Katalonien:Ein zerrissenes Katalonien wählt

Katalonien: Links die Ciutadans-Kandidatin Inés Arrimadas, die sich gegen die Unabhängigkeit einsetzt, rechts ein Mann in Barretina, der traditionell katalanischen Kopfbedeckung. Unschwer zu erraten, wie seine Wahl ausfällt.

Links die Ciutadans-Kandidatin Inés Arrimadas, die sich gegen die Unabhängigkeit einsetzt, rechts ein Mann in Barretina, der traditionell katalanischen Kopfbedeckung. Unschwer zu erraten, wie seine Wahl ausfällt.

(Foto: AP/AFP)

In Barcelona ist Gelb als Farbe der Unabhängigkeitsbefürworter überall zu sehen. Aber viele Menschen wollen vor allem wieder Normalität. Inzwischen haben die Wahllokale geschlossen, die Auszählung der Stimmen läuft.

Von Karin Janker, Barcelona

Ernesto umarmt seine beiden Kinder, als er zu ihnen auf den Bürgersteig vor dem Wahllokal in Barcelonas Altstadt tritt. Celia und Saúl, die beiden Zwillinge, sind vor Kurzem 18 Jahre alt geworden und haben heute zum ersten Mal gewählt. "Wir hoffen darauf, dass diese Wahl uns aus dieser unerträglichen Situation befreit", sagt ihr Vater. "Es muss sich endlich etwas tun." Aber was?

"Wir haben Iceta gewählt, den Sozialisten", sagt seine Frau Carmen. "Wir sind nicht für die Unabhängigkeit, sondern dafür, dass die Politiker wieder normal miteinander reden." Die Familie lebt seit 30 Jahren in Barcelona, wie viele hier stammen Ernesto und Carmen ursprünglich aus anderen Regionen Spaniens. Ihre Kinder sind in Katalonien geboren. Welche Sprache sie zu Hause sprechen? "Castellano, natürlich", Spanisch, obwohl ihre Kinder in der Schule auf Katalanisch unterrichtet wurden.

Gegenüber dem Wahllokal, aus dem die Familie gerade kommt, stehen drei Verkehrsschilder, um deren Pfosten gelbe Schleifen geknotet sind. Gelb ist die Farbe derer, die für die Unabhängigkeit kämpfen und die Freilassung der katalanischen Politiker und Aktivisten fordern. Barcelona ist in diesen Tagen voll mit solchen gelben Schleifen, mit Graffiti und Plakaten. Diejenigen, die für die Unabhängigkeit sind, sind zumindest optisch präsenter als ihre Gegner. Sie zeigen sich, als wollten sie auch in letzter Minute noch Unentschlossenen Mut machen.

Gelbe Accessoires als politisches Statement

So herrscht noch am Morgen des Wahltags Verwirrung darüber, ob gelbe Plakate und Schleifen in der Nähe der Wahllokale erlaubt sind. Die Frage, ob Wähler zur Stimmabgabe gelbe Pullover und Schals tragen dürfen, wird im katalanischen Fernsehen, in der Presse und auf Twitter heiß diskutiert. Gerüchte machen die Runde. Modegeschäfte präsentieren gelbe Schlauchschals direkt im Eingangsbereich. Die Polizisten, die neben Ernesto und seiner Familie vor dem Wahllokal in der Altstadt stehen, wirken allerdings ganz entspannt: Es sei Sache der Aufsicht im jeweiligen Wahllokal, ob diese gelbe Gegenstände auf der Straße vor dem Wahllokal als Versuch der Beeinflussung ansieht. "Hier hat uns bisher niemand gesagt, dass wir diese Schleifen von den Schildern abmachen sollen, also lassen wir es", sagt einer der Polizisten. Und auch gegen gelbe Modeaccessoires seien sie bisher nicht eingeschritten.

Tatsächlich musste nicht nur über die Kleidungswahl an diesem Tag aufgeklärt werden. Auch die Tatsache, dass diese Wahl, die in der spanischen wie der internationalen Presse als "richtungweisend" bezeichnet wird, nicht wie sonst üblich an einem Sonntag stattfindet, sondern an einem normalen Arbeitstag, hat im Vorfeld für Empörung gesorgt. Da der heutige Tag außerdem schulfrei ist - die meisten Schulen dienen schließlich als Wahllokale - bleibt die Frage, wie man Kinderbetreuung, Arbeit und die Stimmabgabe unter einen Hut bringen soll. Die Arbeitgeber sind verpflichtet, ihre Angestellten für die Stimmabgabe freizustellen.

