Süddeutsche Zeitung

Kaschmir:Druck unterm Deckel

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US-Präsident Trump fordert Indien und Pakistan zu Deeskalation auf. Doch die Kaschmirer selbst glauben nicht an einen Dialog. Wer Indiens Vorgehen kritisiert, wird verhaftet.

Von Arne Perras, Singapur

US-Präsident Donald Trump empfiehlt sich als Vermittler im Kaschmirkonflikt, und das nicht zum ersten Mal. In einem Tweet ließ er die Welt wissen: "Habe mit meinen beiden guten Freunden gesprochen". Er meinte den indischen Regierungschef Narendra Modi und dessen Nachbarn Premier Imran Khan von Pakistan. Laut US-Präsident ist es in den beiden Telefonaten darum gegangen, wie sich die Spannungen in Kaschmir reduzieren ließen. Indien allerdings verwahrt sich gewöhnlich gegen jede Einmischung und pocht darauf, dass der Streit um das Berggebiet nur bilateral zu lösen sei. Insofern ist unklar, welche Rolle die USA in dem Konflikt tatsächlich spielen können.

Unter Berufung auf unterrichtete Quellen in indischen Zeitungen hieß es, dass es einen "guten Austausch" zwischen Modi und Trump gegeben habe. Modi klagte dabei über die "extreme Rhetorik" des Pakistaners Khan, die einem Frieden nicht zuträglich sei. Khan hatte Modis Regierung zuletzt "faschistisch" und "rassistisch" genannt, von einer "Nazi-Ideologie" der Hindu-Nationalisten gesprochen und gedroht, er werde Indien eine Lektion erteilen. Die Pakistaner wissen China im Rücken, das auch geholfen hat, Kaschmir letzte Woche vor den UN-Sicherheitsrat zu bringen.

Peking ist neben Indien und Pakistan die dritte Nation, die territoriale Ansprüche in der umkämpften Region Kaschmir vertritt. Islamabad hat einen schmalen Gebirgsstreifen entlang der Nordgrenze an Peking abgetreten, außerdem kontrolliert China auch das Plateau Aksai Chin, das nach indischer Lesart zu Kaschmir gehört. Dass Delhi den von Indien kontrollierten Teil Kaschmirs nun neu ordnet und damit den rechtlichen Status quo verändert, hat Peking scharf kritisiert, dies untergrabe Chinas territoriale Souveränität. Indiens Außenminister musste daraufhin bei einem Besuch in Peking versichern, dass die jüngste Entscheidung keine Auswirkungen auf die Grenzlinie zu China habe, die schon seit Jahrzehnten umstritten ist. Der Streit wurzelt in der Kolonialzeit, als die britische Imperialmacht die Nordgrenze ihrer Besitzungen mehrfach neu zog und so den Keim für den späteren Grenzdisput legte.

Wird Washington zu einer Entschärfung der Lage beitragen? 1999 war es dem damaligen US-Präsidenten Bill Clinton immerhin gelungen, eine weitere Eskalation der Kargil-Krise zu verhindern. Unter Kaschmirern im indisch-kontrollierten Teil herrscht Skepsis, dass Trump viel bewegen wird. "Ich glaube nicht, dass er in diesem Konflikt vermitteln kann", sagt ein Unternehmer aus Srinagar, der regelmäßig geschäftlich nach Delhi reist. Er ist 28 Jahre alt und nennt sich Tahir, seinen richtigen Namen möchte er nicht genannt wissen, aus Angst vor Repressalien durch den indischen Staat. Tausende in der Heimat sind schon verhaftet, Tahir verließ Srinagar kurz nach dem 5. August, als Delhi Kaschmirs Autonomie aufhob. Er erinnert sich an den Moment, als er davon erfuhr. "Das ging mir und wohl jedem Kaschmirer sehr nah ans Herz. Die Autonomie war ja ein wichtiges Privileg für uns."

