Der kleine Park liegt im Zentrum von Almaty, der größten Stadt Kasachstans. Der Menschenrechtler Galym Ageleuow sucht eine Parkbank für das Interview aus. Er leitete die Organisation "Liberty" und setzt sich vor allem dafür ein, dass sich die Menschen in Kasachstan friedlich versammeln, ihre Meinung sagen und frei wählen dürfen. Seitdem Nursultan Nasarbajew, der das Land 29 Jahre lang als Präsident autoritär regiert hat, im März zurückgetreten ist, hat es einige Proteste gegeben. Vor allem junge Leute wehren sich dagegen, dass der Machtwechsel inszeniert und die Wahl an diesem Sonntag nicht frei sein wird. Der Gewinner steht bereits fest: Kassym-Schomart Tokajew soll die Macht des Nasarbajew-Clans garantieren. Den Titel des Jelbassy, des "Führers der Nation" behält Nursultan Nasarbajew sowieso.
Wer in Kasachstan gegen das Regime aufbegehrt, riskiert Gefängnis. Galym Ageleuow hat bereits vor Jahren gegen Nasarbajew demonstriert, an Mahnwachen für ermordete Oppositionspolitiker teilgenommen und gegen Gewalt gegen Demonstranten protestiert. Während einige junge Aktivisten nun aufbegehren, wirkt er wie jemand, der sich kaum noch Illusionen macht.
SZ: Nursultan Nasarbajew ist im März zurückgetreten, was ändert sich nun?
Galym Ageleuow: Nichts. Präsident Nasarbajew ist heute an der Macht wie er früher an der Macht war. Vor einem halben Jahr habe ich gesagt, dass das der iranischen Variante ähnelt, wo man einen Ajatollah hat. Hier ist es der Jelbassy-Status, der es Nasarbajew ermöglicht, das Land mit Hilfe von Tokajew ruhig zu regieren und danach, wenn nötig, Tokajew durch seine Tochter Dariga zu ersetzen.
Kassym-Schomart Tokajew wird an diesem Sonntag wahrscheinlich als neuer Präsident bestätigt. Ist er für Nasarbajew nur eine Übergangslösung?
In jedem Fall regiert der Nasarbajew-Clan das Land. Tokajew, als Teil dieses Clans, verteidigt die Interessen dieser Gruppe. Er ist keine selbstständige Figur. Eine andere Frage ist, ob er es werden kann. Eher nicht.
Vergangene Woche haben junge Aktivisten die Bewegung "Oyan" ("Wach auf") gegründet und Reformen gefordert.
Das muss man unterstützen, damit mehr Menschen ans politische Leben im Land herangezogen werden. Das haben früher wir getan. Aber nachdem wir jedes Mal entweder festgenommen, zu 15 Tagen Haft verurteilt oder anders bestraft wurden, ist die heutige Situation das Ergebnis dieser repressiven Praktik. Die Gewaltstrukturen verletzen die Verfassung, die Gesetze des Landes, und erfüllen damit einen Befehl von oben. Die regierende Elite oder die Pseudoelite führt ihr eigenes Leben, nichts muss sie stören. Das ist eine absolut repressive Maschine, die sich nicht reformieren lässt, wenn das Volk sie dazu nicht zwingt.
Was will das Volk?
Das Volk ist nicht bereit, aufzustehen und Forderungen zu stellen, 100 000 oder 200 000 Menschen in Städten wie Almaty und Astana sind dazu nicht bereit. Weil der Anlass dazu fehlt. Es kann zwar Protest aufflammen. Aber das bedeutet nicht, dass diese große Menschenmenge sich versammelt.
Gehen Sie wählen?
Ehrlich gesagt weiß ich das noch nicht, weil unter sieben Kandidaten mein Kandidat fehlt. Es fehlt bei uns "gegen alle". Deshalb hat man keine Wahl. Den Stimmzettel kann man zerreißen, aber diese Stimme wird dann nicht registriert. In den Wahlergebnissen der Zentralen Wahlkommission heißt es dann, dass man nicht im Wahllokal erschienen ist.
Beobachten Sie, dass vor der Wahl mehr junge Menschen, vor allem die politisch aktiven, zum Militärdienst einberufen werden?
Alle Mittel sind recht. Wichtig ist für die Regierung, die Menschen loszuwerden, damit sie keine Bürger des Landes sind. Es wird eine abhängige, keine bürgerliche, freie Bevölkerung geschaffen. Sie soll nicht von realen Problemen reden, die sie beunruhigen. Die sind aber sehr zahlreich, weil sie jahrelang nicht gelöst wurden. Die Probleme sind vor allem Arbeitslosigkeit, Wohnungsprobleme. Insbesondere betrifft das die Situation auf dem Land: dort herrscht Massenarbeitslosigkeit. Es fehlt an Infrastruktur, an Betrieben. Es gibt dort nichts.
Was ist ihre Prognose?
Solange Nasarbajew lebt, ändert sich nichts. Es bleibt dasselbe System, das die Menschenrechte im Lande ablehnt. Weil die regierende Elite nicht weiß, was Menschenrechte sind. Sie will es nicht wissen. Sie will die Implementation des internationalen Rechts in Kasachstan nicht haben. Sie deklariert zwar immer, dass sie die Menschenrechte einhält, das ist der doppelte Standard. Der Betrug liegt in der Natur autoritärer Regime.
Stehen Sie selbst unter dem Druck?
Auf alle, die reden, wird Druck ausgeübt. Ich kenne das seit Langem, habe das längst hinter mir. In jedem Fall ist es unangenehm. In einem normalen Land muss es so nicht sein.