Kasachstan:"Blitz aus heiterem Himmel"

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Dariga Nasarbajewa mit Präsident Kassym-Schomart Tokajew. Das war vor einem Jahr. Nun wurde Nasarbajewa als Vorsitzende des Oberhauses entlassen. (Foto: dpa)

Ende einer Familiendynastie? Oder der Beginn eines Machtkampfes in dem rohstoffreichen Land? Die mächtigste Frau Kasachstans ist überraschend abgesetzt worden.

Von Frank Nienhuysen, München

Es gab einen Strauß roter Blumen, und dazu die Gewissheit, dass sie nun die mächtigste Frau Zentralasiens war. Ein Jahr ist es her, dass Dariga Nasarbajewa in Kasachstan mit 44 von 44 Stimmen zur Vorsitzenden des Oberhauses gewählt wurde. Jetzt ist sie es schon nicht mehr. Am Sonntag wurde Nasarbajewa als Senatschefin abgesetzt, und damit als diejenige Person, die im Falle eines Ausfalls des Staatspräsidenten ins höchste Amt aufrücken würde. Mit einem Dekret seien ihr die Vollmachten entzogen worden, erklärte das kasachische Präsidialamt lapidar. Man dankte ihr höflich, aber niemand erklärte etwas.

Dariga Nasarbajewa ist die 56 Jahre alte Tochter von Nursultan Nasarbajew, der knapp 30 Jahre lang der mächtige Präsident in Kasachstan gewesen war. Bis er im vergangenen Jahr zurücktrat und seinen Einfluss als lebenslanger "Anführer der Nation" seitdem verstärkt im Hintergrund ausübt. Nasarbajew hatte die Steppenstadt Astana zur neuen extravaganten Hauptstadt gemacht, die zu seinen Ehren im vorigen Jahr sogar in Nursultan umbenannt wurde. Alles schien also vorbereitet zu sein, dass seine umtriebige Tochter Dariga eines Tages Präsidentin würde im reichsten Land Zentralasiens. Eine Familiendynastie also. Danach aber sieht es nun nicht mehr aus. Eher nach einer neuen Epoche, nach einer, die sich allmählich löst von der herrschenden Familie Nasarbajew. In einem autoritär regierten Land wie Kasachstan führen solche Entscheidungen zunächst zu mehr Rätselraten als zu mehr Klarheit. Sogar die Moskauer Duma bezeichnete die Absetzung Dariga Nasarbajewas als "Blitz aus heiterem Himmel".

Kasachstans neuer Staatschef Kassym-Schomart Tokajew hat das wichtige Amt des Senatschefs an Maulen Aschimbajew vergeben. Nach Ansicht des Politikwissenschaftlers Dosym Satpajew könnte die Rochade Beginn eines Machtkampfes im rohstoffreichen Land sein, möglicherweise könne Dariga Nasarbajewa aber auch dem neuen Präsidenten an anderer Stelle mehr dienen, wenige Monate vor der Parlamentswahl. Nasarbajewa, eine ausgebildete Opernsängerin, hatte bereits als Direktorin einer staatlichen Fernsehagentur gearbeitet, war im Parlament für internationale Beziehungen, Verteidigung und Sicherheit zuständig. Allerdings berichtete die Internetseite des Senders Radio Free Europe/Radio Liberty von einigen PR-Fiaskos aus der jüngeren Zeit, etwa von wertvollen Immobilien in London, die britische Behörden vergeblich versucht hätten, unter ihre Kontrolle zu bekommen. Hatte der Vater etwa genug von ihren Eskapaden?

Für Kasachstan sind es schwierige Zeiten, natürlich auch wegen Corona. Das Land ist vom Virus getroffen, es gibt Ausgangsbeschränkungen, die die Wirtschaft hart treffen. Vor allem dürfte der Energie-Lieferant unter den drastisch gefallenen Ölpreisen leiden. Schon vor Beginn der Pandemie hatte es soziale Proteste gegeben.

Die Medienplattform eurasianet.org berichtete, dass Dariga Nasarbajewa die neue Führung dafür kritisiert habe, wie sie das Land aus der Malaise heraussteuern wolle. Einig sind sich alle Zentralasien-Experten immerhin darin, dass es Präsident Tokajew niemals wagen würde, die älteste Tochter des eigentlichen Machthabers politisch derart bloß zu stellen, ohne dabei den Rückhalt des Vaters zu haben. Denn er selber will ja vermutlich noch eine Weile im Amt bleiben.

© SZ vom 06.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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