Karlsruhe:Von Tabuzone zu Tabuzone

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Die Richter entscheiden, wann eine Online-Durchsuchung erlaubt ist.

(Foto: Patrick Lux/Getty Images)

Das Bundesverfassungsgericht sieht das BKA-Gesetz zur Terrorabwehr in Teilbereichen kritisch. De Maizière verteidigt es leidenschaftlich.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Mehr als sechs Jahre hat es gedauert, bis das Bundesverfassungsgericht eine mündliche Verhandlung über das BKA-Gesetz angesetzt hat. Es ist das Paradegesetz zur Abwehr des internationalen Terrorismus, reich bestückt mit heimlichen Ermittlungsbefugnissen - vom Wanzen- und Kameraeinsatz in Wohnungen über Onlinedurchsuchung und Telefonüberwachung bis hin zur Observation Verdächtiger mit Peilsendern. Und natürlich nutzte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) den Zeitfaktor zur Verteidigung des Gesetzes. Mit der in solchen Verfahren üblichen Mischung aus Bedrohungsszenario und Erfolgsbilanz versuchte er in der Anhörung an diesem Dienstag dem Ersten Senat plausibel zu machen, dass das Gesetz erstens - Stichwort "Islamischer Staat" - nötiger denn je sei, sich zweitens bewährt habe und drittens vom BKA "sensibel" gehandhabt werde.

Die Zahl der "Gefährder" aus dem islamistischen Spektrum sei in Deutschland in den vergangenen fünf Jahren von 130 auf 340 gestiegen - trotzdem habe das BKA von dem Gesetz nur in 15 "Gefahrenlagen" Gebrauch gemacht. "Das zeigt, dass das BKA maßvoll handelt." Vorsichtshalber wehrte er sich gegen eine Behauptung, die im Sitzungssaal des Verfassungsgerichts gar niemand erhoben hatte: "Den Vorwurf, die Bundesrepublik Deutschland sei ein Überwachungsstaat, weise ich aufs Schärfste zurück."

Telefone abhören, Peilsender einsetzen, verdeckte Ermittler losschicken

Wobei: Was Wolfgang Wieland namens einer Klägergruppe aus grünen Bundestagsabgeordneten gesagt hatte, war nicht so weit davon entfernt. Das BKA sei inzwischen sein eigener Geheimdienst, eine Mischung aus FBI und CIA. "Man hat versäumt, diese Machtzentralisierung rechtsstaatlich einzuhegen." Und der einstige FDP-Politiker Burkhard Hirsch, der eine zweite Gruppe von Beschwerdeführern um seinen langjährigen Streitgenossen Gerhart Baum vertritt, wollte wissen, wozu diese Zentralisierung der eigentlich den Ländern obliegenden Gefahrenabwehr denn nötig sei - wo doch im Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum in Berlin-Treptow 40 Behörden ständig ihre Erkenntnisse austauschten.

Das war freilich eher eine politische Kritik; das Bundesverfassungsgericht wird die Grundentscheidung, Befugnisse zur Terrorabwehr beim BKA zu zentralisieren, nicht umdrehen. Wenn der Eindruck aus der Verhandlung nicht täuscht, wird es das Gesetz aber in einem zentralen Punkt zurückstutzen. Denn die klandestinen Instrumente dürfen keineswegs freihändig, sondern nur zur Abwehr einer Gefahr eingesetzt werden. Wenn "Tatsachen die Annahme rechtfertigen" - manchmal ist auch von "bestimmten" Tatsachen die Rede -, dass jemand schwere Straftaten begehen werde, dann dürfen Telefone abgehört, Nutzerdaten erhoben, Peilsender eingesetzt, Videoaufnahmen gemacht und verdeckte Ermittler auf den Weg geschickt werden. "Wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen": Sprachlich habe das eine nur wenig begrenzende Funktion, fand Vizepräsident Ferdinand Kirchhof. Seine Kollegen wurden deutlicher. Richter Reinhard Gaier fragte, ob eine derart vage Formulierung nicht ein Einfallstor für "racial profiling" sei - also für Maßnahmen, die allein an das Aussehen einer Person anknüpften. Christoph Möllers, Vertreter der Bundesregierung, führte tapfer ins Feld, die Formulierung sei von der Rechtsprechung des Senats "inspiriert". Das sei eine "kühne Behauptung", entgegnete Johannes Masing, Berichterstatter im Verfahren. Im Urteil zur Telefonüberwachung in Niedersachsen habe der Senat im Jahr 2005 eine "wortgleiche Formulierung für nichtig erklärt".

Sollte das Gesetz - wonach es aussieht - in diesem Punkt korrekturbedürftig sein, dann wird das BKA seine Praxis ändern müssen. De Maizière machte deutlich, dass die Ermittler bisher bereits in Situationen aktiv würden, die "weit weg von konkreten Gefahren" seien - etwa, wenn es allgemeine Hinweise auf Anschlagspläne gebe. Zum Beispiel, wenn jemand aus dem islamistischen Spektrum Personen anspreche, um ein "großes Ding" zu drehen, erläuterte Julia Pohlmeier vom BKA. "Die meisten Hinweise sind sehr vage." Hier abzuwarten, ist aus Sicht des Ministers freilich keine Alternative: "Wir müssen einschreiten."

Gut möglich, dass dies nicht die einzige Beanstandung aus Karlsruhe bleibt. Die Kläger haben beispielsweise einen stärkeren Schutz intimer Vorgänge vor staatlicher Ausforschung gefordert. Dieser "Kernbereich privater Lebensgestaltung", den das Gericht immer wieder zur Tabuzone erklärt hat, gerät zum Beispiel bei der Online-Durchsuchung in Gefahr, ebenso beim "Spähangriff", der versteckten Kamera in der Wohnung. Das Urteil, das im Herbst erwartet wird, könnte damit dem Muster vieler Entscheidungen folgen: Im Grundsatz werden die Sicherheitsgesetze akzeptiert, aber im Detail werden sie rechtsstaatlich imprägniert.

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