Mit großer Härte hat Spaniens Polizei am Sonntag eine Abstimmung über die Unabhängigkeit der Region Katalonien behindert. Sie setzte dabei Schlagstöcke, Tränengas und angeblich sogar Gummigeschosse ein. Mehr als 800 Menschen wurden nach Angaben der regionalen Gesundheitsbehörde verletzt, das Innenministerium in Madrid sprach von mehr als 30 verletzten Polizisten. Die Regionalregierung in Barcelona hatte darauf bestanden, das Referendum abzuhalten, obwohl das spanische Verfassungsgericht dies verboten hatte.
Trotz des Polizeieinsatzes wurde vielerorts abgestimmt. Die Regionalregierung teilte mit, 96 Prozent der Wahllokale hätten normal funktioniert. Am Abend rechtfertigte Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy in einer Fernsehansprache den Polizeieinsatz. "Das Referendum hat nicht stattgefunden," sagte er. Die Mehrheit der Katalanen sei der illegalen Abstimmung ferngeblieben. Die Polizisten hätten ihre Pflicht getan, das Referendum sei ein "echter Angriff gegen den Rechtsstaat" gewesen. Der Staat habe "mit Entschiedenheit und Ruhe" reagiert.
Ein tatsächliches Ergebnis der Abstimmung wird kaum zu ermitteln sein
Der katalanische Regierungschef Carles Puigdemont sagte dagegen: "Wir haben das Recht gewonnen, einen unabhängigen Staat zu haben." Puidgemont hat angekündigt, 48 Stunden nach dem Referendum die Unabhängigkeit Kataloniens auszurufen. Der Staat solle die Form einer Republik erhalten, erklärte Puigdemont und forderte die Europäische Union auf, sich direkt in den Konflikt zwischen Barcelona und Madrid einzuschalten. "Wir sind europäische Bürger und leiden unter Verletzungen von Rechten und Freiheiten." Die EU müsse "schnell handeln".
Nach Angaben der katalanischen Behörden haben sich bei dem Referendum 90 Prozent der Wähler für eine Loslösung von Spanien ausgesprochen. Den Angaben des Regierungssprechers Jordi Turull zufolge gaben aber nicht einmal die Hälfte der 5,3 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimmen ab: Insgesamt seien 2,26 Millionen Stimmzettel gezählt worden, die Zahl der Ja-Stimmen habe bei 2,02 Millionen gelegen.
Referendum:Madrid hat auf fatale Weise versagt
Im Streit um das katalanische Unabhängigkeitsreferendum ist keine der beiden Seiten im Recht. Doch die Zentralregierung hätte die Spannungen abbauen können.
Rechtsexperten sind sich einig, dass ein tatsächlich gültiges Ergebnis der Abstimmung kaum ermittelt werden kann. Die Sicherheitsbehörden hatten viele Urnen und Stimmzettel konfisziert, anderswo Menschen vom Wählen abgehalten. Nach seiner Stimmabgabe hatte Puigdemont Verhandlungsbereitschaft signalisiert.
Die spanische Polizei war mit einem Großaufgebot gegen das Referendum vorgegangen. Polizisten schlossen Wahllokale, beschlagnahmten Abstimmungsunterlagen und hinderten Menschen mitunter mit Schlagstöcken und Gummigeschossen an der Stimmabgabe. Spaniens Regierungschef Mariano Rajoy verteidigte das Vorgehen am Abend in einer Fernsehansprache als Abwehr eines Angriffs auf den Rechtsstaat.
Derweil haben Dutzende Gewerkschaften und andere Organisationen für Dienstag zu einem Generalstreik aufgerufen. "Wegen der schweren Verletzung von Rechten und Freiheiten" der Katalanen während des Volksentscheids solle die ganze Region an diesem Tag die Arbeit ruhen lassen, erklärten die Organisationen am Sonntagabend.
Rajoy habe "alles falsch gemacht, was man falsch machen kann", heißt es in Brüssel
Oppositionspolitiker wie Barcelonas Bürgermeisterin Ada Colau forderten Rajoy zum Rücktritt auf. Pablo Iglesias, Chef der linksalternativen Podemos, sagte: "Hier geht es nicht mehr um Unabhängigkeit, sondern um die Wahrung der Bürgerrechte." Die EU hielt sich wie schon in den vergangenen Tagen zurück, jedoch ließen Diplomaten in Brüssel verlauten, Rajoy habe "alles falsch gemacht, was man falsch machen kann". Am Abend vor dem Referendum hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Rajoy telefoniert. Der stellvertretende Regierungssprecher Georg Streiter dementierte spanische Medienberichte, wonach die Kanzlerin dem spanischen Regierungschef ihre Unterstützung für sein Vorgehen versichert habe.
Die katalanischen Independentisten fordern die Unabhängigkeit der 7,5 Millionen Einwohner zählenden Industrie- und Touristikregion; jedoch nahmen bei einer Abstimmung 2014 nur knapp ein Drittel der Wähler teil. Die Bevölkerung ist in der Frage gespalten. Der Liedermacher Joan Manuel Serrat, Veteran des Kampfes gegen die Franco-Diktatur, kritisierte die Abstimmung als "nicht transparent". Neben historischen Gründen führen die Unabhängigkeits-Befürworter den spanischen Länderfinanzausgleich ins Feld, der für das wohlhabende Katalonien ungünstig ausfällt.
Das Fußballspiel des FC Barcelona gegen Las Palmas fand aus Protest gegen die Gewalt ohne Zuschauer statt. Der einstige Barça-Star Xavier Hernández i Creus, genannt Xavi sagte: "Was in Katalonien passiert, ist eine Schande."