Kasachstan:Autokrat mit neuem Abstand zu Moskau

Kasachstan: Kassym-Schomart Tokajew verlässt am Sonntag in der kasachischen Hauptstadt Astana eine Wahlkabine.

Kassym-Schomart Tokajew verlässt am Sonntag in der kasachischen Hauptstadt Astana eine Wahlkabine.

(Foto: Kasachischer Präsidentenpalast/Reuters)

Der wiedergewählte Präsident Tokajew hat nach massiven Unruhen und Machtkämpfen im Land Reformen versprochen - nun muss er sie einlösen.

Von Silke Bigalke, Moskau

Der neue Präsident heißt wie der alte Präsident - und doch ist nach der Wahl in Kasachstan nicht alles wie immer. Kassym-Schomart Tokajew hat ein bewegtes Jahr hinter sich, Proteste, Tote, Machtkämpfe, Flüchtlingswellen. Als ihm praktisch nichts anderes mehr übrigblieb, versprach der 69-Jährige ein "neues Kasachstan". Dass Tokajew nun am Wochenende mehr als 81 Prozent der Stimmen erhalten hat, sieht so aus, als hätte sich in dem autoritär regierten zentralasiatischen Staat rein gar nichts geändert. Doch das entspricht nicht ganz der Wahrheit.

Zwar hat Tokajew die Wahl um zwei Jahre vorgezogen, was in Kasachstan gute Tradition hat: Der Machthaber lässt dann abstimmen, wenn es für ihn am günstigsten ist. Der Opposition blieb kaum Zeit zur Vorbereitung, der amtierende Präsident gewann gegen fünf wenig bekannte Herausforderer, die zum System gehören und deshalb keine echte Konkurrenz darstellten. Der Zweitplatzierte erhielt nur 3,4 Prozent der Stimmen.

Neu ist allerdings: Tokajew darf nun für sieben weitere Jahre regieren, danach aber nicht mehr antreten. Er hat im Sommer die Verfassung geändert und dabei offenbar nicht dieselbe Taktik verfolgt wie die Autokraten in Minsk und Moskau, die sich ihre Macht praktisch auf Lebenszeit sicherten. In Kasachstan können Präsidenten nun nicht mehr wiedergewählt werden, erhalten dafür aber eine längere Amtszeit. Ansonsten ändert sich wenig an den Machtverhältnissen, der Präsident kontrolliert weiterhin alle Regierungszweige.

Der Kreml lässt Kasachstan die wirtschaftliche Abhängigkeit spüren

Wie ernst es Tokajew mit seinen versprochenen Reformen meint, bleibt also abzuwarten. Seine Versprechen gab er im Januar, nachdem heftige Proteste das Land erschüttert hatten, ausgelöst durch hohe Spritpreise. Der eigentliche Grund für die Unzufriedenheit aber waren die soziale Ungleichheit, die unfairen Arbeits- und Lohnverhältnisse und das unbewegliche Regime. Die Proteste schlugen vor allem in Kasachstans größter Metropole Almaty in gewaltsame Unruhen um. Tokajew erlaubte Polizei und Armee den Schusswaffengebrauch, mehr als 200 Menschen starben. Vieles weist darauf hin, dass Rivalen innerhalb des Regimes die zunächst friedlichen Demonstrationen eskalieren lassen wollte, um Tokajew zu schwächen. Doch der wusste sich zu wehren und ließ mehrere Anhänger seines Vorgängers festnehmen.

Zuvor regierte Nursultan Nasarbajew, er hat Tokajew zu dem gemacht, der er heute ist. Als Nasarbajew 2019 nach drei Jahrzehnten an der Macht zurücktrat, installierte er Tokajew als Nachfolger, behielt aber selbst als "Anführer der Nation" die Fäden in der Hand. Im Januar distanzierte sich der Ziehsohn dann erstmals öffentlich und löste den einstmals übermächtigen Nasarbajew als Chef des wichtigen Sicherheitsrates ab. Die Verfassungsänderung war ein weiterer Schritt im wachsenden Abstand zum alten Regime. So ist es Familienmitgliedern von Präsidenten nun etwa verboten, öffentliche Ämter zu bekleiden, eine Lehre aus Nasarbajews Machtsystem. Die kasachische Hauptstadt, 2019 zu Nasarbajews Ehren in Nursultan umgetauft, heißt seit September wieder Astana. Und mit der vorgezogenen Wahl scheint sich Tokajew nun vollends emanzipiert zu haben.

Dabei sah es Anfang des Jahres noch so aus, als hätte er sich in eine neue Abhängigkeit gestürzt: Während der Unruhen rief er ein von Russland angeführtes Sicherheitsbündnis, die Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (ODKB), um Hilfe. Moskau schickte Soldaten nach Kasachstan - keine zwei Monate, bevor Wladimir Putin die Ukraine angriff.

Mehr als 200 000 Russen flohen nach der Mobilmachung nach Kasachstan

Den Krieg in der Ukraine nutzte Tokajew dann aber als Gelegenheit, sichtbar auf Distanz zu Moskau zu gehen. Er weigerte sich öffentlich, die Separatistenrepubliken Donezk und Luhansk als unabhängig anzuerkennen, bevor diese Gebiete von Russland annektiert wurden. Auch sonst vermied er jedes politische Zeichen, das als Zustimmung zu Putins Krieg gedeutet werden konnte. Die Siegesparade am 9. Mai in Kasachstan ließ er ausfallen, Symbole zur Unterstützung der russischen Armee verbot er. Im September, als Putin die Mobilmachung in Russland ausrief, flohen mehr als 200 000 Russen nach Kasachstan, die meisten reisten von dort weiter in andere Länder.

Der Kreml lässt Tokajew derweil spüren, dass sein Land wirtschaftlich auf den Nachbarn angewiesen ist. Die meisten kasachischen Importe kommen aus Russland, der größte Teil der Ölexporte läuft über russisches Territorium Richtung Westen. Tokajew wird nicht vergessen, dass die wirtschaftliche Lage ein Auslöser für die Proteste im Januar war. Zudem sind sieben Jahre als Amtszeit nicht in Stein gemeißelt. Und die Frage, wie ein kasachischer Autokrat mit Würde in den Ruhestand geht, konnte schon sein Vorgänger nicht lösen.

Zur SZ-Startseite

SZ PlusMusik und Konflikt
:Darf man noch zu Russen-Pop tanzen?

Die Wiener Band "Russkaja" setzt auf sowjetische Folklore-Beats. Derzeit kommt das nicht immer gut an. Dabei sind die Gründer ein Russe und ein Ukrainer. Ein Treffen.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: