Katalonien:Die Separatisten irren sich gewaltig

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Die Befürworter der Unabhängigkeit Spaniens haben die Wahlen des Regionalparlaments gewonnen. Das Ergebnis als Mandat für eine Loslösung von Madrid zu betrachten, ist allerdings eine groteske Fehleinschätzung.

Kommentar von Thomas Urban

Selten passiert es, dass sich bei demokratischen Wahlen das Ergebnis exakt wiederholt wie nun in Katalonien. Wie schon 2015 entfielen bei den gestrigen vorgezogen Neuwahlen zum Parlament auf die drei Gruppierungen, die die Abspaltung ihrer Region vom Königreich Spanien anstreben, fast 48 Prozent der Stimmen. Das reicht wieder zu einer knappen Mehrheit der Sitze, nämlich 70 von 135. Aber eines bedeutet das Ergebnis nicht, obwohl es Führer der drei Parteien in der Wahlnacht lautstark verkündeten: Es bedeutet kein Mandat zur Ausrufung einer unabhängigen Republik Katalonien.

Es ist eine groteske Fehleinschätzung der Separatisten, wenn sie glauben, dass sie mit diesem Ergebnis - im wörtlichen wie übertragenen Sinne - Staat machen könnten. Denn genauer betrachtet bedeutet es, dass gerade einmal 40 Prozent der Bevölkerung in der wirtschaftsstarken Industrie- und Tourismusregion diesen Kurs aktiv unterstützen. Diese Zahl bezieht sich auf die Gesamtzahl der Wahlberechtigten, die Beteiligung lag gestern bei 82 Prozent. Denselben Wert - knapp 40 Prozent - hatte das illegale Referendum vom 1. Oktober ergeben, ebenso wie die Meinungsumfragen, die ausgerechnet die bisherige separatistische Regionalregierung selbst in Auftrag gegeben hatte.

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Soziologische Untersuchungen legen einleuchtend dar, warum die Separatisten eigentlich keine Chance haben, die Mehrheit hinter sich zu bringen: Deutlich weniger als 40 Prozent der 7,5 Millionen Einwohner der Region sehen sich ausschließlich als Katalanen. Ein knappes Drittel bezeichnet sich als Spanier. Der Rest möchte beides sein: spanisch und katalanisch. Rein mathematisch betrachtet kann so keine Mehrheit für ein Projekt zustande kommen, das auf eine kulturelle Abgrenzung der Katalanen von den Spaniern setzt, beginnend mit der Sprache.

Die Katalanisierung des öffentlichen Lebens, die die Regionalregierungen vorangetrieben haben, bedeutet im alltäglichen Leben, dass das Katalanische, eine eigene romanische Sprache, das Spanische immer mehr zurückgedrängt hat, obwohl das Gesetz für die Region durchgehende Zweisprachigkeit garantiert. Im Rest Spaniens ist man empört deswegen. Überdies betonen der Heimatkunde- und der Geschichtsunterricht in den Schulen nicht das Gemeinsame, sondern das Trennende. Dazu gehört die Unterdrückung der Katalanen durch die spanische Krone und durch das Regime Francos.

Von "Gehirnwäsche" zu reden, ist übertrieben

Allerdings ist es maßlos übertrieben, wenn in Madrid eine systematische "Gehirnwäsche" der jungen Generation in Katalonien angeprangert wird. Vielmehr haben die regierenden Konservativen diese Entwicklung maßgeblich mitzuverantworten, denn sie haben eine Auseinandersetzung mit der Diktatur Francos (1939-1975), unter der die katalanische Elite blutig verfolgt wurde, nach Kräften blockiert. Dem mentalen Abdriften der Katalanen kann hier nur entgegengewirkt werden, wenn die dunklen Seiten der gemeinsamen Geschichte schonungslos ausgeleuchtet werden.

Die Hauptfrage aber ist, warum die Separatisten glauben, mit faktisch 40 Prozent Unterstützung ihre Heimatregion von Spanien abtrennen zu können, also ohne die Einwilligung der großen Mehrheit. Vielleicht hätten sie auf Politiker aus Brüssel, Berlin oder Paris gehört, wenn diese ihnen geduldig erklärt hätten, dass sie angesichts dieser Verhältnisse keine Chance haben, irgendeine maßgebliche Unterstützung aus dem europäischen Ausland zu bekommen. Aber zu solchen Gesprächen ist es erst gar nicht gekommen. Denn die konservative Zentralregierung unter Mariano Rajoy hat, ganz in der Tradition des "stolzen Spaniers", wie manche Kommentatoren klagten, sich jede Einmischung von außen verbeten.

Genützt hat es nichts. Denn die Brachialpolitik Rajoys, die - so rühmen sich die Kandidaten seiner konservativen Volkspartei - auf die "Enthauptung" der Unabhängigkeitsbewegung und die "Reinigung" der Region abzielt, war kontraproduktiv. Zum einen ist die PP bei den Wahlen eingebrochen, sie ist der große Verlierer. Zum anderen wurden die Festnahmen und Geldstrafen für Aktivisten der Unabhängigkeitsbewegung zum willkommenen Argument für alle, die behaupten, Madrid unterdrücke die Katalanen weiterhin so wie zur Franco-Zeit. Auch dies ist eine grobe Verzerrung: Unter Franco wären die katalanischen Aktivisten nämlich längst füsilliert worden.

Beide Seiten müssen nun über ihren Schatten springen: Die Katalanen, die sich von Madrid lösen wollen, müssen begreifen, dass dies mit einer Basis von 40 Prozent der Bevölkerung nicht sein kann. Hier sollten EU-Politiker in den Kulissen Überzeugungsarbeit leisten. Und Rajoy muss endlich begreifen, dass er den Katalanen etwas anbieten muss, vor allem wohl emotional. Auch hier sollten Politiker aus der EU in diplomatischer Form abseits der Öffentlichkeit Nachhilfeunterricht geben: Die Versuche der PP, ihre Gegner systematisch zu erniedrigen und wirtschaftlich zu ruinieren, sind einer Demokratie nicht würdig, auch wenn die spanische Regierung das Recht auf ihrer Seite hat. Denn die eigentliche Ursache für den Konflikt liegt darin, dass wohl die meisten Katalanen sich in ihrer Würde von Madrid nicht respektiert sehen.

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