Die Meldungen aus den vergangenen Wochen klingen nach einhelliger Entschlossenheit, wenn es darum geht, die russische Ausfuhr von Öl und Gas zu verringern und weniger Geld in die Kriegskasse des Kreml fließen zu lassen. Da setzt die EU Ende Juni 27 weitere russische Flüssiggasschiffe auf eine Sanktionsliste. Ähnliches tut England mit Schiffen, die russisches Öl unter Umgehung von Sanktionen exportiert haben. Und die griechische Marine gibt sich entschlossen, das Umpumpen russischen Öls von russischen auf andere Schiffe vor seiner Küste zu verhindern.
Ob freilich derlei Manöver für den Kreml mehr als Nadelstiche sind, muss sich erst zeigen. Bisherige Sanktionen zeitigen keine durchschlagenden Erfolge: Seit Beginn des Überfalls am 24. Februar 2022 hat Russland mit dem Verkauf von Öl, Gas und Kohle ins Ausland rund 707 Milliarden Euro eingenommen, wie das finnische Forschungszentrum für Energie und saubere Luft (CREA) in einer entsprechenden Datenbank festgehalten hat.
Das ist das Zigfache dessen, was Russland seit Beginn des Überfalls für seine Unterwerfungskampagne gegen die Ukraine ausgegeben hat. Auch die bisherige Rekordsumme von 100 Milliarden Euro für seine Militärausgaben 2024 kann Putin sich so problemlos leisten. Allein im Juni 2024 nahm Russland wieder 20 Milliarden Euro ein – denn die Sanktionen von EU, USA und den G-7-Ländern haben nach wie vor erhebliche Löcher und werden zudem nur halbherzig umgesetzt.
Verflüssigtes Erdgas etwa kommt auf Schiffen ebenso problemlos weiter nach Europa wie Erdgas, das durch die Turkstream-Pipeline in die Türkei nach Griechenland, die westlichen Balkanländer und Ungarn oder durch die Pipeline durch die Ukraine in die Slowakei, nach Österreich und indirekt auch in die Tschechische Republik fließt. Beide Varianten sind bisher nicht von Sanktionen erfasst. Russland hat zudem seine Flotte an Schiffen ausgebaut, die verflüssigtes Erdgas (LNG) transportieren können, so ein Report des Zentrums für die Studie der Demokratie (CSD) in Sofia.
Russisches Rohöl darf weiter nach Ungarn fließen
Tatsächlich ist die Einfuhr russischen Erdgases in die EU im ersten Halbjahr 2024 im Vergleich zum Vorjahr um gut ein Viertel gestiegen. Allein dies spülte dem Kreml knapp neun Milliarden Euro in die Kasse, so eine CREA-Analyse für Juni 2024. Auch russisches Rohöl darf durch einen südlichen Abzweig der sogenannten Druschba-Pipeline weiter nach Ungarn, die Slowakei und die Tschechische Republik fließen. Allein die fünf größten Abnehmer in der EU (die Slowakei, Belgien, Spanien, Frankreich und Italien) zahlten Moskau im Juni so 920 Millionen Euro.
Russland nutzt mittlerweile eine Flotte sogenannter „Schattentanker“ – also von Schiffen, die in Ländern registriert sind, die verhängte Sanktionen gegen Russland nicht befolgen und die oft jahrzehntealt und unzureichend oder gar nicht versichert sind. Die Wege für russisches Öl nach Europa führen aus russischen Häfen wie Noworossijsk, aber auch aus den von russischen Truppen besetzten Häfen am Asowschen Meer, wie das Institut für Schwarzmeerstudien (Black Sea News) dokumentiert.
Umgehung von Sanktionen:Wie Technik made in Germany zu russischen Firmen gelangt
Güter, die dem Krieg gegen die Ukraine dienen, dürften eigentlich nicht mehr an Putins Regime geliefert werden. Doch Recherchen von SZ, NDR und WDR zeigen, wie die EU-Sanktionen über eine Tochterfirma in der Türkei offenbar systematisch umgangen wurden.
Oft führt der weitere Transport über die Türkei, die ihre Einfuhr russischen Öls weit über den eigenen Bedarf hinaus vervielfacht hat – und zum „Re-Export-Knotenpunkt“ für russisches Öl wird, so CREA. Allein von Februar 2023 bis Februar 2024 etwa hat die EU Ölprodukte für drei Milliarden Euro aus drei türkischen Häfen (Ceyhan, Marmara Ereglisi und Mersin) importiert, die keine eigenen Raffinerien haben und 86 Prozent ihrer Ölprodukte aus Russland einführten, so ein weiterer CSD-Bericht.
Und nicht nur die EU ist dabei: England etwa zahlte Russland 2023 rund eine halbe Milliarde Euro für Flugbenzin: Das Öl dafür wurde zuerst in türkische Häfen und von dort weiter in drei Raffinerien in Indien transportiert, bevor es einem CREA-Report zufolge als raffiniertes Flugbenzin an fünf Empfänger in England geliefert wurde.
Dem Zentrum zufolge wird ein Drittel des gesamten russischen Öls von Schiffen transportiert, die in England versichert sind. In der Summe habe Großbritannien Russland allein durch die Importe von russischen Ölprodukten 2023 rund 145 Millionen britische Pfund Steuergelder in die Kasse gebracht – was mehr als einem Viertel der gesamten humanitären Hilfe Englands an die Ukraine entspreche.
Die Sanktionsexperten von CSD oder CREA plädieren für schärfere Sanktionen und einen deutlich niedrigeren Preisdeckel für russisches Öl auf dem Weltmarkt. Im Dezember 2022 setzten die in den G7 vereinigten größten Industriestaaten den Preis für russisches Öl für von ihnen kontrollierte Abnehmer auf 60 Dollar pro Fass Öl fest.
Die Experten halten 30 Dollar pro Fass für angebracht
Die CREA-Experten halten dies angesichts russischer Förderkosten von lediglich 15 Dollar pro Fass für zu hoch – und fordern eine Halbierung dieses Höchstpreises auf 30 Dollar: Dies könne Russlands Öleinnahmen um gut zwei Drittel verringern. Der Import von Rohöl und Raffinerieprodukten wie dem im Fall Englands erwähnten Flugbenzin solle ebenso vollständig verboten werden wie der Import russischen Flüssiggases in die EU. Langfristige Verträge mit dem russischen Staatskonzern Gazprom sollten beendet und zudem sichergestellt werden, dass Gazprom nicht wie oft zuvor über Zwischenhändler und Tarnfirmen operieren könne, so das CSD.
Transporteure, Schiffseigentümer oder Versicherungen, die gegen Sanktionsbestimmungen verstoßen, müssten deutlich härter als bisher bestraft werden. So sollten gegen Sanktionen verstoßende Schiffe nicht nur 90 Tage vom Anlaufen oder von der Bedienung in europäischen Häfen ausgeschlossen werden, sondern für immer. Zudem solle etwa die EU bei ihren Zollregeln klar festlegen, dass bei Herkunftsdokumenten versichert werden müsse, dass keinerlei russisches Öl verwendet wurde.
Inspektoren sollten in der Sicht der CREA-Experten das Recht haben, Tanker auf See zu kontrollieren und dort auch chemische Tests zu unternehmen, mit denen die Eigenschaften von Öl oder Raffinerieprodukten getestet und eine Verwendung russischen Öls nachgewiesen werden könne. Wer gegen Sanktionen verstoße, solle als Schmuggler behandelt, die entsprechenden Schiffe noch auf See beschlagnahmt werden.