Karsai und der Westen:Die Marionette will nicht mehr

Afghanistans wendiger Präsident Hamid Karsai ist auf den Westen angewiesen - aber das gilt auch umgekehrt: Es gibt keine Alternative in Kabul.

Daniel Brössler

Es gehört nicht viel böser Wille dazu, sich Hamid Karsai als Marionette vorzustellen. Wie sein grüner Mantel umhüllt ihn das Image, eine Kreatur des Westens zu sein, seit er vor mehr als acht Jahren auf dem Petersberg bei Bonn zum Oberhaupt der Afghanen gekürt wurde.

Ohne die Militärmacht der Alliierten und ohne deren Geld gäbe es ihn nicht, Karsai den Präsidenten. Dennoch hat Karsai dieser Tage vor Stammesältesten in Kandahar eben jene Alliierten herausgefordert, ihnen mit einem Veto gegen eine Offensive in der Region gedroht. Die Marionette hat an den Fäden gezogen - und zu spüren ist es bis Washington und natürlich auch bis Berlin.

Zu einer Zeit, da die Nachricht über drei gefallene deutsche Soldaten noch frisch ist, muss das die deutsche Politik besonders schmerzen. In der ganz großen Koalition fast aller mit Ausnahme der Linkspartei verfolgt sie eine Strategie, in der letztlich ein Mann den Weg aus dem Schlamassel weisen soll - ausgerechnet Hamid Karsai.

Die Erkenntnis, dass der Konflikt am Hindukusch einerseits militärisch nicht zu gewinnen ist, andererseits aber ohne massiven Schaden für das eigene Ansehen und die eigene Sicherheit nicht einfach abgebrochen werden kann, wächst die vermeintliche Marionette Karsai fast zwangsläufig auf die Größe eines Hoffnungsträgers.

Die vom Bundestag beschlossene Aufstockung des Bundeswehr-Kontingents, die verstärkten Bemühungen um die Ausbildung afghanischer Soldaten und Polizisten und auch die erhöhte Entwicklungshilfe versprechen für sich genommen noch keinen Erfolg. Sie ergeben nur Sinn, wenn es Karsai im Zusammenspiel mit den USA gelingt, die Taliban unter Druck zu setzen und dann einzubinden.

Kein Ersatzmann für Kabul

Zwar ist und bleibt Karsai angewiesen auf den Westen. Die Abhängigkeit aber ist eine gegenseitige. Die USA und ihre Verbündeten verfügen über keinen Ersatzmann für Kabul. Und über keinen Plan B, falls Karsai scheitert.

Aus deutscher Sicht lässt sich die Lage mit einer unangenehmen Vokabel beschreiben: Ohnmacht. Die Bundesregierung kann nur hoffen, dass eine militärische Offensive Früchte trägt, über die in Deutschland nicht gerne gesprochen wird. Und sie muss wünschen, dass Karsai gegen alle Anzeichen seinen Worten doch Taten folgen lässt im Kampf gegen die Korruption und beim Aufbau eines funktionierenden Staatsapparats.

Deutsche Politiker können in dieser Lage schroffe Töne gegenüber Karsai anschlagen wie Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg. Oder sie können, wie Außenminister Guido Westerwelle, Karsais schöne Worte bei seiner Vereidigung oder bei der Londoner Konferenz auf die Goldwaage legen.

Nur eines können sie nicht: Karsai wirksam in die Pflicht nehmen. Mit dieser unerfreulichen Wirklichkeit müssen sie zunächst sich und dann die deutschen Wähler vertraut machen. Das ist, nach allen Mühen, eine Enttäuschung. Es zu verschweigen, wäre schlimmer: nämlich Täuschung.

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