Dann erinnert er daran, wie diese Rechte einst zustande kamen, Britisch-Indien wurde 1947 geteilt in Indien und Pakistan, und beide neuen Staaten wollten das Fürstentum Kaschmir jeweils zu sich holen. Regiert wurde es damals von einem Hindu, die Mehrheit seiner Untertanen aber waren Muslime. Der damalige Maharadscha, Hari Singh, entschied sich schließlich für den Beitritt zu Indien, angesichts einer Invasion von Milizen aus Pakistan sah er keine Chance auf Unabhängigkeit, doch handelte er mit Indien als Preis für den Beitritt autonome Rechte aus, was Delhi auch gewährte. "Nun hat uns die Regierung diese Rechte mit einem Streich genommen", sagt Tahir, viele Kaschmirer fühlten sich betrogen, "der Zorn ist seit Anfang August gewachsen, aber weil es Ausgangssperren gibt, können sich die Leute nicht einmal richtig Luft machen", sagt er.

"Wir stehen jetzt alle unter Generalverdacht", sagt der junge Kaschmirer Tahir

Wie es nun weitergeht in den Bergen? Nie war die Verunsicherung über die Zukunft für Tahir größer, "wir haben keine Ahnung, wie sich das entwickelt", sagt der Mann, der ein Druckereigeschäft betreibt. Den Versprechungen der Regierung, dass Kaschmir nun unter der direkten Kontrolle Delhis aufblühen werde, begegnet er sehr zurückhaltend. Jede indische Regierung habe so etwas versprochen, aber dann doch nicht gehalten, sagt Tahir. Die Lage in seiner Heimat macht ihm Angst. Fast alle politischen Führer sind in Haft, was die Frage aufwirft, wie Delhi das Gebiet später einmal verwalten will, "ohne die lokalen Kräfte kann das doch gar nicht funktionieren", sagt der Kaschmirer. Unter den Verhafteten befindet sich Shah Faesal, ein früherer Bürokrat, der nun politisch tätig ist und die Regierung Modi im Fernsehsender BBC wegen des Entzugs der Autonomie angeprangert hatte. Er sagte, Delhi habe durch den Entzug der Autonomie die "Verfassung ermordet", kurze Zeit später wurde er in Gewahrsam genommen, wie viele andere Kaschmirer. Nun kämpft Faesal gerichtlich um die Freilassung.

Viele Festnahmen stützen sich offenbar auf ein Gesetz, das es in Kaschmir schon seit 1978 gibt. Ursprünglich war der "Public Safety Act" (PSA) dafür gedacht, die Geschäfte der Holzschmuggler lahmzulegen, er wurde später meist für andere Zwecke genutzt. PSA ist ein drakonisches Werkzeug, das es möglich macht, jeden über 16 Jahren bis zwei Jahre ohne Gerichtsverfahren einzusperren. In den vergangenen Jahren nutzte der Staat dieses Mittel, um rebellierende Jugendliche festzunehmen, etwa 2016 nach dem Tod des Extremisten Burhan Wani, den junge Kaschmirer als Freiheitshelden feierten. Tausende strömten damals auf die Straßen, aus Zorn darüber, dass indische Truppen den charismatischen Führer der Gruppe "Hizbul Mujaheddin" getötet hatten.

Wird der Entzug der Autonomie die gewaltbereiten Strömungen in Kaschmir nun erst recht mobilisieren? Tahir antwortet ausweichend. "In Kaschmir weiß man das nie genau", sagt er; ein sensibles Thema für einen Mann, der sich nur Ruhe und Frieden wünscht, damit er seinen Geschäften nachgehen kann. "Stattdessen stehen wir alle jetzt unter Generalverdacht", sagt Tahir. Ausgangssperren gelten für alle, Indiens Sicherheitskräfte, die Unruhen fürchten, wollen nichts dem Zufall überlassen. Sie halten den Zorn unter dem Deckel, ohne dass klar ist, wie lange der eiserne Griff noch anhält.

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Quelle:
SZ vom 21.08.2019
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