Karsai und die TalibanVerbrüderung auf afghanisch

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Afghanistans Präsident Karsai sucht den friedlichen Feindkontakt mit den Taliban. Eine andere Wahl hat er auch nicht mehr. Doch Verhandlungen aus einer Position der Schwäche machen wenig Sinn.

Peter Münch

Die Welt steht Kopf am Hindukusch, und wohl niemand kann das in schönere Worte kleiden als Afghanistans Präsident höchstselbst. "Mein teurer Bruder, komme zurück in deine Heimat, komme und arbeite für den Frieden und höre auf, deine Brüder zu töten." So spricht Hamid Karsai - und der Adressat dieser Botschaft, der teure Bruder, ist niemand anders als Mullah Omar, der Taliban-Chef. Da sitzt also der Staatschef, beschützt von 50.000 ausländischen Isaf-Soldaten, in seinem Kabuler Palast und schickt fast flehentlich eine Friedensbotschaft ins talibanische Höhlenversteck. Stärke klingt anders.

Immer wieder hat Karsai versucht, die Taliban an den Verhandlungstisch zu bekommen. Doch bisher vergebens.
Immer wieder hat Karsai versucht, die Taliban an den Verhandlungstisch zu bekommen. Doch bisher vergebens. (Foto: Foto: Reuters)

Wer in Afghanistan nach einem Kraftprotz sucht, der muss die Erklärung lesen, die Mullah Omar fast zeitgleich veröffentlicht hat. Gönnerhaft bietet er darin den ausländischen Truppen im Land eine "sichere Heimkehr" an, wenn sie sich zum Abzug entschlössen. Andernfalls würden sie "in allen Teilen der Welt geschlagen werden".

Im Westen - zumal in Deutschland, wo Mitte Oktober im Bundestag über die Verlängerung und Ausweitung des Bundeswehr-Mandats entschieden wird - muss man sich angesichts dieser beiden Erklärungen zwei Fragen stellen. Erstens, ob es überhaupt noch Sinn macht, ausländische Soldaten für Karsais Sache kämpfen zu lassen, wenn der Präsident sich feige mit dem Feind verbrüdern will. Und zweitens, ob es um Afghanistan wirklich schon so schlimm steht, dass ohnehin nur noch der geordnete Rückzug bleibt.

Zweifellos ist die militärische Lage alles andere als gut. Anders als zu Beginn dieses Anti-Terror-Krieges, ist längst nicht mehr klar, wer hier die Jäger sind und wer die Gejagten. Klar ist dagegen heute schon, dass 2008 für die ausländischen Truppen das blutigste Jahr seit Beginn des Einsatzes gewesen sein wird. In den ersten neun Monaten starben bereits 221 Soldaten, 2007 waren es 219.

Gegen die Anschläge aus dem Hinterhalt, gegen die vergrabenen Bomben und die Selbstmordattentäter kann sich keine Armee vollständig schützen, auch wenn sie auf den Schlachtfeldern noch so überlegen ist. Das ist noch lange kein Grund, vor einem Massenmörder vom Schlage des Mullah Omar zu kapitulieren - schließlich weiß man, welche Repression nach innen und Aggression nach außen die Restauration seines Regimes bedeuten würde. Aber die Asymmetrie dieses Krieges führt zu einer Pattsituation, die noch sehr lange andauern könnte.

Damit allerdings wäre weder Afghanistan geholfen noch dem Westen gedient. Die Bereitschaft, in den Wirren am Hindukusch zu kämpfen und zu sterben, sinkt hierzulande dramatisch. Hamid Karsai mag sich wünschen, dass die Amerikaner und Europäer noch mehr Truppen, noch mehr Waffen und noch mehr Geld schicken. Doch letztlich weiß er, dass er nicht auf ausländische Lösungen setzen darf, sondern dass er einen afghanischen Weg suchen muss.

Auf diesem Weg kommt Karsai an den Taliban nicht mehr vorbei, und deshalb zeugt sein Aufruf, selbst wenn er defätistisch klingt, doch von einigem Realitätssinn. Seit längerem schon sucht der Präsident den friedlichen Feindkontakt, bislang allerdings ohne Erfolg. Erst hat er versucht, die Taliban zu spalten, doch moderate Kräfte in deren Reihen ließen sich nicht isolieren. Letztlich also hat Karsai gar keine andere Wahl, als den Taliban-Chef persönlich anzusprechen. Denn ein Krieg, der sich festgefressen hat, kann nur enden, wenn die Feinde miteinander verhandeln.

Doch wenn Karsai dies aus einer Position der absoluten Schwäche heraus machen muss, kann es auch gleich ganz bleiben lassen. Er braucht Hilfe, und sicherlich tut er gut daran zu versuchen, die beiden alten Taliban-Paten Saudi-Arabien und auch Pakistan als Vermittler zu gewinnen. Doch entscheidend ist etwas anderes: Der Westen muss ein klares Signal geben, dass er vor der Gewalt der Taliban nicht weichen wird.

© SZ vom 02.10.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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