Unterstellung der Regionalpolizei, der Mossos d'Esquadra, unter den Innenminister in Madrid vorangetrieben. Gegen die Führung der Mossos wurden Verfahren eingeleitet, ihr wird vorgeworfen, am 1. Oktober, dem Tag des vom Verfassungsgerichts verbotenen Referendums, den Auftrag, Wahlurnen und Stimmzettel zu beschlagnehmen, weitgehend ignoriert zu haben.

Neue Frist bis Donnerstag

Der katalanische Polizeichef Josep Lluís Trapero wurde kurzzeitig festgenommen und verhört. Nach einer richterlichen Anhörung sei Trapero unter Auflagen wieder frei, heißt es aus Justizkreisen. Die Auflagen schreiben vor, dass Trapero das Land nicht verlassen darf und sich alle zwei Wochen bei Gericht melden muss. Die Staatsanwaltschaft hatte wegen "aufrührerischen Verhaltens" Untersuchungshaft beantragt.

Am Montagabend wurde zudem bekannt, dass gegen zwei der Anführer der Unabhängigkeitsbewegung Haftbefehl wegen "aufrührerischen Verhaltens" erlassen worden ist, woraufhin es in Barcelona zu Protesten kam. Unterstützer von Jordi Sanchez von der Katalanischen Nationalversammlung und Jordi Cuixart von der Gruppe Omnium Cultural riefen für den Dienstag dazu auf, um die Mittagszeit die Arbeit einzustellen, um gegen die Inhaftierung zu demonstrieren. Außerdem soll es Protestveranstaltungen vor Gebäuden der Regierung in katalanischen Städten geben.

Unmittelbare Folgen wird das Schreiben Puigdemonts aber wohl nicht haben. Denn Madrid hatte ihm bereits zuvor eine weitere Frist eingeräumt: Bis Donnerstag solle das von ihm geführte Kabinett alle Vorhaben, die als Vorbereitung zur Unabhängigkeit angesehen werden können, einstellen oder sogar rückgängig machen. "Am Donnerstagmorgen um sieben läuft die Uhr ab", erklärte Soraya Sáenz de Santamaría.

Puigdemont von allen Seiten unter Druck

Puigdemont steht in diesen Tagen unter besonderem Druck: Bestätigt er die Ausrufung der Unabhängigkeit, wird er umgehend vom Verfassungsgericht seines Amtes enthoben. Trotzdem verlangen seine Koalitionspartner in Barcelona, die Katalanischen Linksrepublikaner (ERC), dass er genau diesen Schritt geht.

Den Druck erhöht zusätzlich die kleine neomarxistische Fraktion der "Kandidatur für die Volkseinheit" (CUP), von deren Stimmen das Kabinett Puigdemont abhängt. Die CUP-Abgeordneten haben ihm gedroht, ihn zu stürzen, falls er nicht binnen kürzester Frist die Ausrufung der Unabhängigkeit bestätigt.

Allerdings musste Puigdemont in den vergangenen Wochen zur Kenntnis nehmen, dass weder die EU in Brüssel noch irgendein EU-Mitgliedsstaat die katalanische Unabhängigkeit unterstützen.

Mehrheit der Katalanen gegen Abspaltung

Puigdemont und seine Mitstreiter haben sich völlig verkalkuliert, als sie vor zwei Jahren den "Marsch zur Unabhängigkeit" angekündigt haben - direkt nach den Regionalwahlen, bei denen sie gemeinsam nur 48 Prozent der Wähler hinter sich gebracht hatten, bei einer Beteiligung von 77 Prozent.

Umfragen im Auftrag der Generalität, der Regierung in Barcelona, ergaben ebenfalls, dass höchstens 40 Prozent der Wahlberechtigten in Katalonien die Sezession vom Königreich Spanien unterstützen. Diese Größenordnung bestätigte auch das Referendum, dessen Durchführung die nationale Polizei durch teilweise brutale Aktionen zu verhindern suchte: Zwar stimmten 90 Prozent der Wähler für die Ausrufung der unabhängigen Republik Katalonien, doch lag die Beteiligung bei nur 43 Prozent. Die Gegner der Abspaltung der Region haben den Urnengang boykottiert.

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