Süddeutsche Zeitung

Katalane Carles Puigdemont:Das Verfahren ist im Kern politisch

Die Bundesregierung tut, als handle es sich bei der Entscheidung über Puigdemonts Auslieferung um ein juristisches Problem. Dass sie sich taktisch zurückhält, leuchtet ein. Es wird aber kaum Schaden abwenden.

Kommentar von Stefan Kornelius

Carles Puigdemont hat das Spalt-Virus durch Europa nach Deutschland getragen und damit die Gretchenfrage auch hierzulande erfolgreich gestellt: Wie steht es um die Rechtsstaatlichkeit in der EU? Teilt diese Gemeinschaft tatsächlich Werte und Recht, oder tun sich in Wahrheit Abgründe auf, wenn das System unter Stress steht?

Die Frage stellt sich ja nicht zum ersten Mal. Polen und Ungarn sehen sich dem Vorwurf ausgesetzt, dass ihre Rechtssysteme nicht mehr vereinbar sind mit den Normen der EU. Was etwa tun, wenn Polen das neue Holocaust-Gesetz anwendet und die Auslieferung eines polnischen Historikers fordert, der aus Deutschland über die Verwicklung polnischer Bürger in Nazi-Gräuel publiziert?

Was beim Schein-Beitrittskandidaten Türkei längst dem allgemeinen Urteil entspricht, gilt dem katalanischen Separatistenführer zufolge in gewisser Weise auch für Spanien: Es urteile eine politische Justiz. Der spanische Rechtsstaat führe gegen ihn, Puigdemont, einen politischen Prozess unter fantasievoller Anwendung des Strafrechts. Das ist ein ungeheurer Vorwurf, den nun indirekt auch ein deutsches Oberlandesgericht zu untersuchen hat. Zur Klärung kann man sich auf den Verfahrensweg durch die Paragrafen machen, oder auf den politischen Weg, wie es etwa die Linkspartei in Deutschland fordert.

Der Fall führt in die Grauzonen des gemeinsamen Rechtsraums

Die Bundesregierung tut so, als handele es sich um ein rein juristisches Problem und verweist auf die klare Trennung von Justiz und Politik. Das ist einerseits klug, weil der Verfahrensweg die geringste Reibungsfläche bietet und der Verweis auf die korrekte Auslegung des Rechts durch die zuständige Instanz am wenigsten Ärger verspricht. Lavabo manus - ich wasche meine Hände. Die Vorzüge dieser taktischen Zurückhaltung leuchten auch deshalb ein, weil die juristische Interpretation des Auslieferungsersuchens uneindeutig ist.

Andererseits führt dieser Fall tatsächlich in die Grauzonen des gemeinsamen Rechtsraums, weil der Vorwurf des Hochverrats auch nicht jeden Tag zur Verhandlung steht. Wie politisch die Angelegenheit ist, leugnet ja keiner in Spanien, der sich um den Zusammenhalt der jungen Demokratie sorgt. Gern werden nun die Bilder des Oberstleutnants Tejero Molina herumgereicht, der 1981 mit gezogener Pistole im Parlament herumfuchtelte.

In Deutschland würde die politische Wirkung spätestens dann spürbar, wenn das Oberlandesgericht die Auslieferung ablehnte. Dann nämlich hätte ein deutsches Gericht dem spanischen Rechtsstaat das Misstrauen ausgesprochen und dem gemeinsamen Rechtsraum EU das Fundament entzogen. Spätestens dann möchte man von der Bundesregierung wissen, ob sie dieses Misstrauen teilt.

Es mag also momentan klug sein, Politik und Verfahren auseinanderzuhalten. In ihrer Wirkung sind sie aber nicht zu trennen. So oder so - ein Schaden wird entstehen. Wäre es Puigdemont um eine rechtliche Klärung gegangen, dann hätte er den Weg über die spanische Justiz hin zum Europäischen Gerichtshof wählen können. Er aber wollte die größtmögliche Politisierung und ein Urteil über den Rechtsstaat Spanien. Das Gericht in Schleswig könnte ihm bedeuten, dass es sich hier für nicht zuständig betrachtet.

Es kann die Entscheidung direkt dem EuGH vorlegen oder dem Verfahren in Spanien seinen Lauf lassen.

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SZ vom 05.04.2018/jsa
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