Katalonien:Friedlicher Widerstand

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Ausgabe von Stimmzetteln in Barcelona: Ministerpräsident Pedro Sánchez hatte nach Parlamentswahlen im April keine regierungsfähige Mehrheit zusammengebracht. Daher waren am Sonntag 37 Millionen Spanier erneut zur Urne gerufen. (Foto: Emilio Morenatti/AP)

Die spanische Parlamentswahl bringt in Katalonien leichte Gewinne für die Separatisten. Zuvor hatten wieder Zehntausende gegen die harten Haftstrafen für frühere Landespolitiker protestiert.

Von Thomas Urban, Madrid

Mit Spannung waren in Madrid die Wahlergebnisse aus der unruhigen Region Katalonien erwartet worden. Dort konnten die drei separatistischen Parteien zwar leichte Gewinne verbuchen, aber es ist ihnen nicht gelungen, die Massen für sich zu mobilisieren. Auch in Katalonien ist die Wahlbeteiligung zurückgegangen. Die Behörden hatten Unruhen am Vorabend der Wahlen nicht ausgeschlossen; doch die Veranstaltungen am Wochenende, zu denen die erst vor wenigen Wochen gegründete Separatistenbewegung Tsunami Democràtic aufgerufen hatte, verliefen ohne Zwischenfälle. Dabei hatte das Thema Katalonien die Kampagne aller großen spanischen Parteien vor den Wahlen beherrscht.

Nach der Verkündung drakonischer Urteile gegen neun führende Separatisten war es vor einem Monat in Barcelona zu heftigen Zusammenstößen zwischen Verfechtern der Loslösung der Region vom Königreich Spanien und Ordnungskräften gekommen. Allerdings waren damals einige Nachrichten in internationalen Medien, in denen von bürgerkriegsähnlichen Zuständen die Rede war, weit übertrieben. Die gewaltsamen Auseinandersetzungen waren auf wenige Punkte beschränkt, die Ordnungskräfte hatten nie die Kontrolle über die Lage verloren.

Die Aktionen verlaufen oft nach dem sogenannten Flashmob-Muster

Tsunami Democràtic gibt den Behörden einige Rätsel auf. Die neue Organisation, die sich auf den gewaltlosen Widerstand nach den Vorbildern Gandhis und Martin Luther Kings beruft, hat keine Führerstruktur und keine Mitgliederlisten. Die Kommunikation erfolgt ausschließlich über den Messenger-Dienst Telegram sowie über soziale Netzwerke wie Instagram und Twitter. Bemühungen der spanischen Behörden, über die Zentralen dieser US-Firmen an die Daten der Benutzer zu gelangen, verliefen bislang erfolglos.

Aktionen verlaufen oft nach dem sogenannten Flashmob-Muster: Kurzfristig werden Ort und Thema angegeben, innerhalb kurzer Zeit treffen Hunderte, manchmal Tausende Demonstranten an dem Ort ein. Zum größten Erfolg von Tsunami Democràtic wurde vor einem Monat die Blockierung des Flughafens El Prat in Barcelona. Obwohl dieser von Polizeikräften bewacht war, hatten sich mehrere Hundert Aktivisten mit gefälschten Flugtickets auf ihren Handys Zutritt verschafft und dann die Abfertigungsschalter lahmgelegt.

Das Anliegen von Tsunami Democràtic ist der Protest gegen die Haftstrafen von neun bis dreizehn Jahren für die 2017 abgesetzten Mitglieder der katalanischen Regionalregierung sowie mehrere führende Aktivisten. Auch spanische Juristen haben Zweifel an den Urteilen des Obersten Gerichts in Madrid wegen Aufruhr und Veruntreuung öffentlicher Gelder geäußert. Einen öffentlichen Aufruhr hatte es in Katalonien nie gegeben, und sogar der frühere konservative Finanzminister Cristóbal Montoro hatte keine Indizien für die Veruntreuung von Staatsgeldern gesehen.

Der frühere Vorsitzende des Petitionsausschusses der Hohen Kommission der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Alfred de Zayas, monierte eine "Kriminalisierung der Ausübung der Meinungsfreiheit und Meinungsäußerungsfreiheit, des Rechts auf friedliche Versammlung und Vereinigung" durch die spanische Justiz. Allerdings hatte die katalanische Führung nicht nur die spanische Verfassung gebrochen, sondern ihren Kurs auch gegen die Mehrheit der Wähler verfolgt: Bei den Regionalwahlen in den vergangenen Jahren waren die drei separatistischen Parteien im Parlament zu Barcelona nie über 47 Prozent der Stimmen hinausgekommen.

Ungewollt tat der spanische Premierminister Pedro Sánchez den Separatisten einen Gefallen: Er versprach im Wahlkampf, den nach Belgien geflohenen Regionalpräsidenten Carles Puigdemont möglichst rasch zurückzuholen, damit dieser abgeurteilt werden könne. Puigdemont entgegnete aus dem Brüsseler Vorwort Waterloo, in dem er sich niedergelassen hat, Sánchez habe mit dieser Ankündigung belegt, dass in Spanien von einer Gewaltenteilung nicht die Rede sein könne.

Dass es in Katalonien nach dem Urteil nach wie vor gärt, musste in der vergangenen Woche auch die Königsfamilie erfahren. Die gerade 14 Jahre alt gewordene Thronfolgerin Leonor, die auch den Titel einer Prinzessin von Girona trägt, sollte ihre erste Rede in Katalonien halten. Doch fuhr sie nicht nach Girona, der Hochburg der Separatisten, in der Puigdemont früher Bürgermeister war, sondern trat in einem wie eine Festung bewachten Kongresszentrum in Barcelona auf; die Regionalregierung boykottierte die Veranstaltung. Auf den Straßen des Viertels riefen Demonstranten "Nieder mit der Monarchie!" und verbrannten Bilder von König Felipe. Umfragen zufolge lehnt die überwältigende Mehrheit der Einwohner Kataloniens die Monarchie ab, auch ein Großteil der Gegner einer Sezession.

Katalonien war im spanischen Bürgerkrieg (1936-1939) Hochburg der Republik, die Wiederherstellung der Monarchie hatte der 1975 gestorbene Diktator Francisco Franco in seinem Testament verfügt.

© SZ vom 11.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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