Süddeutsche Zeitung

Katalonien:Im Krisenmodus

Nach den hohen Haftstrafen für katalanische Separatisten kommt es zu gewaltsamen Protesten. Die Anwälte der Veruteilten wollen das Urteil anfechten. Spaniens Premier berät über die Absetzung der Regionalregierung.

Von Thomas Urban, Madrid

Angesichts der gewaltsamen Zusammenstöße zwischen teilweise vermummten Demonstranten und Ordnungskräften in der Region Katalonien hat am Mittwoch der spanische Premierminister Pedro Sánchez mit den Führern der größten Oppositionsparteien über die Absetzung der Regionalregierung in Barcelona beraten. Sánchez erklärte nach dem Treffen: "Wir schließen kein Szenario aus." Er forderte den katalanischen Regionalpräsidenten Quim Torra auf, sich von den gewalttätigen Demonstranten zu distanzieren. Torra indes nahm mit einem halben Dutzend seiner Minister an einem Sternmarsch aus fünf katalanischen Städten nach Barcelona teil, um seine Solidarität mit den am Montag zu hohen Haftstrafen verurteilten Führern der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung zu bekunden.

Sowohl die konservative Volkspartei (PP) als auch die rechtsliberale Bürgerpartei (Ciudadanos) forderten Sánchez auf, Artikel 155 der Verfassung anzuwenden. Dieser erlaubt der Zentralregierung, eine Regionalregierung abzusetzen, falls diese "gegen die Interessen" des spanischen Staates handelt. Vor knapp zwei Jahren hatte der damalige konservative Premier Mariano Rajoy die katalanische Führung um Carles Puigdemont abgesetzt, nachdem dieser die Unabhängigkeit der wirtschaftsstarken Region ausgerufen hatte. In der Folge wurden die führenden Köpfe unter den Separatisten verhaftet; neun von ihnen wurden am Montag nach einem Mammutprozess zu Haftstrafen zwischen neun und dreizehn Jahren verurteilt. Ihre Verteidiger rügten schwere Verfahrensfehler: So war eine zweite Instanz von Anfang an nicht vorgesehen. Sie kündigten an, die Urteile durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte überprüfen zu lassen.

Die Polizei nahm bei den Zusammenstößen in der Nacht zum Mittwoch 51 Personen fest. Fast 100 hätten leichtere bis mittlere Verletzungen erlitten, zwei Drittel davon Polizisten. Der als Rädelsführer zu dreizehn Jahren verurteilte frühere Vizepremier Kataloniens, der Linksrepublikaner Oriol Junqueras, distanzierte sich über seinen Anwalt von den gewaltsamen Aktionen. Auch der frühere Premier Carles Puigdemont, der sich durch seine Flucht nach Belgien der Verhaftung entzogen hatte, verurteilte jegliche Gewalt bei den Kundgebungen. Die spanische Justiz hat einen neuen internationalen Haftbefehl für Puigdemont ausgestellt. In Barcelona wird damit gerechnet, dass dieser in Kürze Belgien verlässt, um sich in einem Land niederzulassen, das kein Auslieferungsabkommen mit Brüssel abgeschlossen hat.

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SZ vom 17.10.2019
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