Süddeutsche Zeitung

Katalanischer Separatistenführer:Warum die Richter Puigdemont freiließen

  • Das Oberlandesgericht Schleswig hat zwar einen Haftbefehl gegen Carles Puigdemont erlassen, ihn aber unter Auflagen ausgesetzt.
  • In ihrer Entscheidung wenden die Richter die deutsche Rechtsprechung auf den Fall des Separatistenführers an.
  • Beim Vorwurf der Untreue bitten sie um mehr Informationen aus Madrid. Das hat auch Folgen für den Freigelassenen.

Von Ronen Steinke

Den Vorwurf der "Rebellion" hat das Oberlandesgericht Schleswig kopfschüttelnd beiseitegewischt; hinter den zweiten Vorwurf der "Korruption" hat es zumindest ein dickes Fragezeichen gesetzt. Zusammen hat das den Richtern genügt, um Carles Puigdemont, den früheren Regierungschef von Katalonien, am Freitag vorläufig auf freien Fuß zu setzen. Dass sie ihn danach wieder ins Gefängnis zurückholen werden, wo Puigdemont in Auslieferungshaft saß, darf man nach der Lektüre ihrer Ausführungen auf 16 Seiten als einigermaßen unwahrscheinlich bezeichnen.

Der Fall Puigdemont müsse "so gedacht werden", als läge Katalonien in Deutschland, erklären die Richter in ihrem Beschluss von Donnerstagabend. Denn nach Paragraf 3 des deutschen Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) kann die deutsche Justiz nur dann ausländischen Strafverfolgern die Hand reichen, wenn deren Vorwürfe auch nach hiesigem Recht Sinn ergeben. Man müsse diesen Fall also betrachten, "als habe etwa der Ministerpräsident eines deutschen Bundeslandes die Absicht, sein Bundesland in die Unabhängigkeit zu führen, und habe hierfür mit weiteren Regierungsmitgliedern ein Referendum vorbereitet, in dem Bürger des Bundeslandes über die Unabhängigkeit abstimmen sollen." Wäre das strafbar?

Die deutsche Justiz fragt nach "zusätzlichen Informationen", höflich, aber deutlich

Den ersten Vorwurf, den die Madrider Zentralregierung erhebt, weisen die Richter gleich zurück: Rebellion, wie es im spanischen Recht heißt, scheide "von vornherein" aus. Auch wenn man diesen Begriff ins deutsche Recht übersetze, also den Paragrafen zum "Hochverrat gegen den Bund" heranziehe, worauf Haft nicht unter zehn Jahren steht - so bestraft Deutschland Separatisten prinzipiell nur dann, wenn sie zu Gewalt greifen. Das habe Puigdemont nicht getan. Gewiss: Auch das deutsche Recht wertet es als sehr ernsten Vorgang, wenn jemand einen Teil des Bundesgebiets in die Selbständigkeit zu führen versucht. Aber der Bundesgerichtshof hat schon in den 1980er-Jahren klargemacht, dass die Gewalt dabei so massiv sein muss, dass die Zentralregierung praktisch in die Knie gezwungen werden kann. Die Übergriffe katalanischer Demonstranten seien davon weit entfernt gewesen - "wie auch der Lauf der Geschichte zeigt".

Zweiter Vorwurf gegen Puigdemont: Korruption. Gemeint ist, dass der Politiker Steuergeld veruntreut haben soll, nämlich: 224 834,25 Euro für die Registrierung der im Ausland lebenden katalanischen Wahlberechtigten; 272 804,36 Euro für die Bekanntmachung des Referendums; 979 661,96 Euro für Stimmzettel; 119 700,00 Euro für internationale Wahlbeobachter. Nach deutschem Recht müsste man bei diesem Vorwurf sinngemäß von Veruntreuung von Steuergeld sprechen. Schon steht man vor dem Fragezeichen. Ist es untreu, wenn ein Politiker staatliches Geld investiert, um eine Politik zu verfolgen, für die er gewählt wurde?

Deutschland kennt zwar Fälle von Politikern, die wegen Untreue verurteilt worden sind, auch wenn sie nicht in ihre eigene Tasche gewirtschaftet haben. Manfred Kanther zum Beispiel, der hessische CDU-Politiker, hatte in die Tasche seiner Partei gewirtschaftet, also gewissermaßen auch für übergeordnete Ziele. Der Untreue-Tatbestand setzt nicht voraus, dass der Täter selbst reich werden will - es genügt, wenn er fremdes Vermögen abzweigt, um es dem Verfügungsberechtigten zu entziehen. Puigdemont aber handelte offen: mit dem Geld, das der Region Katalonien als Verfügungsberechtigtem zugewiesen war und mit dem Auftrag der Mehrheit des gewählten Regionalparlaments. Auch wenn Spaniens Verfassungsgericht es ihm zuvor verboten hatte.

Weil strafbare Untreue da nicht sofort naheliegt, bitten die Schleswiger Richter nun um "zusätzliche Informationen" aus Madrid; das ist höflich, aber auch schon deutlich. Solange sie warten, muss auch Puigdemont warten und in Deutschland bleiben: 75 000 Euro Kaution hat er am Freitag schon hinterlegt, und am Dienstag wird er auch wieder in Neumünster erwartet. Zur Meldung beim I. Polizeirevier in der Parkstraße.

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SZ vom 07.04.2018/bix
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