Doch der Gang zum Wahllokal dauert heute an vielen Orten besonders lang: Schon am Morgen hatten sich Schlangen vor den Wahllokalen in Barcelona gebildet. Selbst die Bürgermeisterin der Stadt, Ada Colau, die als erste Politikerin ihren Wahlzettel in Begleitung eines Pressetrosses einwarf, musste mehr als eine halbe Stunde warten, bis sie endlich an der Reihe war. Insgesamt sind 5,5 Millionen Menschen aufgerufen, ein neues Parlament zu wählen. Die Wahl wurde notwendig, nachdem die spanische Regierung von Ministerpräsident Mariano Rajoy Ende Oktober das katalanische Parlament aufgelöst hatte, das zuvor mit knapper Mehrheit für eine unabhängige Republik Katalonien gestimmt hatte.

Zwei Monate dauerte der Wahlkampf - lang genug, um die Frage über eine Abspaltung Kataloniens zur Schicksalsfrage nicht nur für die Region, sondern auch für die Regierung in Madrid zu machen. "Rajoy und seine PP werden derart geschwächt aus dieser Wahl hervorgehen, dass diese Niederlage für sie auch im restlichen Spanien Folgen haben wird", prognostiziert der Madrider Politologe Fernando Vallespín. Um zumindest einen Rest Ansehen zu wahren, hofft Rajoy auf eine hohe Wahlbeteiligung. Diese dürfte eher den Gegnern einer katalanischen Sezession helfen, die der spanische Ministerpräsident vor Kurzem noch als "schweigende Mehrheit" bezeichnet hat.

Erwartet wird jedenfalls ein knappes Ergebnis, mit belastbaren Zahlen wird erst am späteren Abend gerechnet. Die Wahllokale haben um 20 Uhr geschlossen. Es wird eine Rekordbeteiligung erwartet, um 18 Uhr lag die Wahlbeteiligung bereits bei mehr als 68 Prozent. 2015 waren es zur gleichen Zeit 63 Prozent. Und viele Wähler haben wohl erst nach Feierabend abgestimmt.

Die katalanische Zeitung La Vanguardia veröffentlichte unmittelbar nach Schließung der Wahllokale Ergebnisse einer telefonischen Wählerbefragung. Sie bestätigt, was zuvor schon bekannt war: Das Lager der Unabhängigkeitsbefürworter könnte eine Mehrheit der Parlamentssitze erringen - sicher ist das jedoch nicht. Um den Platz als stärkste Partei konkurrieren die nach Unabhängigkeit strebenden Linksrebublikaner (ERC) und die Unabhängigkeitsgegner der liberalen Bürgerpartei (Ciutadans).

"Die Katalanen sind Teil des spanischen Staates"

Politik-Professor Vallespín blickt relativ entspannt nach Katalonien. Er betrachtet den in den vergangenen Jahren aufbrandenden Nationalismus als Spätfolge der Wirtschaftskrise. Da sich die spanischen Wirtschaftsdaten inzwischen wieder erholt haben, dürfte seiner Meinung nach auch die Zustimmung für eine Unabhängigkeit der Region wieder sinken. "Es gibt ja gar nicht so etwas wie eine katalanische Nation oder ein katalanisches Volk", sagt Vallespín. "Die Katalanen sind Teil des spanischen Staates, auch wenn einige Politiker und Aktivisten sich als dessen Opfer zu inszenieren versuchen." Die Emotionen, die diese Auseinandersetzung hervorgerufen hat, führten dazu, dass die Situation über die vergangenen Monate derart festgefahren wurde.

Darauf, dass diese nach der Wahl endlich wieder in Bewegung kommt, hoffen eigentlich alle Seiten. Nicht nur Barcelonas Bürgermeisterin plädierte am Rande ihrer Stimmabgabe dafür, dass man nach diesem Tag, der für alle Katalanen ein sehr emotionaler Tag sei, wieder mehr Respekt für die Emotionen der Gegenseite zeigen solle. Auch der entmachtete katalanische Präsident Carles Puigdemont, der in etwa zeitgleich in Brüssel vor die internationale Presse trat, sagte dort, er hoffe auf eine Rückkehr zur Normalität.

Wie diese Normalität allerdings aussehen soll, darüber haben die Parteien, die zur Wahl antreten, ganz verschiedene Ansichten. Zwischen linkem und rechtem Lager zu unterscheiden, hat in der Debatte um die Zukunft Kataloniens nur wenig Sinn. Stattdessen teilt sich das Spektrum in Pro und Kontra Unabhängigkeit. Die stärkste Partei der Befürworter stellt die linke Esquerra Republicana (ERC), gefolgt von JuntsXCat, der Wahlliste, auf der auch Puigdemonts Name steht, und die neomarxistische CUP. Zu den Gegnern einer Abspaltung Kataloniens gehören die rechts-liberalen Ciutadans, die Volkspartei (PP) von Ministerpräsident Rajoy und die Sozialisten (PSC) von Miquel Iceta, den auch Ernesto, Carmen und ihre beiden Kinder gewählt haben. "Wir wollen auch ein Referendum", sagt Ernesto zum Abschied. "Aber nicht, um uns abzuspalten, sondern damit endlich Schluss ist mit den Diskussionen darüber."

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